Social Media:Mit Kurzvideos zum Erfolg

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Wie beim Zappen vor dem Fernseher: Das Programm spült automatisch Videos auf den Bildschirm, man wischt sich von einem zum nächsten. (Foto: Robin Utrecht/picture alliance)

In den Vereinigten Staaten könnte die chinesische Plattform Tiktok verboten werden. Wie funktioniert die App eigentlich, und warum gibt es auch in Europa Bedenken gegen sie?

Von Titus Blome

Die chinesische App Tiktok ist noch immer der Neuling unter den sozialen Medien. Erst 2018 wurde sie Nachfolger von Musical.ly, einem Portal, in das besonders junge Menschen Kurzvideos von sich hochluden, wo sie passend zu beliebten Songs die Lippen bewegten. Kurzvideos sind auch heute noch das Erfolgsrezept von Tiktok, jedoch dreht sich längst nicht mehr alles um Musik. Während der Pandemie gewann die App rasant Nutzer: Überall auf der Welt luden Menschen Videos von sich im Lockdown hoch - vom Tanzen, Kochen oder von kleinen Comedy-Sketchen. Inzwischen kann man in der App alles finden von Schminkvideos bis zu Kurzvorlesungen über französische Philosophie. Früher waren die Videos maximal 15 Sekunden lang, heute erlaubt die App bis zu zehn Minuten.

Tiktoks Erfolg hat vor allem zwei Gründe: das Design und den Algorithmus. Zum Design: Andere soziale Medien wie Facebook oder X, ehemals Twitter, füllen den Bildschirm stets mit mehreren Beiträgen gleichzeitig. Tiktok hingegen zeigt immer nur ein einziges Video. Wischt man das Video nach oben, schlägt die App ein neues vor, wischt man nach unten, kommt man zum vorigen zurück. Die App ist intuitiv zu bedienen; lädt man sie herunter, kann man direkt loslegen.

Man kann die Videos anderer Nutzer abonnieren, doch die meisten Filmchen sind Empfehlungen des Algorithmus. Die App misst, wie lange man auf jedem Video verweilt, ob man auf "Gefällt mir" klickt oder nicht. So lernt sie die Präferenzen ihrer Nutzer und kann die vorgeschlagenen Videos immer präziser auf sie zuschneiden. Darin ist Tiktok so gut, dass Leute auf der App häufig scherzen, der Algorithmus kenne sie besser als sie sich selbst. Der Suchtfaktor ist groß, ein Ende des Videostroms existiert nicht. Theoretisch kann man von Video zu Video wischen, bis die Erde in die Sonne stürzt. Insgesamt ist Tiktok weniger soziales Medium als eine Rückkehr zum Fernsehen, wo man stundenlang von Kanal zu Kanal zappt.

Instagram und Snapchat haben sich einiges von Tiktok abgeschaut

Mit diesem Modell ist die App sehr erfolgreich. Sie hat rund 1,5 Milliarden Nutzer weltweit, 150 Millionen davon befinden sich laut Betreiber Bytedance in Europa. Im Schnitt verbringen Nutzer 95 Minuten am Tag auf der App, besonders bei jüngeren sind es häufig mehr. Das macht einige nervös: Zunächst sind da die anderen Plattformen, denen Tiktok Konkurrenz macht. Die haben als Reaktion auf Tiktoks Erfolg das Modell so pragmatisch wie schamlos einfach kopiert. Instagram und Snapchat haben in den vergangenen Jahren ebenfalls algorithmische Videovorschläge im Tiktok-Stil eingeführt.

Doch auch in den Zentren der Macht sorgt man sich über den Erfolg der chinesischen App, wobei "chinesisch" hier das Schlüsselwort ist. In den Vereinigten Staaten läuft derzeit ein Gesetzgebungsverfahren, das auf ein Verbot der App hinausläuft. "Das wird sicher auch Auswirkungen auf die Debatte in Europa haben", sagt Politologe und Tiktok-Experte Marcus Bösch. "Die Datenschutzbedenken, um die Politiker sich sorgen, sind jedoch meist recht diffus." Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Ulrich Kelber, empfiehlt den Bundesministerien und -behörden, die App nicht auf dienstlichen Geräten einzusetzen. Vor einem Jahr wurde Mitarbeitern des EU-Parlaments und der -Kommission verboten, Tiktok auf ihre Diensthandys zu laden. Der chinesische Staat könne womöglich über die App auf die Geräte zugreifen, lautete die Begründung. Tiktok bestritt das seitdem mehrfach. Inzwischen prüft die EU-Kommission, ob Tiktok ausreichend für Jugendschutz und gegen illegale Inhalte tue und, laut eines Berichts des Spiegels, ob die App gezielt Inhalte empfiehlt, die mit den Interessen der chinesischen Regierung übereinstimmen.

Trotz des Unbehagens gegenüber der App erkennen Politiker, wie wichtig sie ist. "Die AfD ist sehr präsent auf Tiktok", sagt Bösch. "Die Partei und ihre Anhänger erreichen mehr Nutzer als alle anderen Parteien zusammen." Olaf Scholz hat als Reaktion kürzlich sogar einen Tiktok-Account der Bundesregierung angekündigt. Dass er selbst bald erste Tanzvideos hochlädt, ist eher unwahrscheinlich.

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