Pegasus-Software:Enttarnte Spione

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In Bedrängnis: Spaniens Premier Pedro Sánchez. (Foto: SUSANA VERA/REUTERS)

In Spanien wurden katalanische Separatisten vom Geheimdienst abgehört. Stürzt Premier Sánchez über die Spionage-Vorwürfe?

Von Karin Janker, Madrid

Eigentlich ist Diskretion oberstes Gebot für die Arbeit von Spionen und Geheimdiensten. Doch in Spanien soll nun alles ans Licht - zumindest wenn es nach dem Willen derer geht, die sich als Opfer eines der größten Spionage-Skandale in der spanischen Geschichte sehen. Rund vier Wochen nachdem das kanadische Forschungsinstitut Citizen Lab öffentlich gemacht hat, dass mehr als 60 katalanische Separatisten in den vergangenen Jahren mit der Späh-Software Pegasus abgehört wurden, gerät Spaniens Premier Pedro Sánchez zunehmend in Bedrängnis.

Der Vorwurf, der im Raum steht, lässt sich nicht ohne Weiteres ausräumen, und er ist gravierend: Hat Sánchez seine späteren Bündnispartner im spanischen Parlament abhorchen lassen, während er gleichzeitig mit ihnen aushandelte, dass sie ihn zum Premier machen? Oder war alles anders, und die Lage ist für Sánchez sogar noch brisanter: Handelt der spanische Geheimdienst womöglich bar demokratischer Kontrolle und hat in Wirklichkeit nicht nur die katalanischen Linksrepublikaner, sondern über sie indirekt auch Sánchez selbst während der Sondierungsgespräche abgehört? Mit anderen Worten: Gibt es den "Deep State", jenen Staat im Staat, vor dem Teile der spanischen Linken seit Jahrzehnten warnen?

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Das Spiel der Spekulationen ist in Spanien jedenfalls in vollem Gange. Fast täglich gelangen neue Details in die Medien, die - je nach Perspektive - die eine oder die andere Theorie stützen. Dabei hatte Sánchez wohl gehofft, die Affäre alsbald zu den Akten legen zu können. Er ist fest entschlossen, weiter zu regieren bis ins kommende Jahr, wenn regulär Wahlen angesetzt sind. Doch nun wird das Raunen lauter, dass er sich bis dahin womöglich nicht wird halten können. Seine Legitimation als Regierungschef, der nach der harten Hand seines Vorgängers Mariano Rajoy auf den Dialog mit Katalonien setzte, ist angeknackst.

Der Sozialist Sánchez ist Chef einer Minderheitsregierung in Koalition mit der linkspopulistischen Partei Podemos. Um Gesetze durchs Parlament zu bringen, ist diese Regierung angewiesen auf die Unterstützung von Bündnispartnern. Bislang konnte Sánchez meist auf die Stimmen der 13 Abgeordneten der katalanischen Esquerra Republicana (ERC) zählen, die in Barcelona den Regionalpräsidenten Pere Aragonès stellt. Doch seit Aragonès' Name im Bericht des Citizen Lab auf der Liste der Zielpersonen aufgetaucht ist, baut ERC Druck auf Sánchez auf. Zuletzt verweigerte sie ihm die Zustimmung für ein Maßnahmenpaket, das Spaniens Mittelschicht von den gestiegenen Lebenshaltungskosten wegen des Kriegs in der Ukraine entlasten soll.

Sánchez musste bereits Opfer bringen

Aragonès fordert Konsequenzen aus der Spionage-Affäre. Verteidigungsministerin Margarita Robles sollte zurücktreten, und es sollte eine Untersuchungskommission eingesetzt werden. Sánchez aber lieferte ihm seine Ministerin nicht aus, stattdessen musste in dieser Woche die Chefin des Geheimdienstes, Paz Esteban, gehen. Warum? So genau konnte das nicht einmal die Regierungssprecherin erklären. Esteban hatte wenige Tage zuvor einen seltenen Einblick in die Arbeit ihres Dienstes gewährt: Ja, Aragonès und 17 weitere katalanische Aktivisten und Politiker seien im Herbst 2019 von ihren Beamten abgehört worden. Man habe damals erneut die Gefahr einer drohenden Abspaltung Kataloniens gesehen. Richter hätten die Überwachung der Telefone abgesegnet. Ein Fehler, der ihren Rücktritt begründen wurde, war nicht ersichtlich.

Beobachter sind sich daher einig: Paz Esteban war ein Bauernopfer, um den Konflikt mit Barcelona möglichst schnell zu befrieden. Ein anderes Opfer hatte Sánchez bereits in der Woche zuvor gebracht. Da gab Spaniens Regierung bekannt, ebenfalls abgehört worden zu sein. Auf den Handys von Premier Sánchez, seiner Verteidigungsministerin und des Innenministers seien ebenfalls Spuren der Pegasus-Software gefunden worden. Die Angriffe datieren demnach aus dem Frühjahr 2021. Warum sie erst jetzt veröffentlicht wurden? Noch so eine offene Frage. Über das Timing wunderte sich nicht nur das kanadische Citizen Lab, das zudem kritisierte, dass kein detaillierter Untersuchungsbericht veröffentlicht wurde.

Sánchez wäre nicht der erste Regierungschef, der - mutmaßlich von einem ausländischen Geheimdienst - mit Pegasus abgehört wurde. Aber er ist einer der ersten, die dies proaktiv der Öffentlichkeit mitteilen. Zum allgemeinen Wirrwarr um die Frage, wer in Spanien wen ausgespäht hat, kam nun noch die Frage, wer Daten von Sánchez' Handy gesaugt haben könnte. Übersichtlicher wurde der spanische Spionage-Krimi dadurch jedenfalls nicht.

Die Konservativen kritisieren, der Premier verhalte sich "unwürdig"

Mehr Klarheit und ein bisschen Frieden soll demnächst ein Treffen zwischen Sánchez und Aragonès bringen. Der katalanische Präsident fordert ein solches seit drei Wochen. Vor einer Woche stellte er Sánchez bei einem offiziellen Termin in Barcelona und rang ihm ein kurzes Gespräch ab. "Wir müssen dringend reden, die Sache ist sehr ernst", soll er zu Sánchez gesagt haben. Der nickte. Und ließ eine weitere Woche verstreichen. Nun heißt es, ein "diskretes" Treffen sei für kommende Woche geplant.

Sánchez steckt in der Zwickmühle. Einerseits braucht er die Unterstützung der Linksrepublikaner, andererseits soll es nicht so aussehen, als würde er vor Aragonès einknicken. Genau das wirft ihm die konservative Opposition aber vor. Sánchez habe den Separatisten den Kopf der Geheimdienstchefin als "Willkommensbrief" geschickt, kritisiert Alberto Núñez Feijoo, Chef des Partido Popular. Der spanische Regierungschef verhalte sich "unwürdig".

Aragonès ließ indes wissen, dass die Absetzung der Geheimdienstchefin ihn keineswegs zufriedenstelle. Er verlangt die Freigabe der Akten, Diskretion hin oder her. Sánchez will diesem Wunsch nur stattgeben, wenn ein Richter ihn dazu verpflichtet. Ob und wann es dazu kommt, ist unklar. Der spanische Premier spielt auf Zeit. Schließlich steht nicht nur seine Regierung ohne die Unterstützung der Linksrepublikaner auf der Kippe. Aragonès hat mindestens ebenso viel zu verlieren wie Sánchez: Einen Regierungswechsel in Madrid kann sich der Katalane nicht wünschen, dann wäre sein gerade erst gewonnener Einfluss dahin.

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