Wachstumschancengesetz:Streit um ein Päckchen

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Bekäme der es wirklich besser hin als sie? Friedrich Merz am Rednerpult des Bundestags. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Die Bundesregierung will endlich Unternehmen entlasten. Doch das Wachstumschancengesetz hängt im Vermittlungsausschuss fest. Die Union stellt eine Bedingung auf, die der Ampel das Leben schwer macht.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Es klingt nach perfektem Timing: An dem Tag, an dem die Bundesregierung mit ihrem Jahreswirtschaftsbericht schon wieder ein nach unten korrigiertes Mini-Wachstum veröffentlichen muss, steht am Abend im Vermittlungsausschuss des Bundesrats ein Paket auf der Tagesordnung, das "Wachstumschancengesetz" heißt. Nur: Das Paket ist eher ein Päckchen; die ursprünglich von Finanzminister Christian Lindner (FDP) angestrebten sieben Milliarden Euro Entlastung und Förderung für die Wirtschaft sind auf 3,2 Milliarden Euro zusammengeschmolzen. Und selbst um dieses Päckchen ist ein Streit entbrannt, der teilweise bizarr anmutet.

Denn eigentlich sehen alle Beteiligten - Ampel, Union und Länder -, dass angesichts der mauen wirtschaftlichen Aussichten etwas passieren muss. Eigentlich sind auch alle einverstanden mit dem Maßnahmenbündel, verlangen mehrheitlich sogar, dass noch viel mehr getan werden müsse. Das Ergebnis all dieser Einigkeit aber ist: Ob das Wachstumschancengesetz wirklich kommt, ist unklar.

Den Bundesländern war Lindners Ursprungsgesetz zu teuer

Was bisher geschah, lässt sich im Großen und Ganzen so zusammenfassen: Weil den Ländern Lindners Ursprungsgesetz zu teuer war, haben sie im Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen. In den informellen Vorverhandlungen wurde das Paket dann wunschgemäß geschrumpft; unter anderem strichen die Verhandler die geplante Prämie für klimagerechte Investitionen.

Übrig geblieben sind im Kern vor allem bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, eine vorteilhaftere Verrechnung von Gewinnen und Verlusten, eine großzügigere Forschungsförderung und - zur Ankurbelung der Baukonjunktur - neue Abschreibungsregeln für Wohngebäude. Die Kosten liegen insgesamt bei gut 3,2 Milliarden Euro im Jahr; knapp 1,4 Milliarden für den Bund, knapp 1,3 Milliarden für die Länder und 555 Millionen für die Kommunen - so es steht in dem Gesamttableau, das vom Finanzministerium an den Vermittlungsausschuss versandt wurde und der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Inhaltlich war man sich also einig in der Runde der Verhandler. Bis, so heißt es aus Teilnehmerkreisen, auf der Zielgeraden Richtung Vermittlungsausschuss unter anderem Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) verlangt habe, dass für eine Zustimmung der Unionsseite die Ampel jetzt aber auch noch ihre beschlossenen Kürzungen bei der Agrardieselförderung zurücknehmen müsse. Was die Ampel natürlich ablehnte. Weshalb im "Einigungsvorschlag" für den Vermittlungsausschuss jetzt zuerst steht, worauf man sich alles geeinigt hat - also die inhaltlichen Fragen - und dann die Vorbehalte der Unionsseite zum Agrardiesel aufgeführt sind sowie der Hinweis, dass alle "übrigen Teilnehmer der Verhandlungsrunde" diese Vorbehalte zurückweisen.

Brandbrief
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Auch beim Agrardiesel geht es um Steuern, sagt die Union

In der Ampel sind sie schwer genervt. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Schrodi, der mitverhandelt hat, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass es in der informellen Runde eine Einigung zum Wachstumschancengesetz gegeben habe, die auch dem Vermittlungsausschuss übermittelt worden sei. "Wir wollen und brauchen Wachstumsimpulse für unsere Wirtschaft. Herr Merz und Herr Söder müssen sich jetzt entscheiden, ob sie diese Wachstumsimpulse durch eine Vermengung mit sachfremden Themen verhindern wollen." Auch FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer, wirft der Union vor, "Parteiprofilierung vor die Interessen des Landes" zu stellen. "Ich hoffe, dass hier ein Innehalten und Einlenken stattfindet." Die deutsche Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen, sei das Gegenteil von dem, was die Union "in Sonntagsreden" propagiere.

Mathias Middelberg (CDU), der für die Unionsfraktion in der informellen Arbeitsgruppe saß, sieht das anders. "Die Union blockiert nicht", sagte er der SZ. Er verweist zum einen darauf, dass der Vermittlungsausschuss von den Ländern gemeinsam angerufen worden sei, den SPD-geführten wie den unionsgeführten. Zum anderen verteidigt er die "Einbindung des Agrardiesels" in die Verhandlungen als "sachgerecht". Es gehe auch beim Agrardiesel "thematisch um Steuern für unsere Unternehmen - und da kann es nicht sein, dass Entlastungen für die Wirtschaft insgesamt durch erhöhte Steuern zulasten einzelner kleiner Branchen gegenfinanziert werden".

Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, stellte diese Woche folgende Rechnung auf: Von den verbliebenen gut drei Milliarden Euro Entlastungsvolumen durch das Wachstumschancengesetz steuere der Bund knapp die Hälfte bei - was wiederum bedeute, dass etwa ein Drittel dieses Bundesanteils mit genau der halben Milliarde gegenfinanziert werde, die der Bund den Bauern über die Agrardieselkürzungen wegnehmen wolle.

Das Wachstumschancengesetz mit einer "ungerechtfertigten Steuererhöhung" für die Landwirte zu finanzieren? Das sei für die Union "nicht zu akzeptieren", so Dobrindt - weshalb man der Regierung angeboten habe, dem Entlastungsgesetz im Vermittlungsausschuss zuzustimmen, wenn sie im Gegenzug ihre Agrardieselpläne beerdige. "Wenn man unsere Zustimmung will, muss man unsere Forderungen berücksichtigen", so Dobrindt am Dienstag.

Das Vorgehen der CDU bringt die SPD-Länder in Not

Die Ampelpartner aber haben erkennbar Schwierigkeiten, die von der Union proklamierten Zusammenhänge denklogisch nachzuvollziehen. Denn tatsächlich steht die Kürzung der Agrardiesel-Subventionen am Mittwochabend gar nicht auf der Tagesordnung des Vermittlungsausschusses. Formal gibt es keinerlei Zusammenhang zwischen Agrardiesel und Wachstumschancengesetz - es gibt nur die Unionsforderung, dass es diesen Zusammenhang geben müsste. Aus Unionskreisen ist zu hören, dass der Vermittlungsausschuss nun mal derzeit das einzige Gremium sei, in dem Bund, Länder, Ampel und Union miteinander über ein wirtschaftspolitisches Thema verhandelten - auch deshalb habe man die Gespräche über das Wachstumschancengesetz für den Agrardieselvorstoß nutzen müssen.

Grünen-Fraktionsvize und Mitverhandler Andreas Audretsch verweist dagegen auf den aktuellen Brief von 18 Wirtschaftsverbänden an die Ministerpräsidenten, in dem eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes gefordert wird. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz die deutsche Wirtschaft im Vermittlungsausschuss fallen lasse, "beweist er eines erneut: seine eigene Regierungsunfähigkeit", so Audretsch.

Niedersachsen ist "Agrarland Nummer eins", sagt Ministerpräsident Weil

Klar ist, dass das Vorgehen der Union auch einige SPD-Länder in gewisse Nöte bringt. Nach den Sparbeschlüssen der Ampel hatten sich nämlich gleich mehrere von ihnen gegen die geplanten Agrarkürzungen gewandt. Die niedersächsische Landesregierung tat sich Anfang Januar sogar mit fünf landwirtschaftlichen Verbänden zusammen - für einen Appell an den Bund, dass dessen "Agrardiesel-Pläne" gestoppt werden müssten. SPD-Landeschef Stephan Weil wurde in dem Appell mit den Worten zitiert, Niedersachsen sei "Agrarland Nummer eins" und wolle das auch bleiben. Deswegen müssten die Landwirte bei der Transformation unterstützt "und nicht zusätzlich belastet werden".

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CDU-Fraktionsvize Middelberg wies diese Woche entsprechend genüsslich darauf hin, dass sich für viele SPD-Ministerpräsidenten wie etwa Weil nun die Frage stelle, "ob deren lautstarke Forderungen, die Streichung der Rückvergütung des Agrardiesels zurückzunehmen, ehrlich gemeint oder nur politische Taktik waren". Auch Unionsverhandler Jens Spahn sagte: "Da geht es auch um die Glaubwürdigkeit von Politik. Wenn selbst die SPD-Ministerpräsidenten sagen, die Agrardieselkürzungen sind falsch - dann muss daraus auch Politik werden, sonst geht Vertrauen kaputt."

Fragt sich nur, welche Politik.

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