Spanien:Sánchez will Rückenwind aus der EU nutzen

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Pedro Sánchez, der als Spaniens Premier jetzt die EU-Ratspräsidentschaft anführt, und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Madrid. (Foto: Bernat Armangue/AP)

Der Ministerpräsident muss um seine Wiederwahl kämpfen. Der Beginn der spanischen EU-Ratspräsidentschaft könnte ihm dabei helfen.

Von Jan Diesteldorf und Karin Janker, Madrid

Es sind Bilder, wie sie sich ein Politiker im Wahlkampf nur wünschen kann: Pedro Sánchez Arm in Arm mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Pedro Sánchez Schulter an Schulter mit EU-Ratspräsident Charles Michel; Pedro Sánchez im innigen Zwiegespräch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Bilder stammen aus den vergangenen Tagen, den ersten Tagen, in denen Spanien die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Selbstverständlich war keiner dieser Fototermine des spanischen Premiers ein Wahlkampfauftritt. Zumindest nicht offiziell.

In Spanien wird in weniger als drei Wochen gewählt. Bei kaum einem EU-Mitglied ist die Europa-Begeisterung so groß wie hier: 84 Prozent der Spanier fühlen sich als EU-Bürger, zehn Prozentpunkte mehr als im europaweiten Durchschnitt. Und so setzt Sánchez auch vor der Wahl am 23. Juli auf Szenen, die auf internationaler Bühne spielen und die Wähler zu Hause davon überzeugen sollen, dass dieser Regierungschef für eine weitere Amtszeit taugt. Er muss das auch, denn die Umfragen sehen nach wie vor seinen Herausforderer vorn.

Pedro Sánchez versteht es, sich staatstragend zu präsentieren. Der Ukraine versprach er bei seinem Besuch am Wochenende 55 Millionen Euro aus Spanien. Ihm sei es wichtig gewesen, "dass der erste Akt der spanischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen mit Selenskij in der Ukraine ist", schrieb Sánchez auf Twitter. Es geht um Signale - nach außen wie nach innen. "Europa ist an Ihrer Seite und Sie sind eins mit Europa", sagte er bei seiner Rede im ukrainischen Parlament, wie immer in perfektem Englisch.

Ein neues Museum ist rechtzeitig fertig geworden

Seine Sprachkenntnisse und sein internationales Netzwerk hat der 51-Jährige seinem zehn Jahre älteren Herausforderer Alberto Núñez Feijóo voraus. Feijóo war fast sein ganzes Leben lang erfolgreicher Regionalpolitiker in Galicien und hat jüngst in einem Interview zugegeben, dass er kein Englisch spreche, "wie die meisten Spanier". Dass die spanische Ratspräsidentschaft unter anderen Prämissen ablaufen dürfte, falls der Konservative Ende Juli die Wahl in Spanien gewinnt, ist insofern gewiss.

Feijóo beschwerte sich in Brüssel vergangene Woche darüber, dass die spanische Regierung den Oppositionsführer nicht über ihre Pläne für das Halbjahr der Ratspräsidentschaft informiert habe. "Nicht einen einzigen Anruf" von Sánchez habe er erhalten, "nicht ein einziges Dokument" liege ihm vor zu diesem "Ereignis von außerordentlicher Wichtigkeit". Vorwürfe, die Spaniens Außenminister José Manuel Albares damit abtut, dass es nicht üblich sei, sich auf kurzem Dienstweg mit der Opposition auszutauschen und die EVP-Fraktion im Europaparlament seiner Präsentation in Straßburg als einzige Fraktion geschlossen ferngeblieben sei. Die Sorge, dass diese Präsidentschaft im Wahlkampf politisiert werden könnte, erweist sich als berechtigt - von beiden Seiten.

Sánchez jedenfalls kann zufrieden sein mit dem offiziellen Auftakt an diesem Montag. Sogar die Galería de las Colecciones Reales, Madrids neues Museum für Kunst und Handwerk, wurde gerade noch rechtzeitig fertig, um die Kommission für ein Arbeitstreffen zu beherbergen, ehe von Ende Juli an die Besucher durch die Hallen strömen. Es liegt an der Plaza de la Armería, zwischen der Almudena-Kathedrale und dem Königspalast. Eben dort entstieg um 11.18 Uhr Ursula von der Leyen einer schwarzen S-Klasse-Limousine.

Ein unklares Wahlergebnis käme extrem ungelegen

Ein lächelnder Pedro Sánchez empfing sie und zeigte ihr den Platz, Kameras filmten und klickten, womöglich ist es ja der letzte gemeinsame Auftritt. Die beiden schätzen sich, sie wissen, was sie aneinander haben. Sánchez hat von der Leyen ins Amt verholfen, als er die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterstützte, sie für den Spitzenposten vorzuschlagen.

Im Gegenzug konnte Sánchez den Katalanen Josep Borrell als EU-Außenbeauftragten in Brüssel installieren. Und seine Parteifreundin Iratxe García führt die Fraktion der Sozialdemokraten im Europaparlament. Als dessen Abgeordnete von der Leyen 2019 mit knapper Mehrheit ins Amt wählten, waren die Stimmen der spanischen Sozialisten wichtig. Fortan trugen sie auch die Gesetze der Von-der-Leyen-Kommission mit, vor allem den grünen Deal für ein klimaneutrales Europa bis 2050, den die CDU-Politikerin zur Überschrift ihrer ersten Amtszeit gemacht hat.

Womit man auch bei den Herausforderungen der spanischen Ratspräsidentschaft wäre. Das Arbeitsprogramm ist vollgepackt, erstellt von einer Regierung, deren Mitglieder sich vielleicht bald neue Aufgaben suchen müssen. Die Liste an Dingen, die spätestens bis zur Europawahl Anfang Juni kommenden Jahres fertig werden sollen, ist lang, und ein halbes Jahr ist kurz. Ein Regierungswechsel käme da ungelegen, ein unklares Wahlergebnis mit einer gelähmten spanischen Politik wäre noch ungünstiger.

"Spanien mit seiner starken europäischen Seele"

Erstens steht die Industrie- und Wirtschaftspolitik auf der Liste, mit wichtigen EU-Gesetzen, die Europa eine Renaissance der grünen Zukunftsindustrien verschaffen und es weniger abhängig von Rohstofflieferungen aus dem Ausland machen sollen. Auch der Freihandel und vor allem das Mercosur-Abkommen mit den lateinamerikanischen Partnerstaaten liegt den Spaniern am Herzen. Zweitens, natürlich, der grüne Deal, etwa mit einer Strommarktreform oder neuen Energieeffizienz-Vorschriften.

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Wichtig ist auch das Thema "größere soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit", worunter die Spanier sowohl eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte in der EU auflisten als auch die umstrittene Reform der Schuldenregeln und den EU-Haushalt. Für die beiden Letzteren muss bis Jahresende eine Lösung gefunden werden. Es stehen außerdem Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über das neue Gesetz über künstliche Intelligenz (KI) an. Nicht zuletzt will Spanien den im Juni im Rat beschlossenen Asyl- und Migrationspakt durchsetzen.

Unter einer neuen Regierung würden sich diese Schwerpunkte nicht direkt ändern. Aber die Ratspräsidentschaft hat viel Gestaltungsspielraum, kann lenken, beschleunigen und verzögern. Während die Arbeitsebene größtenteils erhalten bliebe, rechnen Brüsseler Diplomaten damit, dass ihre spanischen Kollegen ausgetauscht werden könnten. Diejenigen also, die als Botschafter alle Ratssitzungen vor- und nachbereiten.

"Es ist nicht das erste Mal, dass während einer Ratspräsidentschaft Wahlen stattfinden", sagte Sánchez darauf angesprochen am Nachmittag bei einer Pressekonferenz mit von der Leyen. "Spanien hat genug Erfahrung mit den rotierenden Präsidentschaften." Sie sei sich sicher, sagte auch von der Leyen, dass Spanien "mit seiner starken europäischen Seele" eine effektive Präsidentschaft abliefern werde.

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