Sieben Kurven in der Formel 1:"Ich fühle mich, als hätte ich alle im Stich gelassen"

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So knapp am Podium vorbei: Mercedes-Pilot George Russell. (Foto: Antonin Vincent/PanoramiC/Imago)

George Russell laufen lange die Tränen, Max Verstappen erwischt das falsche Set-Up - und Mick Schumacher gehen die Cockpit-Chancen aus. Die Höhepunkte des Rennwochenendes.

Von Elmar Brümmer, Singapur

Max Verstappen

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Die Nummer mit der Legende ist ihm immer schon zu blöd gewesen. Max Verstappen denkt nur von Sieg zu Sieg, und jetzt eben von Niederlage zu Sieg: Die Erfolgsserie nach zehn Rennen gerissen, erstmals in dieser Saison nicht auf dem Podium gewesen. Wobei ein fünfter Rang nach einem elften Startplatz keine wirkliche Schmach ist. Etwas mehr Glück beim Reifenwechsel und der Safety-Car-Phase, und es wäre doch wieder ein Podium gewesen. Aber auch so baut der Niederländer seinen Vorsprung in der WM-Wertung weiter aus. Nur dass er jetzt frühestens beim übernächsten Rennen seinen dritten Titel vorzeitig klar machen kann.

Was passiert war? Die Skifahrer würden sagen: verwachst. Die Rennfahrer nennen das: falsches Set-Up. Wohlgemerkt: des Autos, nicht des Fahrers. Zu sehr an die Simulation geglaubt, das Auto zu tief gelegt. "Es lief alles gegen uns", bilanzierte der Niederländer. Gehört zum Reifeprozess. Ob das bisher so überlegene Red-Bull-Team tatsächlich in so etwas wie einer Krise steckt, wird sich am Wochenende in Suzuka zeigen.

Carlos Sainz Junior

(Foto: Rudy Carezzevoli/Getty Images)

Das Wochenende der derzeitigen Nummer eins von Ferrari in einem Wort? Vamos! Wobei es mehr auf das Ausrufezeichen ankommt. Zweimal hintereinander von der Pole-Position zu starten, in einem Jahr der Red-Bull-Dominanz, das ist an sich schon bemerkenswert, dazu auf so unterschiedlichen Strecken wie Monza und Singapur. Der Spanier, in Italien Dritter und jetzt nach einer auch taktischen Meisterleistung Erster, hat zugegeben: "Wir wussten, dass das unsere größte Chance in diesem Jahr sein würde, darauf haben wir alles konzentriert."

Ein sichtlich erleichterter Teamchef Fred Vasseur kletterte mit aufs Podium, was die Bosse im Teamsport Formel 1 selten tun. Aber das zeigt, wie groß der Druck auf die Scuderia war. Ungefähr so hoch wie der, den der Spitzenreiter im Rennen hatte, als wechselweise die Briten George Russell, Lando Norris und Lewis Hamilton in seinem Rückspiegel auftauchten. Am Ende trennten die ersten Drei nur 1,2 Sekunden. Auch ein schöner Nebeneffekt der gerissenen Serie von Red Bull. Für Sainz geht der Kampf weiter: sein strategisches Geschick wird jetzt in der internen Auseinandersetzung mit Charles Leclerc gefragt sein, der einmal mehr unglücklicher Vierter wurde.

Sergio Perez

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

"Besser als nichts", sagt Sergio Perez - und meint sein mäßiges Wochenende und den Sprung vom 13. Startplatz auf Rang acht im Rennen. Genau so gut könnte er das über die Entschuldigung von Red-Bull-Berater Helmut Marko sagen. Der Österreicher hatte in einer launigen TV-Show die schwankenden Leistungen des Mexikaners in einem Nebensatz mit einer Pauschalisierung über das vermeintliche Temperament der Lateinamerikaner in Verbindung gebracht.

Mit Verzögerung schwappte die Aussage nach Mexiko, dann eskalierte die Empörung auch im Netz. Sogar der Automobilweltverband Fia, der gerade eine Kampagne gegen Online-Missbrauch gestartet hat, sah sich zu einer Verwarnung des Grazer Anwalts und Hoteliers bemüßigt. Der entschuldigte sich für die unbedachte Äußerung. Es sei ein Fehler gewesen, die mangelnde Konstanz von Perez in einen Zusammenhang mit seiner Herkunft zu stellen. Zuvor hatte er das direkte Gespräch mit Perez gesucht: "Diese Entschuldigung habe ich akzeptiert. Ich kenne Helmut sehr gut. Wir haben eine sehr enge Beziehung. Deshalb wusste ich, dass er es nicht so gemeint hat."

Fernando Alonso

(Foto: Zak Mauger/Motorsport Images/Imago)

Wenige Fahrer in der Formel 1 sind so auf ihr Image als Alphatier bedacht wie Fernando Alonso. Mit 42 der einsame Alterspräsident im Fahrerlager, hätte er zur Mitte des Grand Prix in Singapur seinen 100 000 Rennkilometer in der Königsklasse feiern können. Doch darauf hatte er schon vorher keine Lust, als hätte er geahnt, dass die Nacht zum Desaster werden würde.

Erstmals in dieser Saison nicht in den Punkten, vom alten Rivalen Lewis Hamilton von Rang drei in der Gesamtwertung verdrängt. Die Boxeneinfahrt nicht richtig getroffen, Fünf-Sekunden-Strafe kassiert, dann klemmte ein Wagenheber, später ein Dreher auf weichen Reifen. Ein ziemlich gebrauchter Abend, Platz 15, Letzter im Ziel: "Es ist alles schiefgegangen was hätte schiefgehen können." Es war ohnehin nicht das Wochenende von Aston Martin. Lance Stroll musste nach einem Crash mit Tempo 220 in die Barrieren im Qualifying auf den Rennstart verzichten.

Liam Lawson

(Foto: Rudy Carezzevoli/Getty Images)

Dreizehn-elf-neun lauten die aktuellen Glückszahlen von Liam Lawson. Der Handbruch von Daniel Riccardo in Zandvoort hat der Formel 1 einen neuen Gasfuß beschert. Der Neuseeländer hat sich rasend schnell in der Königsklasse akklimatisiert, obwohl ihm vor nicht allzu langer Zeit fast die Reife abgesprochen wäre von den Red-Bull-Talentförderern. Für Schlusslicht Alpha Tauri ist der 21-Jährige ein Glücksfall, dort ist jeder Punkt lebenswichtig.

Zwei waren es in einem komplizierten Rennen, dazu der starke zehnte Rang in der Qualifikation, mit dem er Max Verstappen aus den Top Ten kegeln konnte. Wann Riccardo zurückkommt, und ob der Australier nochmal eine Chance bekommt, ist fraglich. Perspektivisch ist Lawson der Kandidat für ein Cockpit in der nächsten Saison. Dazu passt seine Maxime fürs Rennen: "Wenn man eine Chance bekommt, muss man sie mit beiden Händen ergreifen. Genau das versuche ich zu tun."

George Russell

(Foto: HochZwei/Imago)

Die Formel 1 ist ein Alles-oder-Nichts-Sport, das dramatische Finish von Singapur der beste Beweis für die wohlklingende These. Am Anfang und am Ende des Rennens hatte George Russell jeweils eine Chance, die Spitze zu übernehmen. Beide Male klappte es nicht, und zum Schluss ging es sogar richtig schief. Im Bemühen in der letzten Runde noch einmal Carlos Sainz und Lando Norris unter Druck zu setzen, touchierte der Brite die Mauer und krachte dann in die Sicherheitsbarrieren.

Noch eine halbe Stunde später liefen dem Briten die Tränen runter, eine weitere Möglichkeit verpasst, dem Teamkollegen Lewis Hamilton den Führungsanspruch bei Mercedes streitig zu machen. Stattdessen übernahm der Rekordweltmeister dankbar den dritten Platz. "Ich fühle mich, als hätte ich alle im Stich gelassen", haderte der 25-Jährige mit sich selbst, "das bricht mir das Herz nach einem bis dahin großartigen Wochenende. Wir waren am Ende nur eine halbe Fahrzeuglänge vom Sieg entfernt." Aber alles was ihm blieb war das Nichts.

Mick Schumacher

Vor dem Wechsel der Rennserie: Mick Schumacher könnte bald wie einst sein Vater in der Top-Kategorie der Sportwagen-Weltmeisterschaft Fahrpraxis sammeln. (Foto: Mark Sutton/Motorsport Images/Imago)

Mick Schumacher zu Alpine, warum hat noch keiner die Schlagzeile gelesen? Weil der Transfer a) nicht bestätigt ist, und es b) nicht um das Formel-1-Team der Sportmarke von Renault geht. Dem 24-Jährigen gehen die Chancen auf Cockpits in der Königsklasse aus, nachdem jetzt auch Alfa-Sauber mit beiden Fahrern verlängert hat, und der Sohn des Rekordweltmeisters bei Alpha Tauri kein Thema ist.

Es sieht gerade auch nicht danach aus, dass die US-Investoren von Williams ihren erfolglosen Landsmann Logan Seargant loswerden wollen. Und ein weiteres Jahr als Mercedes-Stammfahrer bringt Schumacher kaum weiter. Er will fahren, muss fahren, um sich zu empfehlen. Seinen "Plan B" nennt er das. Das Angebot aus der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC, in der sich gerade wieder viele prominente Automarken tummeln, kommt da gerade recht.

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Von Elmar Brümmer

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