Deutsche Nationalelf:Hallo, sehr erfreut, wir sind die neue Flügelzange!

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Nur schwer zu stoppen: Jule Brand besetzt bei den DFB-Frauen vorerst den rechten Flügel. (Foto: Jones/Beautiful Sports/Imago)

Jule Brand weckt beim DFB große Hoffnungen und erinnert an die jüngere Klara Bühl. Zusammen bilden die beiden ein gefährliches Angriffsduo - dabei musste Brand zuletzt um Einsatzzeit kämpfen.

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Die Entstehung des 3:0 gegen Marokko im ersten Gruppenspiel zum Beispiel: Klara Bühl schnappt sich den Ball im Mittelfeld, rennt Richtung Grundlinie, flankt auf die rechte Seite, wo am Fünfmeterraum Jule Brand wartet. Die gibt den Ball direkt an Lina Magull weiter, Pfostenschuss. Brand reagiert schnell, ist als Erste am Abpraller, spielt den Ball aus dem Gewimmel zurück auf die linke Seite zu Bühl, die zieht ab - Tor, 21 Sekunden nach Wiederanpfiff. Fertig war die Sequenz für das Vorstellungsvideo: Hallo, sehr erfreut, wir sind die neue Flügelzange!

Für das deutsche Nationalteam gab es vor dieser Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland ein paar offene Fragen, deren Antworten so oder so hätten ausfallen können. Wie die Abwehr funktionieren würde zum Beispiel. Dass sich diese Frage überhaupt stellte, hing mit Verletzungen zusammen, aufgrund derer die Außenbahnspielerin Svenja Huth zur Rechtsverteidigerin umfunktioniert wurde. Erstmals zu sehen im letzten WM-Testspiel gegen Sambia (2:3) vor der Abreise. Dadurch ist Jule Brand, 20, auf Huths Stammposition in die Startformation gerückt, für Einsätze auf der größten Bühne ihres Sports, auf der sie sich bis Montag noch nie gezeigt hatte.

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Drei Tage später saß zwar nicht Brand bei der DFB-Pressekonferenz, um über sich und ihre Leistung zu sprechen. Das übernahm dafür Bühl, die sich als linker Schenkel der Zange ganz gut einfühlen konnte in die Welt des rechten Schenkels. Auf ihr Gegenüber angesprochen, geriet sie geradezu ins Schwärmen. "Jule ist eine sehr quirlige Spielerin, ihr Dribbling kannst du kaum stoppen", sagte Bühl. "Sie macht immer weiter, das ist sehr wichtig und das ist auch eine gute Eigenschaft, einfach diese Unbekümmertheit, Situationen schnell abhaken zu können." Es war ganz amüsant, dass ausgerechnet Bühl, 22, über diese Eigenschaft bei einer anderen Spielerin redete. In gewisser Weise sprach sie über sich selbst vor wenigen Jahren.

Bühl und Brand sind am Auftakterfolg maßgeblich beteiligt

2019 war Bühl als eine der fünf jüngsten Spielerinnen von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ins Wintertrainingslager eingeladen worden. Damals ging es für sie noch darum, sich zu beweisen und für den WM-Kader zu empfehlen. Bühl durfte mit nach Frankreich und wurde dort, wie Giulia Gwinn und Lena Oberdorf, von der großen Fußballwelt entdeckt. Mit wie viel Spielwitz, Schnelligkeit und Selbstvertrauen sie ihre Einsätze abwickelte, das erstaunte. Längst war von ihrer Unbekümmertheit die Rede, was sich derart verselbstständigte, dass Bühl am Ende selbst davon als eine ihrer Stärken erzählte. Und während Voss-Tecklenburg damals über die Angreiferin sagte, "manchmal weiß sie noch gar nicht, was sie alles draufhat", dürfte das der beidfüßigen Bühl mittlerweile durchaus bewusst sein. Bei der EM 2022 wurde sie in die beste Elf des Turniers gewählt und das, obwohl sie Halbfinale und Finale aufgrund einer Covid-19-Infektion verpasste.

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Die Spielerin des FC Bayern fällt bisweilen zwar noch mit ungünstig getroffenen Entscheidungen auf. Zwischen zwei Weltmeisterschaften aber hat sie sich zu einer Führungskraft entwickelt - was sich nicht allein auf den Platz beschränkt. Bei der EM 2022 organisierte sie ein Playstation-Turnier (Trophäe: eine golden eingesprühte Konsole), diesmal ein Darts-Turnier, immer auch den Betreuerstab einbeziehend, um das Gemeinschaftsgefühl des gesamten Teams zu stärken. Und nun, wo es eine neue junge Unbekümmerte gibt, teilt sie ihre Erfahrungen mit dieser. Von 22-Jähriger zu 20-Jähriger. Von 36 zu 33 Länderspielen.

Die unmittelbaren Kommandos bekommt Brand vor allem von der erfahrenen Huth. Nach dem Spiel und während der Pause aber, erzählte Bühl, habe sie sich ausgetauscht mit Brand, um so auch Seitenwechsel zu besprechen: Wie sind die Gegnerinnen da drüben so drauf, worauf muss ich achten?

Führungsspielerin und gefährlich in der Offensive: Klara Bühl vom FC Bayern. (Foto: Hannah Mckay/Reuters)

Und egal, wer wo unterwegs war, die dynamische Besetzung Brand-Bühl ging auf den Flügeln auf - abgesehen von einer allgemeinen Schwächephase nach dem 1:0. Bühl kam auf die meisten Flanken (7) und die meisten Torabschlüsse (4), sie bereitete einen Treffer vor und erzielte das 3:0. Brand leitete das 1:0 ein, holte die von Bühl getretene Ecke vor dem 2:0 heraus und absolvierte mit 64 die meisten Sprints. Sie war ständig in Bewegung, zeigte Übersteiger und stahl sich ihren Gegnerinnen das ein oder andere Mal davon. Sie ging auch an diesem Abend Duellen nicht aus dem Weg, sondern suchte sie. Und rückte Huth im Aufbau weit nach vorne, zog Brand mehr in die Mitte, das schaffte ein Übergewicht in der Offensive. Aus der Zange wurde ein Dreizack.

"Es hat Spaß gemacht", sagte Brand danach, "ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal 90 Minuten gespielt habe." Beim DFB wurde sie zuletzt öfter für Bühl eingewechselt. Im Verein lief das vergangene Jahr durchwachsen. Nach der EM, bei der sie in allen sechs Partien als Joker zum Einsatz kam und im Finale durchspielte, war sie von der TSG 1899 Hoffenheim zum VfL Wolfsburg gewechselt. Beim Champions-League-Finalisten lernte sie zwar viel angesichts des starken Kaders (bei der WM sind allein im deutschen Team neun Wolfsburgerinnen) - konnte sich aber noch nicht etablieren. Vor der Reise nach Australien blieb die als Europas beste U21-Spielerin ausgezeichnete Brand bescheiden: "Mein Ziel sind mehr Spielminuten als im vorherigen Turnier."

So wie Klara Bühl einst große Hoffnungen weckte und sie bisher erfüllt hat, gilt das nun auch für Jule Brand. Beide sollen das deutsche Nationalteam prägen und zu dessen Gesichtern werden. In ihnen sieht der DFB Fußballerinnen für eine erfolgreiche Zukunft - und wähnt sich in der Gegenwart bestätigt. Für das nächste Gruppenspiel gegen Kolumbien am Sonntag (11.30 Uhr, ARD) wäre aber erst mal wichtig, dass beide fit sind. Am Donnerstag trainierte Brand mit Rückenbeschwerden individuell.

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