Supreme Court:In den USA fällt das landesweite Recht auf Abtreibung

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Carrie McDonald (Mitte) und Soraya Bata (rechts) protestieren vor dem Supreme Court in Washington gegen dessen Abtreibungsurteil. (Foto: Anna Moneymaker/AFP)

Künftig können die Bundestaaten einen Schwangerschaftsabbruch verbieten - dafür macht das höchste Gericht des Landes den Weg frei. Nach fünf Jahrzehnten revidiert es damit ein umstrittenes Urteil. Präsident Biden spricht von "Verwirklichung einer extremen Ideologie".

Von Kassian Stroh

Die obersten Richter der USA machen den Weg frei für Abtreibungsverbote. Der Supreme Court hat entschieden, sein Grundsatzurteil von 1973 zurückzunehmen, das Frauen grundsätzlich das Recht einräumte, eine Schwangerschaft zu beenden. Fünf der neun Richter stimmten für diese Entscheidung, wie der Supreme Court am Freitag mitteilte. "Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung", heißt es in der Urteilsbegründung.

Politisch ist das ein großer Erfolg für die Konservativen und die sogenannte Lebensrechtsbewegung, die dies seit Langem lautstark fordern. US-Präsident Joe Biden nannte das Urteil in einer ersten Reaktion einen großen Fehler: "Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs."

Paragraf 219a
:Informieren über Abtreibungen "ohne Druck und Kriminalisierung"

Der Bundestag hat den Paragraf 219a abgeschafft. Ärztinnen und Ärzte können künfig qualifiziert über Schwangerschaftsabbrüche aufklären, ohne dass ihnen dafür Strafverfahren drohen.

Dass der Supreme Court so entscheiden würde, hatte sich in den vergangenen Wochen bereits abgezeichnet. Anfang Mai war ein Entwurf des Urteilstextes öffentlich geworden. Der Text löste Proteste und große Demonstrationen insbesondere in den Metropolen der USA aus. Denn die Befürworter der bisherigen Abtreibungsvorschriften befürchten massive Konsequenzen für Frauen. Wenn es künftig keine bundesweite Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen mehr gibt, liegt die Zuständigkeit bei den Bundesstaaten. Viele republikanisch regierte wollen Abtreibungen weitgehend verbieten; in Erwartung eines entsprechenden Spruchs des Supreme Courts haben manche bereits schärfere Gesetze auf den Weg gebracht.

Ex-Präsident Barack Obama rief am Freitag zum Widerstand auf. "Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen - und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen", schrieb er auf Twitter. Obama teilte zudem einen Bild mit einem Text: "Schließt Euch den Aktivisten an, die seit Jahren Alarm schlagen beim Zugang zu Abtreibungen, und handelt. Steht mit ihnen bei einem örtlichen Protest", hieß es dort. "Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen", sagte die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, und warnte: Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang. "Das ist todernst."

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Die Republikaner hingegen jubelten: "Wir begrüßen diese historische Entscheidung, die unzählige unschuldige Leben retten wird", schrieben ihre führenden Vertreter im US-Kongress, Kevin McCarthy, Steve Scalise und Elise Stefanik, in einer gemeinsamen Erklärung. Der Sohn von Ex-Präsident Donald Trump feierte das Urteil als Sieg seines Vaters. "Stolz auf meinen Vater für das, was er heute erreicht hat", schrieb Donald Trump Junior bei Twitter. Dieser habe für "unsere Bewegung" drei Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt, die gegen liberale Abtreibungsregeln seien.

Anfang 1973 hatten die obersten Richter in ihrem Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" entschieden, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen. Seither sind in den meisten US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nahezu uneingeschränkt möglich. Geklagt hatte damals eine 22-jährige Texanerin, die ihre ersten beiden Kinder wegen ihrer schwierigen sozialen Lage zur Adoption freigegeben hatte. Eine weitere Schwangerschaft abzubrechen wäre ihr nach den Gesetzen des Bundesstaates Texas nur dann erlaubt gewesen, wenn ihre eigene Gesundheit gefährdet gewesen wäre. Die Frau sah darin eine Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre, klagte dagegen und bekam vor dem Supreme Court schließlich Recht.

Laut "Roe gegen Wade" darf eine Frau die Schwangerschaft bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Fötus abbrechen. Damals wurde das mit der 28. Schwangerschaftswoche angesetzt, heute etwa mit der 24. Schwangerschaftswoche. Nach dem dritten Schwangerschaftsmonat darf der Staat demnach das Abtreibungsverfahren regulieren, aber nur soweit zum Schutz der Gesundheit der Frau nötig. Diese Entscheidung, die der Supreme Court 1992 im Verfahren "Planned Parenthood gegen Casey" weitgehend bestätigte, wurde und wird in den USA kontrovers diskutiert. Anders als heute war der Gerichtshof damals von einer liberalen Richtermehrheit geprägt.

Die jetzige Mehrheit der Richter kritisierte ihre Vorgänger harsch: "Roe war vom Tag seiner Entscheidung an ungeheuer falsch und auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Casey hat seine Fehler fortgesetzt", heißt es in der aktuellen Urteilsbegründung. Nun gebe man die "Befugnis", das Abtreibungsrecht zu regeln, an das Volk und seine gewählten Vertreter zurück.

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