Formel 1:Gute Zeiten für Oldtimer

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Oldtimer-Parade: Seit 2007 winken Fernando Alonso, 41, und Lewis Hamilton, 38, von links, wie hier in Kanada bei der Fahrerparade ins Publikum. (Foto: Imago)

Alonso, Hamilton, Hülkenberg: In der Formel 1 sind aktuell sehr viele Ü-30-Piloten erfolgreich. Warum im Motorsport das Alter weniger Nachteil und mehr Vorteil ist als in anderen Sportarten.

Von Elmar Brümmer, Miami

Zugegeben, die Sache mit der Aura will sich auf der Couch im Hard Rock Stadium nicht so recht einstellen. Aber Nico Hülkenberg fühlt sich als Angestellter des US-Rennstalls von Gene Haas stark verpflichtet, etwas Lokalkolorit in die Medienrunde zu bringen. Der Formel-1-Pilot vom Niederrhein fläzt sich daher in einer Art Strampelhose auf dem Sofa, bedruckt mit grünen Palmen auf rosafarbenem Grund. Miami Vibes, oder vielleicht auch nur eine Demonstration, dass man mit 35 und im Rennfahrer-Rentenalter so ziemlich alles tragen kann. Auf der Rennstrecke ist der einzige deutsche Rennfahrer im Feld weit stilsicherer.

Nach drei Jahren Pause, üblicherweise gleichbedeutend mit dem Karriereende, ist der 35-Jährige wieder als Stammfahrer in den Grand-Prix-Sport zurückgekehrt, hat Mick Schumacher abgelöst und auf Anhieb beim Hinterbänkler Haas Fuß gefasst. Hulk, wie es auf seinem ebenfalls in Ocean-Drive-Farben gehaltenen Helm steht, wird so zum Archetypus einer ganzen Generation von Rennfahrern. Denn weiter oben in der WM-Tabelle gibt es noch ein paar andere Beispiele dafür, dass die Ü-30-Fraktion der Formel 1 nicht gewillt ist, dem Nachwuchs das Feld kampflos zu überlassen. Lewis Hamilton, 38, Fernando Alonso, 41, und Sergio Perez, 33, haben beim Rennen in Baku erst wieder gezeigt, dass sie alle herausfordern können - vor allem sich selbst. Das dürfte im Rentnerparadies Florida auf Begeisterung treffen.

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Ein paar Falten mehr machen einen doch nicht langsamer. Motorsport ist eine der wenigen Disziplinen, in denen Höchstleistungen auch noch jenseits herkömmlicher Jugendlichkeits-Grenzen möglich sind. Rallye-Piloten wie Sébastien Loeb, 49, und Sébastien Ogier, 39, haben den Unruhestand ebenso unter Beweis gestellt wie die Motorradpiloten Valentino Rossi, 44, oder Marc Márquez, 30. Das Kicker-Sonderheft zur Formel 1 versah zu Saisonbeginn das Portrait über den Grand-Prix-Senior Fernando Alonso mit der ketzerischen Zeile: "Alter, geht's noch?" Die Antwort mit Ausrufezeichen gab es in den ersten vier WM-Läufen der Saison auf den Ergebnislisten: Ein vierter Platz in Baku als schlechtestes Resultat, davor drei Mal Dritter. Der Aston-Martin-Pilot gilt als Siegkandidat im weiteren Verlauf des Rennjahres.

Positive Energie ist der Schlüssel für das Durchhaltevermögen

So viel Präsenz hat Rekordweltmeister Lewis Hamilton, WM-Vierter, momentan noch nicht. Und wenn Hülkenbergs Teamchef Günther Haas stichelt, dass er Hamilton nicht verpflichten würde, weil dieser schlichtweg zu alt sei, gibt es vom Briten vermutlich nicht einmal ein müdes Grinsen. Auch die Frage von US-Reportern, ob die Formel 1 angesichts der Überlegenheit von Red Bull nicht langweilig sei, kontert der Mercedes-Pilot nonchalant: "Dieser Ansatz ist mir zu negativ. Ich denke jeden Tag an nichts anderes als daran, wie wir wieder nach oben kommen und wie ich einen besseren Job machen kann. Es im Rennen in Aserbaidschan vom zehnten Rang noch auf Platz sechs geschafft zu haben, ist für mich alles andere als ein Versagen. Und deshalb überhaupt nicht langweilig." Es sieht ganz so aus, als könnte der Brite an sein 17. Formel-1-Jahr noch das eine oder andere dranhängen, er will unbedingt den achten Titel.

Positive Energie ist der Schlüssel für das Durchhaltevermögen. Mit einem Lachen antwortet Hamilton auf die Frage, ob er auch noch jenseits der 50 im Rennwagen sitzen werde: "Sag niemals nie..." Ernsthafter fügt er an: "Tom Brady (Football-Quarterback, der mit 44 Jahren seine siebte Super Bowl gewann, d. Red.) ist ein gutes Beispiel. Für Athleten kommt es darauf an, wie sie sich ernähren, trainieren, fokussieren. Ich bin da weiter als mit 22, als ich nicht mal wusste, wie wichtig Stretching ist. Heute ist meine Regeneration viel, viel besser als damals. Und ich suche danach sofort wieder neue Abenteuer." Die richtige Mentalität sei entscheidend: "Du musst Dir den richtigen Drive erhalten."

Als Alonso sein Grand-Prix-Debüt gab, war der jüngste Fahrer des aktuellen Feldes gar nicht geboren

Alle Enttäuschungen schon erlebt und hinter sich gebracht zu haben, hilft wohl auch. Alonso, bei Mercedes, Ferrari und McLaren daran gescheitert, seinen dritten WM-Titel einzufahren, ist auch einer, der den Frust regelmäßig durch Lust kompensiert. Bei Aston Martin zeigt er nicht nur seinen unbändigen Willen, sondern präsentiert sich auch in einer bisher kaum gekannten Rolle als Mentor für Lance Stroll, 24. Der Kanadier erzählt in Miami, wie sehr ihm der Kollege imponiert, den er mit zwölf als Fan zum ersten Mal getroffen hatte: "Ich habe großen Respekt vor seiner Erfahrung und vor allem vor der Dynamik, die er auf uns alle überträgt. Er ist wirklich hungrig, aus jedem Tag das Beste zu machen." Alonso will nicht aufhören, weil er nicht aufhören kann.

Der Tunnelblick, den Rennfahrer bei ihrem Tun jenseits der 300 km/h entwickeln, hilft über jede Midlife-Crisis hinweg. "Über mein Alter mache ich mir keine Gedanken", sagt Alonso, der sein Grand-Prix-Debüt im März 2001 gab. Einen Monat später wurde der Australier Oscar Piastri geboren, der heute der jüngste Fahrer im Feld ist. "Ich fühle mich privilegiert, immer noch hier zu sein", sagt der Branchen-Älteste. Diesen Umgang mit dem Lebensalter pflegt er schon ein Weilchen: "Im Motorsport ist es anders als bei den Athleten, die bei Olympia starten. Bei uns bist du nicht automatisch im Vorteil, nur weil du jung bist. Ich würde mein 23 Jahre altes Ich heute mit links besiegen."

Sergio Perez fordert seinen Teamkollegen Max Verstappen heraus

Für die These der späteren Reife spricht auch der dritte Frühling von Sergio Perez, der Weltmeister Max Verstappen das Leben schwerer macht als jeder andere Teamkollege bisher und nach Siegen gleichauf mit dem Niederländer liegt. Der Mann, den sie im Fahrerlager nur Checo nennen, braucht keinen Motivationstrainer - seine Persönlichkeit scheint aus purer Willenskraft zu bestehen. Natürlich wirken da auch die gefühlten Benachteiligungen im Champion-Rennstall nach. Im vergangenen Winter aber demonstrierte er enorme Lernwilligkeit, um zusammen mit seinen Ingenieuren hinter das Geheimnis zu kommen, wie die Reifen am Red-Bull-Rennwagen am besten funktionieren. Perez weiß: "Meine einzige Chance, Max Verstappen zu schlagen, ist perfekt zu sein. Deshalb muss da trotz meiner großen Fortschritte noch viel mehr kommen."

Was die nötige Ausdauer angeht, ist Nico Hülkenberg ein guter Maßstab. Der ist nicht nur regelmäßig Top-Ten-Kandidat im Qualifying der Formel 1, sondern kürzlich ein Zehn-Kilometer-Rennen auf Mallorca in 36 Minuten gelaufen. "Volle Lotte", wie er so gern über das richtige (Lebens-)Tempo sagt. Nur der Wortschatz verrät ihn als ein Kind der späten Achtziger.

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