EM-Favoriten im Vergleich:Die Deutschen sind keine Holländer ...

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... und erst recht keine Spanier: Vor dem richtungsweisenden Freundschaftsspiel gegen die Niederlande wagt die SZ einen unbestechlichen und historisch belegten Vergleich der drei großen EM-Titelkandidaten - und enthüllt, wer im Juli 2012 Europameister werden wird.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

An diesem Dienstag treffen in Hamburg zwei Mannschaften aufeinander, die 2012 Europameister werden wollen. Ein Problem ist, dass es beide gleichzeitig wohl nicht schaffen werden. Noch ein Problem ist, dass es vielleicht weder Deutschland noch Holland schafft, weil es die Spanier werden. Zumindest hat die öffentliche Meinung festgelegt, dass nur eines dieser drei Länder siegen kann - eine Einschätzung, die die seriöse SZ-Sportredaktion für boulevardesk hielt, weil sie Engländer, Franzosen und Italiener unterschlägt.

Ball angenommen, gedreht, 2:1 für Deutschland - Gerd Müller im WM-Finale 1974 gegen Holland. (Foto: dpa/dpaweb)

Nun aber hat die SZ an einem Strand in Portugal ein Papier gefunden, das diese Einschätzung bestätigt. Der Fundort des Papiers zerstreut alle Zweifel an seiner Seriosität: Es lag im Liegestuhl von Truus van Gaal, der Frau jenes Mannes, der den Fußball in Holland, Spanien und Deutschland erschaffen hat. Louis van Gaal hat seine drei Kreaturen messerscharf analysiert, die SZ erlaubt sich eine Auswertung und Anreicherung nach streng fachlichen Kriterien.

FUSSBALL

Dem Zettel ist zunächst mal zu entnehmen, dass sich die altbekannten Kategorien aufgelöst haben. Der klassisch-niederländische voetbal totaal, den angeblich der van-Gaal-Feind Johan Cruyff erfunden haben soll, wird jetzt nur noch beim hoffnungslos rückständigen Ajax Amsterdam praktiziert, wo dieser Cruyff noch als großer Einflüsterer gilt. In Wahrheit spielt Holland längst einen konkreten Fußball insularer Prägung mit vielen Profis aus der Premier League. Auf einer Insel spielen auch Babel und Braafheid (Hoffenheim). Und der Trainer Bert van Marwijk (Kosename: Holland-Berti) hat mit voetbal totaal in etwa so viel zu tun wie der Korschenbroich-Berti.

Deutschland hat unterdessen dem Berti-Fußball abgeschworen und ihn durch multinationale Einflüsse ersetzt (Özil/ Türkei, Khedira/Tunesien, Löw/Südbaden). Außerdem werden führende Vertreter des deutschen Fußballs zur Weiterbildung in die Welt entsandt (Klose/Rom, Mertesacker/London, Klinsmann/Kalifornien/Strand, Tremmel/Swansea, Winnie Schäfer/Thailand). Für eine deutsche Grundierung der fremdländischen Inspirationen garantiert die Führungsspieler-totaal-Philosophie des Führungsfunktionärs M. Sammer (Dresden/Grünwald).

Auch die Spanier haben ihren vom Holländer Cruyff in Barcelona gegründeten Ballbesitzfußball weiterentwickelt. Sie spielen immer noch Ballbesitzfußball, brauchen aber keine Holländer mehr dafür. Sie kreisen nur noch um sich selbst.

FAZIT: Klarer Punkt für Deutschland, wegen Weltläufigkeit, und vor allem: wegen van Gaal. In Deutschland wirkte er als Letztes, seine Einflüsse sind hier noch am sichtbarsten. Er hat Thomas Müller und Holger Badstuber erfunden, Bastian Schweinsteiger auf die Sechs gestellt und Mario Gomez fürsorglich zur Hergabe seines ganzen Könnens gezwungen ("Ich brauche dich nicht").

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Ersatzkapitäne und traurige Debütanten

Ron-Robert Zieler kassiert so viele Gegentore, wie kein anderer Torwart-Debütant seit 1954. Das liegt jedoch nicht an ihm, sondern an der Abwehr davor. Toni Kroos glänzt im Mittelfeld als Torschütze und spielt wie ein Kapitän, obwohl Mario Gomez diesmal die Binde trägt. Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik.

Johannes Aumüller, Kiew

MENTALITÄT

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Deutschland wird dafür in der ganzen Welt bewundert, weshalb sogar der friedliebende Miro Klose in Rom das allzeit griffbereite Kompliment "Panzer" erhielt. Gerade die Rivalität zu Holland hat DFB-Teams stets zur Hergabe ihres ganzen Könnens gezwungen - siehe Gerd Müllers Siegtor 1974 oder auch Bernd Hölzenbein ("Schwalbe totaal").

Die Holländer dagegen haben sich durch die Rivalität immer aus dem Konzept bringen lassen, weshalb sogar der friedliebende Frank Rijkaard einst einen Panzer bespuckte. Die Holländer haben auch noch niemals in ihrem Leben irgendetwas gewonnen, außer natürlich der holländischen Meisterschaft und der wirklich sehr klitzekleinen EM 1988, die nur dazu da war, die vorübergehend unterlegenen Deutschen zur Hergabe ihres ganzen Könnens zu zwingen (Wer wurde zwei Jahre später Weltmeister? Eben!).

Allerdings: In Schönheit zu sterben ist schwierig, wenn van Bommel und de Jong mitspielen, die dem Spiel in Form von gestreckten Beinen und ausgefahrenen Ellenbogen Schönheit einhauchen. Das macht die Holländer sehr gefährlich.

Auch die süßen, kleinen Spanier sind durchaus Mentalitätsbestien. Die SuperHirne Xavi und Iniesta prägen das Spiel mit mönchischer Demut und Hingabe, auch Casillas, Puyol und Co. unterwerfen ihr Können dem Teamgedanken.

FAZIT: Okay, die anderen kommen näher, dennoch: Punkt für Deutschland.

TRAINER

Kein Trainer ist schöner als unser Jogi. Eine seriöse Zeitung darf sich mit Oberflächlichkeiten natürlich nicht zufrieden geben, dennoch ist es bestimmt kein Zufall, dass Spaniens Coach del Bosque gerade von der "Bruderschaft der Freunde der Steckrüben" geehrt wurde, während Löw in England als "Bryan Ferry des Fußballs" bezeichnet wurde. Hollands Bert van Marwijk gehört zwar auch der Bruderschaft der coolen Typen an, aber er muss sich schon fragen lassen, warum er kürzlich im Fall Robben den Bayern-Boss Rummenigge attackierte und als Antwort nur ein Schulterzucken erhielt. Heißt: Rummenigge nimmt ihn als Feind so ernst wie Heribert Bruchhagen.

FAZIT: Punkt für Deutschland. Weil: Kein Trainer ist schöner als unser Jogi.

Kroatien gewinnt in der Türkei
:Ivica Olic erobert Istanbul

Die Türkei hat die EM-Teilnahme so gut wie verspielt, Kroatien bejubelt einen Bayern-Profi: Dank eines frühen Tors von Ivica Olic haben die Männer vom Balkan leichtes Spiel und gewinnen locker mit 3:0. Den türkischen Trainer Guus Hiddink dürfte das wahrscheinliche EM-Aus den Job kosten.

VERBANDSFÜHRUNG

Trotz jahrelanger Recherchen konnte die SZ die Namen der Verbandschefs von Spanien und Holland nicht ermitteln. Egal: Die souveräne, ur-demokratische, ultra-transparente und maßvoll-menschliche Amtsführung von Theo Zwanziger ist unschlagbar. Weitere positive Eigenschaften sind der SZ bekannt und können auf Anfrage zugesandt werden (bitte frankierten Rückumschlag beilegen).

UMFELD

Die deutsche Elf wird von einer Welle der Sympathie getragen, selbst die ehemals lästigen Gurus und Ex-Gurus sind längst auf Linie gebracht. Amtliche Instanzen wie Mehmet Scholl ( ARD) schwärmen von dieser Mannschaft, die fachliche Autorität der ZDF-Instanz Oliver Kahn kann dagegen nur auf Anfrage zugesandt werden (bitte frankierten Rückumschlag beilegen). Argwöhnische Begleiter finden sich inzwischen keine mehr, Günter Netzer schimpft nicht mehr über tiefste Tiefpunkte, Udo Lattek, die alte Steckrübe, hat sich zur Ruhe gesetzt, Franz Beckenbauer hat die vollendete Weisheit erlangt und es nicht mehr nötig, sich zu Kicks von Untergiesing gegen Ober-Aserbaidschan Kommentare einfallen zu lassen ("Die Deutschen sind keine Holländer"). Und Lothar Matthäus ist beschäftigt.

In Spanien dagegen gilt das Guru-Wesen als zersplittert und kakophonisch, jede Zeitung hält sich einen anderen Ex-Profi als Experten. Kürzlich erregte Ex-Nationalcoach Luis Aragones Aufsehen, weil er Amtsinhaber del Bosque auf Al Jazeera so rüde attackierte, dass der Schlichter kommen musste. Und in Holland ist Johan Cruyff zurzeit zwar damit beschäftigt, den Laden bei Ajax Amsterdam auseinanderzunehmen, aber er gilt als latente Gefahr für den Holland-Berti.

FAZIT: Die deutschen Gurus verbreiten fast so gute Stimmung wie der Fanklub der Nationalmannschaft, der nach nordkoreanischem Vorbild organisiert wird und immer Fähnchen schwenkt. Kantersieg für Deutschland!

Wahl zum Welttrainer 2011
:Gesucht: der Nachfolger des Unfehlbaren

Titelverteidiger José Mourinho gehört bei der Wahl zum weltbesten Coach des Jahres erneut zu den Nominierten. Ausgemachter Favorit ist jedoch ein junger Titelsammler aus Spanien. Immerhin mit Außenseiterchancen: Bundestrainer Joachim Löw und BVB-Coach Jürgen Klopp.

Mit Abstimmung

KULTUR UND LEBENSART

Joachim Löw wirbt für Pflegeprodukte, damit geht's schon mal los. Aber der deutsche Fußball ist längst auch für Dichter & Denker attraktiv. Das beweist ein Blick in die Bestseller-Liste. Ein Auszug: "Der feine Unterschied" (Ein Fußballbuch von P. Lahm). "Zug um Zug" (Ein Taktikbuch von H. Schmidt und P. Steinbrück). "Der Fall Collini" (Ein Schiedsrichter-Buch von F. von Schirach). "Wer bin ich - und wenn ja, wieviele?" (Ein Buch von R.D. Precht über den Rechts-, Links- und Innenverteidiger J. Boateng). "Altwerden ist nichts für Feiglinge" (Ein Ratgeber von J. Fuchsberger für M. Ballack und T. Frings). "Redet Geld, schweigt die Welt" (Ein Sachbuch über den VfL Wolfsburg von U. Wickert). Und natürlich: "Ich arbeite in einem Irrenhaus" (ein Reiseführer durch die DFB-Zentrale in Frankfurt von M. Wehrle).

In Spanien sind nur banale Biographien erschienen, etwa Fernando Torres' "Number nine". Ein Witz, denn number nine ist niemand anderes als Gerd Müller. Oder natürlich Klaas-Jan Huntelaar.

FAZIT: Kein Punkt für Deutschland. Auch die besten Köpfe und klügsten Bücher sind nichts gegen Louis van Gaals Biographie "LvG".

ENDSTAND: Europameister wird Deutschland, Holland oder Spanien. Das ist sicher. Es sei denn, es siegen Frankreich, England, Italien oder Irland.

© SZ vom 15.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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