Formel 1:Der Kronprinz der Königsklasse verzweifelt

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Viel Redebedarf, nicht nur in Miami: Für die beiden Ferrari-Piloten Charles Leclerc und Carlos Sainz Jr. läuft die Saison bisher enttäuschend. (Foto: Mike Segar/Reuters)

Beim Großen Preis von Miami wirkt es, als müssten Charles Leclerc und Carlos Sainz gegen ihr eigenes Auto antreten: Die Lücke zu den perfekt balancierten Red Bull ist enorm - das größte Problem von Ferrari aber ist die Ratlosigkeit.

Von Elmar Brümmer, Miami

Für das Geschäftsmodell der Formel 1 war die Pandemie durchaus förderlich, im Zusammenspiel mit der weltweiten Langeweile und Netflix entwickelte sich ein ungeahnter Boom dieses Motorsports. Zu welch immer neuen Höhen das führen kann, hat sich beim Großen Preis von Miami gezeigt. Die zweite Auflage des Rennens in der neuen Party-Hauptstadt der Serie erlebten noch mehr Zuschauer zu noch höheren Preisen. Dass der Sieger erneut Max Verstappen hieß, hatte insofern unterhaltsamen Neuigkeitswert, als dass sich der Titelverteidiger von Rang neun auf Platz eins hochkämpfen musste, zuletzt hatte das Niki Lauda in exakt dieser Konstellation im Jahr 1984 geschafft. Verstappen düpierte seinen aus der Pole-Position gestarteten Red-Bull-Teamkollegen Sergio Pérez und brauchte dafür lediglich 20 der 57 Runden - und das auf vermeintlich schlechteren Reifen. Am Ende hatte der Niederländer recht mit seiner sehr selbstgerechten Aussage vor den Fernsehkameras, er halte sich stets für unschlagbar.

Für den fünften WM-Lauf galt es in jedem Fall. Was einerseits wieder an der überlegenen Red-Bull-Rennwagen-Konstruktion von Adrian Newey lag, andererseits an den mangelnden Leistungen der Herausforderer. Um in der Footballer-Sprache zu sprechen, weil sich das beim Rennen ums Stadion der Miami Dolphins einfach anbietet: Die Offensive hat die Defensive zerstört. Was nicht allein für Pérez galt, sondern auch für einen anderen etatmäßigen Herausforderer: Charles Leclerc im Ferrari. Wer im Auto mit dem stärksten Antriebsstrang im Feld nur als Siebter ins Ziel kommt, der wird seiner Rolle als Kronprinz der Königsklasse nicht annähernd gerecht. 34 WM-Punkte gegenüber den 119 Zählern von Verstappen nehmen sich - freundlich formuliert - höchst bescheiden aus.

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Von Elmar Brümmer

Beflügelt vom vorherigen Rennen in Aserbaidschan, wo der Monegasse als Dritter zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison auf dem Podium landete, versprach Leclerc für den Straßenkurs in der Nähe der Everglades: "Wenn es eine Chance gibt, etwas gegen die Langeweile zu tun, verspreche ich, diese zu nutzen." Man kann nicht behaupten, dass der 25-Jährige es nicht auch versucht hätte. Sowohl am ersten Trainingstag als auch in der Qualifikation zum Rennen wollte er mehr aus seinem Dienstwagen namens SF-23 herausholen, als es dessen Bodenhaftung zuließ. Beide Male landete das Auto in Kurve sieben in den Barrieren. Der Rennfahrer wollte immerhin keine Ausreden zulassen: "Das war eine indiskutable Leistung von mir." Ferrari formulierte es diplomatischer: "Charles wollte zu viel." Die Wahrheit ist wohl auf der Mittelspur zu finden.

"Mit einem solch instabilen Auto ist es unmöglich, ans Limit zu gehen", sagt Leclerc

Wenn es nicht richtig läuft, neigen die meisten Piloten zu Panikattacken im Cockpit. "Das Auto überfahren", so nennt sich das im Fachjargon. Bei Leclerc läuft es seit ziemlich genau einem Jahr nicht mehr, als er mit einem Crash in Imola ohne gegnerische Einwirkung ungewollt die Wende in der Weltmeisterschaft zugunsten von Verstappen herbeigeführt hatte. Während der 57 Runden ums Hard Rock Stadium ließ sich nun gut beobachten, wie sehr die Ferrari-Fahrer sich quälten. Es schien so zu sein, als müssten sie gegen das eigene Auto antreten, dafür spricht auch der enttäuschende fünfte Platz von Carlos Sainz junior. Der Spanier hatte nicht mal gegen das Mercedes-Auslaufmodell von George Russell eine Chance.

Auf der Suche nach Balance: Auf dem Miami International Autodrome setzten beide Ferrari zu oft auf dem Asphalt auf. (Foto: Angela Weiss/AFP)

Nicht nur von Kurve zu Kurve haben sich in Miami Über- und Untersteuern bei den roten Rennwagen abgewechselt, manchmal passierte beides sogar in derselben Kurve. Das ewige Hin und Her verunsichert die Fahrer natürlich enorm. Leclerc verzweifelte fast: "Es passt einfach nichts zusammen, mit einem solch instabilen Auto ist es unmöglich, ans Limit zu gehen." Weniger Tempo bei mehr Risiko, das wiegt gegen einen Gegner wie Red Bull Racing mit seiner perfekten Balance und Aerodynamik doppelt schwer. "Die haben irgendetwas, was wir noch nicht gefunden haben. Wir müssen schon extrem hart arbeiten, um überhaupt mithalten zu können", sagt Leclerc. Das birgt die Gefahr einer höheren technischen und menschlichen Fehlerquote.

Auf dem Miami International Autodrome war es um die gegenüber der guten Qualifikations-Abstimmung ohnehin schwächere Verfassung des Ferrari im Renntrimm noch schlechter bestellt als sonst, die beiden Autos setzten zu oft auf dem Asphalt auf. "Wir haben zu viel Auf und Ab", sagte der neue Teamchef Frédéric Vasseur, der gerade mal ein halbes Jahr im Amt ist, und meint das wohl nicht nur aufs Set-up bezogen. Der harschen Kritik hat der Franzose momentan kaum mehr als sein leises Lächeln entgegenzusetzen. Die fehlende Beständigkeit ist schon an sich ein großes Problem, weit schwerer wiegt die Ratlosigkeit: "Wir müssen erst mal versuchen zu verstehen." Dabei war Vasseur geholt worden, weil sein Vorgänger Mattia Binotto es nicht über den zweiten WM-Platz hinausgeschafft hatte. Im Augenblick ist die Scuderia Vierter der Konstrukteurswertung, Red Bull hat bald dreimal so viele Punkte auf dem Konto. Und in zwei Wochen ist das Heimspiel in Imola.

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Wie es um das Innenleben von Charles Leclerc wirklich bestellt ist, ist zuverlässiger an der Tastatur eines Klaviers als an seinen Drehbewegungen am Lenkrad abzulesen. Leclerc befindet sich mittlerweile in seinem sechsten Formel-1-Jahr und erscheint weiter denn je von seinem Jugendrivalen Max Verstappen entfernt zu sein. Nach der Rückkehr aus Melbourne, wo er das Qualifying verpatzt hatte und im Rennen in der ersten Runde ausgeschieden war, hat er sich nach der Rückkehr in Monaco dann selbst beim Klavierspielen therapiert.

Am Piano entstand ein gut vierminütiges Stück namens "AUS23", benannt nach dem Formel-1-Kürzel für den australischen Grand Prix. In kurzer Zeit wurde der melancholische Titel allein auf der Musikplattform Spotify mehr als 2,7 Millionen Mal gehört. Leclerc hatte schon vor dem sonntäglichen Debakel von Miami in Aussicht gestellt, dass noch weitere Kompositionen folgen könnten. Wann die Tonart Moll einem aufmunternden Dur weichen wird, vermochte er nicht zu sagen.

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