Russischer Erfolg im Krieg:Awdijiwka steht symbolisch für die Lage der Ukraine

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Ein ukrainischer Soldat geht an dem Schauplatz schwerer Kämpfe mit russischen Truppen in der Stadt Awdijiwka. (Archivbild) (Foto: LIBKOS/dpa)

Die Nachricht vom Fall der ukrainischen Frontstadt platzt in die Münchner Sicherheitskonferenz. Präsident Selenskij bekommt langfristige Zusagen - Munition und Flugabwehr bräuchte er aber jetzt.

Von Nicolas Freund

Gleich zwei Ereignisse machten an diesem Wochenende noch einmal die Dringlichkeit des Verteidigungskampfes der Ukraine bewusst: Am Freitag, direkt zum Auftakt der Sicherheitskonferenz in München, verkündeten russische Behörden den Tod des Oppositionellen Alexej Nawalny. In der Nacht auf Samstag gab dann der ukrainische Generalstab den Rückzug seiner Truppen aus Awdijiwka bekannt. Die zuletzt fast vollständig von der russischen Armee eingekreiste Stadt war monatelang Schauplatz heftiger Gefechte gewesen. Der ukrainische Rückzug ist für die russische Armee der erste größere Erfolg seit der Einnahme von Bachmut im Mai 2023. Strategisch hat die Eroberung zwar keinen großen Einfluss auf den Krieg - der Verlust unterstrich kurz vor dem Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij bei der Sicherheitskonferenz aber die äußerst schwierige Lage der ukrainischen Streitkräfte.

Am Sonntag gab die ukrainische Armee bekannt, in der Region Saporischschja im Süden einen weiteren, größeren Angriff der russischen Armee zurückgeschlagen zu haben. Die ukrainische Luftwaffe teilte ebenfalls am Sonntag mit, von 14 Drohnen und zehn Raketen, die russische Streitkräfte in der Nacht auf Ziele in der Ukraine gestartet hatten, seien zwölf Drohnen, aber nur eine Rakete abgefangen worden. Laut ukrainischen Medien sind mindestens zwei Menschen in Kramatorsk und Slowjansk getötet worden.

Neben innenpolitischen Problemen bei der Rekrutierung und Rotation von Soldaten ist es der Mangel an Munition und Flugabwehr, der die Ukraine in die Defensive gezwungen hat. Das Institute for the Study of War in Washington warnte am Samstag sogar, wenn sich daran nichts ändere, könne die russische Armee den Erfolg von Awdijiwka wiederholen.

Selenskij betonte in München die Bedeutung der Luftverteidigung nicht nur für den Schutz der Bevölkerung, sondern auch für Vorstöße der Armee. In seiner Rede im Bayerischen Hof in München beschwor er am Samstag die europäische und transatlantische Einheit. Von konkreten Forderungen sah er ab, aber der dramatische Kontext für seine Rede war mit dem Tod Nawalnys und dem Rückzug aus Awdijiwka ohnehin gesetzt. Wenn man jetzt nicht handle, so Selenskij, dann werde der russische Präsident Wladimir Putin die kommenden Jahre auch für andere Nationen zu einer Katastrophe machen. "Je länger die russische Aggression gegen die regelbasierte Weltordnung weitergeht, desto größer sind die Veränderungen, die sie verursacht", so Selenskij. Den Tod Nawalnys nannte er einen Mord.

Konkret sind es nach wie vor zwei Probleme, die die Lieferung von Artilleriemunition, Flugabwehr und anderen Militärhilfen an die Ukraine stocken lassen: die Blockade eines weiteren Hilfspakets durch die von Ex-Präsident Donald Trump beeinflussten Republikaner im US-Kongress und die europäischen Staaten, die sich nicht auf den Aufbau und die Finanzierung einer effizienten oder sogar gemeinsamen Rüstungsindustrie einigen können.

Biden gibt dem Kongress eine Mitschuld am Fall Awdijiwkas

US-Präsident Joe Biden gab am Samstag in einem Telefonat mit Selenskij der Zögerlichkeit des Kongresses sogar eine Mitschuld am Fall Awdijiwkas, wie das Weiße Haus mitteilte. Selenskij traf in München auch die amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris und Vertreter der Republikaner. Die Demokratin Harris sicherte ihm die Unterstützung der USA zu. Diese Entscheidung liegt allerdings nicht allein in ihrer Hand. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner die Mehrheit.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bei seiner Rede vor dem Auftritt Selenskijs in München der Ukraine wieder die langfristige Unterstützung zugesichert. Erst tags zuvor war in Berlin eine Sicherheitsvereinbarung zwischen Deutschland und der Ukraine geschlossen sowie ein vergleichsweise kleines Hilfspaket im Umfang von 1,1 Milliarden Euro angekündigt worden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärte am Samstag, was die Gründe dafür sind, dass die europäischen Staaten so weit hinter den versprochenen Lieferungen an die Ukraine zurückbleiben: Das sei zum einen der Protektionismus mancher europäischen Länder für ihre eigene Rüstungsindustrie und zugleich die Zögerlichkeit, in diese Industrien zu investieren. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der mit ihm auf dem Podium saß, sagte zu dieser Zögerlichkeit: "Jedes Mal, wenn sich ukrainische Soldaten aus einem ukrainischen Ort wegen Munitionsmangels zurückziehen, denken Sie daran: Es geht nicht nur um die Verteidigung der Demokratie und der regelbasierten Weltordnung. Es geht auch darum, dass damit russische Soldaten ein paar Kilometer näher an eure Städte, eure Häuser, eure Familien und eure Kinder heranrücken."

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