EVP:Verteidigung ist der beste Angriff

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"Unser Europa schützt seine Bürger": Die EVP unter Führung von Manfred Weber will Ursula von der Leyen zur Spitzenkandidatin machen. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Vor der Europawahl wechselt die EVP ihren Programmschwerpunkt: weg vom Grünen Deal, hin zur Sicherheitsunion. Bleiben aber soll die Frau an der Spitze, Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Europäische Volkspartei (EVP) trifft sich Mitte dieser Woche in Bukarest zu einem Kongress, den man getrost auch als Krönungsmesse bezeichnen könnte. Denn die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen wird am Donnerstagmittag in der Messehalle Romexpo feierlich zur Spitzenkandidatin für die Europawahlen Anfang Juni gekürt, das ist der Plan. Christdemokratisch-konservative Partei- und Regierungschefs aus ganz Europa werden der Deutschen Rückendeckung geben. Damit hat die Präsidentin der EU-Kommission beste Chancen, weitere fünf Jahre im Amt bleiben zu können.

Und dennoch soll es nach dem Willen ihrer Parteienfamilie eine neue Kommissionspräsidentin geben. Darauf lässt jedenfalls ein Blick ins Wahlmanifest der EVP schließen, das am Mittwochabend unter Regie des EVP-Vorsitzenden Manfred Weber (CSU) verabschiedet werden soll. Mehr Verteidigung, weniger Umweltschutz - so könnte man das Papier stark verkürzt betiteln.

Immer wieder war in den vergangenen Jahren aus der EVP zu hören, Ursula von der Leyen profiliere sich zu sehr als Architektin des "Grünen Deals". Sie kümmere sich nicht um das Thema Sicherheit, ein Herzensanliegen der EVP. Von der Leyen, so lautete der Vorwurf, liefere keine Vorstöße für eine europäische Verteidigungspolitik, auch keine bahnbrechenden Initiativen, um die irreguläre Migration nach Europa einzudämmen. Sie sei eben "die Präsidentin Macrons, nicht der EVP". Der französische Präsident hatte 2019 von der Leyen bei den Beratungen der Staats- und Regierungschefs als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen, weil er den CSU-Politiker Manfred Weber, obwohl erfolgreich als EVP-Spitzenkandidat, nicht für tauglich hielt.

Das EVP-Manifest klingt stark nach Macrons einstigem Programm

Nun verabschiedet die EVP ein Manifest, das in Teilen stark nach Emmanuel Macrons "europäischer Souveränität" klingt. Das Programm der Kommission zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie, das am Dienstag in Brüssel vorgestellt wurde, wäre demnach nur ein erster, kleiner Schritt. Als langfristiges Ziel benennt die EVP, ergänzend zur Nato, eine "Europäische Verteidigungsunion mit integrierten europäischen Streitkräften zu Lande, zu Wasser, im Cyberspace und in der Luft". Auch von einem "europäischen nuklearen Schutzschild" ist die Rede.

Macron hatte ähnliche Überlegungen 2017 propagiert, Europa stand damals unter dem Eindruck der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Passiert ist so gut wie nichts, was vor allem am Widerstand der deutschen CDU-Kanzlerin Angela Merkel lag. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Trump hat gute Chancen, im November wiedergewählt zu werden, die Nato hat er erneut infrage gestellt. Und die EU fängt erst jetzt an, sich darauf vorzubereiten.

Um den Aufbau der europäischen Verteidigungsindustrie voranzutreiben, soll es nach dem Willen der EVP künftig einen eigenen EU-Kommissar für Verteidigung geben. Zudem fordert sie die Gründung eines "Europäischen Sicherheitsrates", dem die 27 Mitgliedsländer sowie Staaten wie Großbritannien, Norwegen und Island angehören könnten. Die Eigenständigkeit Europas stärken soll auch ein eigener EU-Außenminister als Vizepräsident der Kommission. Das Amt des "Hohen Vertreters" für Außen- und Sicherheitspolitik, das derzeit der Spanier Josep Borrell innehat, würde demnach abgeschafft.

Alle diese Ideen stehen unter dem Titel "Unser Europa schützt seine Bürger" ganz oben im EVP-Manifest. Dazu gehört, neben der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine und intensiverer Verbrechensbekämpfung, auch eine grundlegende Reform der europäischen Einwanderungspolitik. Das Ziel: Asylverfahren sollen in "sichere Drittstaaten" ausgelagert werden, ein Verfahren, das allgemein bekannt ist als "Ruanda-Modell".

Das alles ist, wohlgemerkt, ein Wahlprogramm, das Ursula von der Leyen zu vertreten hat - es ist aber noch lange nicht ihr Regierungsprogramm. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die EVP die Wahl gewinnen, mit großer Wahrscheinlichkeit werden die 27 Staats- und Regierungschefs Ursula von der Leyen wieder als Kommissionspräsidentin vorschlagen. Aber um im Europaparlament gewählt zu werden, muss sie gemeinsam mit Manfred Weber nach Bündnispartnern suchen. Und dabei wird sich die Frage stellen, was aus dem großen Vermächtnis ihrer ersten Amtszeit wird, der Umwelt- und Klimapolitik.

Jetzt ist von "Überregulierung" bei Umweltgesetzen die Rede

Die EVP beharrt darauf, der Grüne Deal sei eines ihrer Markenzeichen. Zugleich stellt sie der Wählerschaft in Teilen dessen Rückabwicklung in Aussicht, soweit er Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährde. Vor allem Landwirte und kleinere Unternehmen sollen von "Überregulierung" entlastet werden. Alle Umweltgesetze sollen auf den Prüfstand kommen, dazu gehört, auch wenn das im letzten Entwurf des Wahlprogramms steht, das für 2035 beschlossene Aus des Verbrennungsmotors. Die EVP bekennt sich zu "Technologieoffenheit", während sie Grünen und Sozialdemokraten "Ideologie" unterstellt.

Ursula von der Leyen hat, wie Manfred Weber, schon erklärt, dass sie die strategische Zusammenarbeit mit Parteien rechts von der EVP nicht ausschließt. Das ist die Linie für den Wahlkampf. Nach der Wahl muss sie dann entscheiden, ob sie das wirklich will: ein sicheres Europa bauen mit Parteien wie den postfaschistischen Fratelli der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

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