"Größer, steiler, länger": Das Zillertal wirbt gerne mit Rekorden um Wintertouristen. Im "größten Skital der Welt" gibt es die "längste Talabfahrt Österreichs" - zehn Kilometer und 1930 Höhenmeter vom Übergangsjoch nach Zell am Ziller. Außerdem die "steilste Piste Österreichs" am "Actionberg" Penken mit 78 Prozent Gefälle. Auch im Angebot: "die modernste Seilbahn der Welt", 180 Lifte und 530 Pistenkilometer. Vom nervigsten Stau Österreichs, der sich an schönen Wintertagen vor dem Brettfalltunnel am Taleingang bildet, liest man in der Superlativ-Sammlung auf zillertal.at aber nichts.
Ein weiteres Weltrekord-Projekt ist im Zillertal bereits in Planung: Eine "Peak-to-Peak-Bahn" soll ab der Saison 2020 mit dem "weltweit größten Bodenabstand von über 1000 Meter" vom Onkeljoch zur Wetterkreuzspitze führen. Die Seilbahn wird die Skigebiete Hochzillertal und Spieljoch verbinden. Weitere Zusammenschlüsse sind in Zell am See und Saalbach-Hinterglemm, am Arlberg und in Andermatt/Sedrun geplant, dabei entstehen Mega-Skigebiete mit vielen Hundert Pistenkilometern.
Überall wird modernisiert, ausgebaut und in Schneekanonen investiert. Die Wintersportindustrie rüstet auf, dem Klimawandel zum Trotz. Kann man angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch guten Gewissens einen Skiurlaub in den Alpen planen?
"Wenn man das gute Gewissen beim Skifahren damit definiert, dass man Naturschneepisten benutzt, dann kann man heute eigentlich nirgends mehr in den Alpen Skifahren", sagt Werner Bätzing, ehemaliger Professor für Kulturgeografie in Erlangen und einer der renommiertesten Alpenforscher. Denn fast alle Skigebiete produzieren Kunstschnee und haben große Speicherseen gebaut, um die Pisten sicherheitshalber künstlich zu beschneien, sobald es kalt genug dafür ist.
Der größte CO₂-Verursacher im Wintertourismus? Das Auto.
Dazu kommt noch die Anreise mit dem Auto in die Skigebiete - das verschlechtert die Klimabilanz deutlich. Etwa 85 Prozent des CO₂-Ausstoßes im Wintertourismus ist auf die Anreise zurückzuführen.
Ralf Roth, Leiter des Instituts für Natursport und Ökologie an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat sich mit den Umweltfolgen des Wintersports eingehend beschäftigt und kommt zu einem differenzierten Bild. An einzelnen Brennpunkten wie dem Zillertal werde zwar massiv ausgebaut, aber seinen Angaben zufolge verbrauchen die Wintersportgebiete insgesamt mit ihren gesicherten Pistenräumen weniger als ein Prozent der Alpenfläche.
Alpenforscher Bätzing hat den Flächenverbrauch durch Skigebiete analysiert und dabei herausgefunden, dass die Zahl der Skigebiete sinkt. Nach seinen Recherchen haben in den vergangenen 15 Jahren etwa 50 bis 60 kleine Skigebiete den Betrieb eingestellt, gleichzeitig bauen die großen Skigebiete ihre Position immer mehr aus, so Bätzing, "weil sie mit ihren permanenten Innovationen Trends setzen, die die Skifahrer dann schnell als selbstverständlich voraussetzen". Eine Gondel ohne Wlan und Popoheizung wirkt heutzutage schnell veraltet.
Insgesamt stagniert die Zahl der Wintersportler - auf hohem Niveau: In Europa gibt es über 40 Millionen aktive Skifahrerinnen und Skifahrer, in Deutschland sind es etwa sieben Millionen. Dabei werden die Wintersportgäste "polysportiver", wie Sport-Professor Roth erläutert: "Kernsportart bleibt Ski alpin, positive Entwicklungen verzeichnen wir bei den nordischen Bewegungsformen: Skilanglauf, Tourengehen und Winterwandern." Und diese Sportarten lassen sich auch auf einigermaßen naturverträgliche Weise ausüben. Es liege eben auch in der Verantwortung der Destinationen und Bergbahnen, eine nachhaltige Entwicklung weiter voranzutreiben.
Wo "nachhaltig" und "Wintersport" tatsächlich zusammenpasst
Es gibt solche Orte, in denen nachhaltiger Wintersport möglich ist, aber es sind nicht unbedingt diejenigen, die "modernste Seilbahnen" und "steilste Pisten" anpreisen. Pfelders im Passeiertal zum Beispiel liegt abseits der größten Wintersportzentren, das Dorf ist autofrei und betreibt seine Lifte komplett mit Strom aus regenerativen Energiequellen, so wie mittlerweile 98 Prozent aller Skigebiete in Südtirol. Der Energiebedarf eines Wintersportlers im Skigebiet sei sowieso vergleichsweise gering, er liege bei 17 Kilowattstunden am Tag, rechnet Roth vor.
Pfelders gehört zu den "Alpine Pearls", einem Zusammenschluss von 25 Orten, die sich zu umweltfreundlichem Wintertourismus verpflichtet haben. Sie bieten eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, nutzen regenerative Energien und lassen nur eine bestimmte Menge Skifahrer auf den Berg. In Wintersportindustriegebieten wie Ischgl oder Zermatt ist der wirtschaftliche Konkurrenzdruck so hoch, dass die Förderleistung der Bahnen immer weiter erhöht wird - die Giggijochbahn in Sölden etwa kann 4500 Menschen pro Stunde auf die Pisten transportieren. Kleine Skigebiete können und wollen da längst nicht mehr mithalten.
Im Tiroler Dorf Mieming etwa hat man sich schon vor Jahren gegen den alpinen Skisport entschieden. Die Erneuerung der veralteten Skilifte auf dem Mieminger Plateau hätte Millionen gekostet. Also entschloss man sich, die Anlagen abzubauen - und auf alternativen Wintersport zu setzen. Die Sorgen der Hoteliers, dass dadurch der Wintertourismus zugrunde gehen könnte, haben sich nicht bestätigt. Längst kommen wieder mindestens genauso viele Besucher wie zu Zeiten des Skibetriebs. Es geht auch ohne "Actionberg".