DFB-Frauen:Ernüchterung statt Aufbruchstimmung

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"Wir müssen uns raffen, das ist uns bewusst", sagt DFB-Kapitänin Alexandra Popp. In der Nations League sind die Deutschen nach dem 0:2 gegen Dänemark Gruppenletzter. (Foto: Memmler/Eibner/Imago)

Beim 0:2 gegen Dänemark in der Nations League zeigt sich, wie sehr beim deutschen Nationalteam die noch nicht aufgearbeitete WM nachwirkt - was auch mit dem Fehlen der Bundestrainerin zusammenhängt.

Von Anna Dreher

Wäre zum Beispiel der Kopfball von Sydney Lohmann zum Ausgleich oder jener von Alexandra Popp zur Führung im Tor gelandet, wäre es eine andere Geschichte. Auch dann wäre nicht alles gut gewesen, aber wahrscheinlich wäre dieses Gefühl von einem Befreiungsschlag aufgekommen, zumindest einem Befreiungsschlägchen. Das Vokabular, das stattdessen gebraucht wurde, sollte eigentlich für eine ganze Weile im hinteren Eck verstaut bleiben. Aber als hätten die deutschen Nationalspielerinnen ihre Koffer nach der Rückkehr aus Australien nicht ganz ausgepackt, ähnelten ihre Emotionen zum Herbstbeginn jenen des Sommers. Und der lief bekanntlich überhaupt nicht wie gewünscht.

"Es ist einfach frustrierend, dass wir es trotz des Einsatzes und des Willens irgendwie nicht schaffen, Tore und Punkte zu erzielen", sagte Torhüterin Merle Frohms nach dem 0:2 gegen Dänemark. Felicitas Rauch sprach davon, dass man sich viel vorgenommen habe, das Ergebnis sei wahnsinnig bitter. "Das tut extrem weh, vor allem, weil man es hätte verhindern können", befand Popp in der ARD. Mehr Leichtigkeit, mehr Leidenschaft, mehr Aggressivität, mehr Intensität - so wollte sich das Nationalteam beim ersten Auftritt seit der Weltmeisterschaft zeigen. Der Neustart im Rahmen der Nations League sollte einen Aufbruch markieren. Stattdessen setzen sich die Enttäuschung und Ernüchterung fort, mit der sich die Deutschen historisch früh nach der WM-Gruppenphase in eine sportliche Krise verabschiedet hatten.

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Nach dem ersten von sechs Spieltagen belegt die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nun den letzten Platz in Gruppe 3 der Liga A. Dänemark ist Tabellenführer vor Island, das durch ein Kopfballtor von Bayern Münchens Glódís Viggósdóttir 1:0 gegen Wales gewann. Die Isländerinnen sind am Dienstag in Bochum (18.15 Uhr, ZDF) der nächste Gegner der Deutschen. Nur der Gruppensieger zieht in die Endrunde ein und kann sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifizieren, lediglich zwei europäische Tickets werden in diesem neu geschaffenen Wettbewerb vergeben. Die Konkurrenz ist enorm stark, vor allem angesichts ihrer eigenen aktuellen Verfassung, das wissen die Nationalspielerinnen selbst bestens. Kapitänin Popp schrieb in den sozialen Medien: "Wir müssen uns raffen, das ist uns bewusst."

"Wir müssen immer noch mal die Verantwortung abgeben", kritisiert die stellvertretende Bundestrainerin Carlson

Ein klarer Schnitt zur verkorksten WM wäre wohl hilfreich, aber der steht aus, weil die Analyse nicht abgeschlossen werden kann. Vor dem Spiel war von einem kurzen, auf Dänemark bezogenen Rückblick die Rede. Ein Fazit daraus war, sich nicht so sehr auf die Sturmspitze Popp zu fixieren, weil das bei der WM gegen Südkorea schiefgegangen war. Die umfassende Betrachtung und Bewertung kann laut DFB erst mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erfolgen. Doch sie fehlt krank. Vielleicht hat die 55-Jährige, seit 2019 in der Verantwortung, am Freitagabend vor dem Fernseher zugeschaut, vielleicht geht es ihr auch zu schlecht - darüber lässt sich nur spekulieren, weil kaum etwas über ihren Gesundheitszustand bekannt ist. Sie sei mental und körperlich erschöpft, hieß es. Und so bleibt offen, wann - und ob - Voss-Tecklenburg auf diesen Posten zurückkehrt.

Bis diese Frage geklärt ist, hat Co-Trainerin Britta Carlson übernommen und war am Freitagabend diejenige, die Erklärungen für die vierte Niederlage in der neunten Partie dieses Jahres finden musste. "Man hat den Rucksack noch ein bisschen gespürt bei der Mannschaft", fand sie und meinte damit den Ballast der WM. "Die nötige Sicherheit fehlt einfach gerade, und das merkst du." Zu viele Fehler prägten das Spiel der deutschen Fußballerinnen, die ihren Plan - defensiv kompakt stehen, schnell umschalten - nicht konsequent umsetzten. Nach vorne fehlte es an Geschwindigkeit sowie klaren Ideen. "Wir haben immer noch zu wenig geschossen. Wir müssen immer noch mal die Verantwortung abgeben, noch mal ein Querpass", kritisierte die 45-Jährige, die "dieses Selbstbewusstsein, mutig nach vorne zu denken", vermisste.

Britta Carlson, 45, hat vorübergehend die Verantwortung für das Nationalteam übernommen, sagt aber zur Bundestrainer-Frage: "Ich würde mir eine Klarheit für alle wünschen." (Foto: Memmler/Eibner/Imago)

Das 1:0 von Amalie Vangsgaard wurde in der 23. Minute geschickt durch einen langen Diagonalball eingeleitet. Da war sie dann wieder, die alte Bekannte: Hallo Unsicherheit! Das bisschen Leichtigkeit, das ins deutsche Spiel überhaupt nur zurückgekehrt war, entschwand nun in den Himmel von Viborg und konnte trotz gesteigerter Offensivpower nach der Pause nicht wieder eingefangen werden. Nach einem Fehlpass von Giulia Gwinn und einem Missverständnis zwischen Marina Hegering und Frohms erhöhte Vangsgaard auf 2:0 für die gut organisierten Däninnen (64.). "Diese Niederlage bedeutet: Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagte Hegering.

In der ohnehin ungewöhnlichen und kritischen Situation ist die Anspannung nun noch größer. Ein Erfolg gegen Island ist dringend nötig, um die Teilnahme an Olympia - zuletzt in Tokio bereits verpasst - nicht direkt in Gefahr zu bringen. Aber auch ein Sieg dürfte den Druck nicht so einfach lösen, weil über allem die ungelöste Bundestrainerin-Frage schwebt.

Carlson hat bereits erklärt, dass sie, sofern nötig, als potenzielle Nachfolgerin nicht infrage kommt - und eingeräumt, dass eine gewisse Unruhe herrscht. "Klar ist das Gesprächsthema", sagte sie, die Situation sei schwierig. "Ich würde mir eine Klarheit für alle wünschen. Ob es jetzt für das Trainerteam ist, für die Mannschaft. Weil ich einfach möchte, dass wir, Deutschland, wieder so erstarken, wie es vorher mal war."

In der Gemengelage waren Gerüchte über Unstimmigkeiten sowie ein angebliches Misstrauensvotum gegen die Bundestrainerin aufgekommen. Aus dem Team selbst drang bisher nichts direkt vernehmbar nach außen. Bekannt ist, dass auf und zwischen verschiedenen Ebenen viele Gespräche geführt worden sind. Als Alexandra Popp konkret gefragt wurde, ob das Nationalteam mit Voss-Tecklenburg weitermachen wolle, sagte sie: "Wir hoffen, dass Martina wieder gesund wird. Alles andere entscheidet sowieso der Verband und nicht wir."

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