Strompreise:Wie Spanien seine Mittelschicht entlasten will

Strompreise: Spanische Lkw-Fahrer protestierten Ende März gegen hohe Spritpreise.

Spanische Lkw-Fahrer protestierten Ende März gegen hohe Spritpreise.

(Foto: Manu Fernandez/AP)

Regierungschef Sánchez hat in Brüssel hoch gepokert und sich durchgesetzt: Spanien darf künftig den Strompreis deckeln.

Von Karin Janker, Madrid

Als in Madrid die Milch knapp wurde, setzte Pedro Sánchez in Brüssel alles auf eine Karte. Ihm dürfte klar gewesen sein: Von diesem EU-Gipfel sollte er nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren, denn dort wurde die Luft für ihn langsam dünn. Nach Monaten, in denen in Spanien Privathaushalte, aber auch immer mehr Firmen unter rapide gestiegenen Strompreisen ächzten, traten wegen der hohen Benzinpreise vor zwei Wochen auch noch die Lkw-Fahrer in Streik.

In Spanien begann sich nun eine Bewegung zu formieren, die den französischen Gelbwesten nicht unähnlich ist, auch wenn die Proteste bisher weitgehend friedlich blieben. Der Unmut über die gestiegenen Energiepreise bringt den Sozialisten Sánchez in Erklärungsnöte. Der Krieg in der Ukraine reicht vielen Spaniern als Begründung nicht aus, warum sie plötzlich so viel mehr für Strom, Heizung und Benzin zahlen sollen. Sánchez lief die Zeit davon, immer wieder vertröstete er die Menschen: Er wolle erst mit den europäischen Partnern sprechen. Der EU-Gipfel sollte die Lösung bringen.

Sánchez pokerte hoch am Freitag in Brüssel. Sogar eine gemeinsame Sitzung aller Regierungschefs soll er gesprengt haben. Die Zeitung El País hat inzwischen eine minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse des vergangenen Freitags veröffentlicht. "So kann ich nicht weitermachen", soll Sánchez gesagt haben. Und damit am Ende womöglich deutlich gemacht haben, dass es für Spanien und Portugal wirklich ums Ganze ging. Die beiden Länder setzten jedenfalls eine historische Ausnahme durch: Sie dürfen künftig als einzige Mitgliedsländer vorübergehend ihre Strompreise deckeln.

Bundeskanzler Olaf Scholz klang beinahe anerkennend, als er nach dem Gipfel den spanischen Journalisten sagte, Pedro Sánchez habe "die Interessen seines Landes erfolgreich verteidigt". Doch zufrieden kann der Bundeskanzler damit nicht sein, seine "Skepsis" gegenüber dem Verhandlungsergebnis verschwieg er nicht. Denn Sánchez' Triumph in Brüssel bedeutet eine Niederlage für die deutsche und die niederländische Verhandlungsposition. Beide Länder hatten sich vehement gegen Eingriffe in den Strommarkt ausgesprochen.

Für Spanien und Portugal ist die Lage indes eine andere als für die Mitteleuropäer: Beide Länder erzeugen bereits einen großen Teil ihres Stroms mit erneuerbaren Energien. Im Fall von Spanien machen sie 47 Prozent der Stromproduktion aus, während 15 Prozent aus Erdgas erzeugt werden. Die beiden Länder auf der Iberischen Halbinsel hätten es daher am liebsten gehabt, dass der Strompreis vom Gaspreis entkoppelt wird. Denn jede Erhöhung des europäischen Gaspreises schlägt sich auch in Spanien unmittelbar in einem massiven Ausschlag beim Strompreis nieder.

Neben Milch wird auch Toilettenpapier knapp - die Gründe sind eher psychologisch

Doch eine Entkopplung war in Brüssel nicht durchzusetzen. Daher also die iberische Ausnahme, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Gipfel auch damit rechtfertigte, dass sowohl Spanien als auch Portugal in einer sehr besonderen Lage seien, weil sie kaum ans europäische Stromnetz angeschlossen sind. Tatsächlich beträgt die Austauschkapazität Spaniens gerade einmal drei Prozent. Es ist, als bildeten die Pyrenäen eine unüberwindbare Barriere - zwar nicht für Erdbeeren, Gurken und Tomaten, aber doch für elektrischen Strom.

Sánchez ist nach von der Leyens Rückendeckung zuversichtlich, dass sein Plan zur Strompreisdeckelung aufgeht. Er muss ihn in einigen Wochen der Kommission zur Prüfung vorlegen. Zurück in Madrid zeigt der Regierungschef sich nun voller Tatendrang: An diesem Montag verkündete Sánchez einen "Crash-Plan" als Antwort auf die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine. Dieser sieht Unterstützung von insgesamt 16 Milliarden Euro vor, wobei sechs Milliarden direkt als Hilfen und Steuervergünstigungen sowohl Privatpersonen als auch der Wirtschaft zugutekommen sollen. Der Spritpreis soll um 20 Cent gesenkt werden, das während der Pandemie erprobte Kurzarbeitergeld wird beibehalten, Mieterhöhungen werden vorübergehend auf zwei Prozent gedeckelt. Außerdem will Sánchez das von ihm eingeführte Grundeinkommen, eine Art Sozialhilfe, für die kommenden drei Monate um 15 Prozent anheben und bis zu 1,9 Millionen Haushalte mit Stromgutscheinen unterstützen.

Ob dies die gesellschaftlichen Verwerfungen in der spanischen Mittelschicht befrieden wird? Die Lastwagenfahrer, denen bereits am Freitag eine Entlastung von 20 Cent pro Liter Sprit und Direkthilfen in Höhe von 450 Millionen Euro zugesagt worden waren, bezeichneten dies als "Krümel und Peanuts". Sánchez sagte, dass mit diesem Paket die Branche allein eine Milliarde Euro an Hilfen erhalte. Doch die Streikplattform, die vor allem selbständige Kleinspediteure vertritt, fordert eine Entlastung von mindestens 60 Cent pro Liter und kündigte an, die Streiks fortzusetzen.

Die Versorgungskrise droht sich damit zu verschärfen. Bereits in den vergangenen Tagen blieben immer mehr Regale in Spaniens Supermärkten leer. Vor allem Milch und Obst werden knapp. Einige Molkereien mussten schließen, weil keine Milch mehr bei ihnen ankam, Bauern kippten Millionen von Litern weg, die von den Transporteuren nicht abgeholt wurden. Als weiteres Symptom der Versorgungskrise begannen offenbar viele Spanier zudem Toilettenpapier zu horten. Die Gründe dafür seien, so ein Experte laut El País, allerdings eher psychologisch.

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