Kataloniens Separatisten haben ihre Drohung wahr gemacht: Die Linksrepublikaner haben Premier Pedro Sánchez an diesem Donnerstag im Madrider Parlament ihre Unterstützung verweigert. Und das in einer der wichtigsten Entscheidungen dieser Legislaturperiode. Bei der Abstimmung über ein Maßnahmenpaket, das die spanische Wirtschaft von den Folgen des Ukraine-Kriegs entlasten soll, stimmten die 13 Abgeordneten der ERC-Fraktion mit Nein. Beinahe wäre das Gesetz gescheitert - hätte Sánchez nicht in letzter Minute Hilfe von anderer Seite bekommen.
Die katalanischen Linksrepublikaner sind der wichtigste Verbündete für Sánchez' linke Minderheitsregierung. Eigentlich. Doch sie haben derzeit andere Prioritäten: Die Separatisten sind empört, dass die spanische Regierung aus ihrer Sicht bislang nicht ausreichend Verantwortung für die Spionage-Vorwürfe übernimmt, die in der vergangenen Woche bekannt geworden waren. Einem Bericht des in Toronto ansässigen Forschungsinstituts Citizen Lab zufolge sollen in den vergangenen Jahren mehr als 60 Parlamentarier, Unternehmer und Aktivisten aus dem Spektrum der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung mit der Spähsoftware Pegasus abgehört worden sein. Unter den abgehörten Mobiltelefonen war demnach auch das des amtierenden katalanischen Regionalpräsidenten Pere Aragonès sowie die seiner drei Vorgänger im Amt.
Aragonès macht den spanischen Geheimdienst CNI für die Spähangriffe verantwortlich. Er verlangte von der Regierung in Madrid, mit der er seit seinem Amtsantritt einen Dialog aufzubauen versucht, Transparenz und Aufklärung. Sánchez schwieg zunächst zu den Vorwürfen, schickte dann am Sonntag aber seinen Präsidentschaftsminister Félix Bolaños zu Gesprächen nach Barcelona. Bolaños sollte einen versöhnlichen Ton anschlagen. Er sollte den Weg ebnen für die Abstimmung an diesem Donnerstag.
Doch dann passierte, womit wohl niemand gerechnet hatte: Verteidigungsministerin Margarita Robles, der der Geheimdienst untersteht, machte die zarte Annäherung zunichte, als sie an diesem Mittwoch im Parlament vergleichsweise scharf auf die Vorwürfe reagierte. Was solle ein Staat denn tun, wenn jemand seine Verfassung verletze und die eigene Unabhängigkeit erkläre, sagte die parteilose Ministerin, der nun fehlendes politisches Fingerspitzengefühl nachgesagt wird. Auf die Linksrepublikaner in Barcelona machte ihr heftiger Ausbruch jedenfalls nicht den Eindruck, als bewege sich in Madrid etwas in ihrem Sinne. Aragonès änderte am Mittwochabend die Gangart und forderte nicht nur ausdrücklich den Rücktritt der Ministerin, sondern kündigte auch das Nein seiner Fraktion bei der Abstimmung am Folgetag an.
Maßnahmenpaket soll Spaniens Wirtschaft und die Mittelschicht entlasten
Mit dem Maßnahmenpaket, das seit 1. April vorläufig in Kraft ist und nun gesetzlich verankert werden sollte, will Sánchez Wirtschaft und Bevölkerung entlasten. Sein "Crash-Plan" sieht Unterstützung von insgesamt 16 Milliarden Euro vor. So soll etwa der Spritpreis um 20 Cent pro Liter gesenkt, das während der Pandemie erprobte Kurzarbeitergeld beibehalten und eine vorübergehende Deckelung von Mieterhöhungen eingeführt werden. Außerdem will Sánchez das Grundeinkommen, eine Art Sozialhilfe, für die kommenden drei Monate um 15 Prozent anheben.
Mit dem Paket hofft Sánchez, den sozialen Frieden im Land wiederherzustellen, nachdem im März landesweite Streiks von Lastwagenfahrern und Fischern zur Folge hatten, dass Supermarktregale leer blieben und Bauern Millionen Liter Milch wegschütten mussten, weil diese nicht mehr zur Molkerei transportiert wurden. Die Proteste, vor allem wegen der hohen Energiepreise, machten dem Sozialisten zu schaffen, schon drohte sich eine Bewegung ähnlich der französischen Gelbwesten zu formieren. Viele Menschen in Spanien ächzen unter den immer höher steigenden Lebenshaltungskosten. Die Inflationsrate war im März auf 9,8 Prozent gestiegen und lag damit 2,5 Prozentpunkte höher als in Deutschland.
Sánchez ist überzeugt, dass sein Crash-Plan bereits Wirkung zeigt: Laut neuesten Daten sank die Inflationsrate im April bereits leicht auf 8,4 Prozent. Verbündete für die Verabschiedung des Gesetzespakets suchte der Regierungschef dennoch vergeblich. Nach dem Nein aus Barcelona versuchten die Sozialisten Medienberichten zufolge, die konservative Opposition zumindest zur Enthaltung zu bewegen. Doch am Ende kam es anders.
Dass das Entlastungspaket am Ende trotzdem knapp beschlossen wurde, hat Sánchez der baskischen nationalistischen Partei EH Bildu zu verdanken. Deren Fraktionsvorsitzende Mertxe Aizpurua begründete die fünf Ja-Stimmen, die ihre Partei der Regierung schenkte, damit, dass "die Bevölkerung nicht für die schweren Fehler der Regierung bezahlen" dürfe. Bemerkenswert ist diese Allianz, weil auf der Liste der Personen, die von Pegasus-Spähangriffen betroffen waren, auch zwei Abgeordnete von EH Bildu stehen. Ein zuverlässiger Partner sind die Basken für Sánchez auf Dauer nicht. Die Lösung des Konflikts mit Katalonien ist damit lediglich aufgeschoben.