Waffen für die Ukraine:Zu wenig, zu spät

Lesezeit: 2 min

Der ukrainische Präsident ist ständig in Verhandlungen mit Unterstützern. Dieses von seinem Büro veröffentlichte Bild zeigt ihn vor einer Telefonkonferenz mit dem niederländischen Ministerpräsidenten vergangene Woche. (Foto: Büro des Präsidenten/Planet Pix/ZUMA Press Wire/dpa)

Die ukrainische Gegenoffensive hat noch keinen großen Erfolg. Militärexperten sagen, dies liege auch daran, dass der Westen bei der Lieferung von Waffen und Munition häufig zögert.

Von Florian Hassel, Belgrad

Zwei Patriot-Raketenabwehrsysteme, zehn Kettenfahrzeuge Bandvagn und 100 Maschinengewehre von Deutschland. Granatwerfer von der Slowakei. Gepanzerte Truppentransportfahrzeuge von Polen: Es ist eine eindrucksvolle Lieferallianz, die die Ukraine im Abwehrkrieg gegen Russland mit neuen Waffen und Ausrüstung unterstützt. Die zwei von Deutschland gelieferten Patriot-Abwehrsysteme aus US-Produktion hält Präsident Wolodimir Selenskij für die weiter von täglich Dutzenden russischer Raketen, Marschflugkörper und Drohnen angegriffene Ukraine für so wichtig, dass er Deutschland im Allgemeinen und "Olaf" im Besonderen für die Patriots dankte. "Jede bedeutende Kräftigung unserer Luftverteidigung bedeutet Tausende geretteter Leben", so Selenskij am Wochenende.

Deutlich bescheidener sieht es freilich bei notwendigen Lieferungen für die je nach Frontabschnitt nur langsam vorankommende oder feststeckende ukrainische Sommeroffensive aus. Zwar ist die Ukraine im Süden seit Beginn der Offensive an mehreren Stellen um bis zu rund 18 Kilometer vorgerückt, was das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) für "taktisch bedeutsam" hält. Große Durchbrüche oder Erfolge aber blieben bisher aus - was nach Einschätzung führender Experten vor allem auch daran liegt, dass westliche Waffen viel zu spät oder gar nicht geliefert wurden.

Anfang 2023 wäre womöglich ein besserer Zeitpunkt für die Offensive gewesen

Jack Watling vom englischen Militärforschungsinstitut Rusi kritisiert, die Notwendigkeit für eine ukrainische Offensive habe schon im April 2022 festgestanden; von Juli 2022 an sei klar geworden, welche Waffen und Ausrüstung die westlichen Alliierten liefern müssten. Doch erst im Januar 2023 seien entsprechende Entscheidungen getroffen - und die entsprechenden Waffen seien erst weitere Monate später geliefert worden. Mit verheerenden Folgen.

Watling zufolge, der regelmäßig in den Frontgebieten der Ukraine forscht, waren Russlands Truppen Anfang 2023 überaus verletzlich - zu dem Zeitpunkt, den der ukrainische Oberkommandeur Walerij Saluschnyj ursprünglich als Beginn der Offensive geplant hatte. Erst von März 2023 an hätten Russlands Truppen und Ingenieure "formidable Verteidigungen im Süden" aufgebaut: Gräben, Minenfelder und andere Befestigungen, die der Ukraine jetzt so zu schaffen machen. "Die ukrainische Offensive mag noch Erfolg haben, aber ihr Preis ist wegen der westlichen Lethargie stark gestiegen", so Watling vergangene Woche.

Zwar sah etwa US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Chancen für eine ukrainische Offensive offiziell sehr positiv. Tatsächlich aber stellten Pentagon-Experten im Februar 2023 in geheimen Studien fest, dass die Ukraine weder genug Ausrüstung noch Soldaten habe, um russisch besetztes Territorium im großen Maßstab zu befreien.

Dass sich daran nichts grundsätzlich änderte, darauf lässt auch ein Auftritt des eng mit Amerikanern und Ukrainern zusammenarbeitenden Chef der britischen Streitkräfte, Admiral Tony Radakin, schließen. Am 4. Juli gab Radakin im Verteidigungsausschuss des britischen Parlaments zu, die Ukraine werde in ihrer Offensive gegen "sehr effektive Verteidigungslinien" der Russen etwa durch "Mangel an Luftdeckung" gehindert, sprich: an modernen Jagdflugzeugen à la F- 16. "Die Ukrainer haben nicht all die Ausrüstung bekommen, die sie gewollt haben, und wir sehen, welche Folgen das hat ... Was die Ukraine braucht, ist zusätzliche Ausrüstung", so der britische Streitkräftechef.

Flugzeuge für die Ukraine
:Was der Kampfjet "F-16" kann - und was nicht

Der Westen will der Ukraine Kampfflugzeuge liefern. Für die Offensive kommen die "F-16" zu spät, ganz problemlos sind sie auch nicht. Was nützen die Maschinen dem Land dann? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Sebastian Gierke

Der Ukraine fehlt es dem Sekretär ihres Nationalen Sicherheitsrates zufolge neben Kampfflugzeugen auch an Minenräumern, an weitreichenden Marschflugkörpern wie dem deutschen Taurus, an Drohnen und vor allem auch an Munition. So habe Russland im ersten modernen Drohnenkrieg "eine 5:1 numerische Überlegenheit", so Sicherheitsratssekretär Oleksij Danilow Anfang August. Deutschland etwa hat der Ukraine 88 Vector-Aufklärungsdrohnen zur Verfügung gestellt; der Rüstungskonzern Rheinmetall will der Ukraine nun auch Luna-Aufklärungsdrohnen liefern. Allerdings verliert die Ukraine einem Rusi-Report vom 19. Mai zufolge jeden Monat rund 10 000 Drohnen.

Ebenso drängend ist der fortdauernde Mangel der Ukrainer an Artilleriemunition bei Projektilen von 122, 152 und 155 Millimetern Durchmesser. Die Ukraine verbraucht Danilow zufolge jeden Monat mindestens 90 000 Granaten allein vom 155-Millimeter-Typ - der Hauptlieferant USA aber stelle monatlich nur 24 000 Stück her, so Danilow. Indes haben Länder wie Bulgarien die Ukraine bereits mit 155-Millimeter-Granaten beliefert, bezahlt von den USA. Der Financial Times zufolge soll Washington auch mit Südkorea entsprechende Verträge unterschrieben haben und mit Japan verhandeln.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFukushima
:Wo Mütter die radioaktive Strahlung messen

Japan wird bald Kühlwasser aus dem zerstörten Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi ins Meer leiten. Die UN-Atomenergie-Agentur sieht darin kein Problem. Aber eine Bürgerinitiative misstraut den offiziellen Angaben.

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: