Das Politische Buch:Mit dem großen Fernglas

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Aufsteiger trifft Absteiger: Chinas Staatspräsident Xi Jinping und US-Präsiden Joe Biden auf dem G-20-Gipfel im November 2022. Ob tatsächlich ein hegemonialer Übergang stattfinden wird, ist aber noch offen. (Foto: Kevin Lamarque/Reuters)

Die Ordnung der Welt lässt sich mit einem Blick in die Geschichte besser erklären als nur aus aktuellen Krisen, meint Ulrich Menzel. Den Aufstieg Chinas zur Hegemonialmacht könnten die USA und Europa nur gemeinsam verhindern.

Rezension von Robert Probst

Selten gab es angesichts zahlloser Krisen und Kriege eine größere Sehnsucht zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Weltordnung hat Konjunktur, man denke an den eben erschienenen neuen Herfried Münkler (" Welt in Aufruhr", Rowohlt) neben Carlo Masala (" Weltunordnung", Beck, 2022), Peter R. Neumann (" Die neue Weltunordnung", Rowohlt, 2022) oder die schon älteren Standardwerke von Henry Kissinger ("Weltordnung", Pantheon, 2016) oder Ulrich Menzel ("Die Ordnung der Welt", Suhrkamp, 2015).

Die Unordnung der Gegenwart lässt aber leicht die Machtkämpfe früherer Jahrhunderte vergessen. Es schadet also nicht, einmal mit dem ganz großen Fernglas in die Weltgeschichte zu schauen. Gut geeignet dazu wäre das eben erschienene Büchlein "Wendepunkte" von eben jenem Ulrich Menzel. Der emeritierte Politikwissenschaftler hat hier einige Aufsätze versammelt, in denen er die langen Linien vom Aufstieg und Niedergang der Mächte seit der Frühen Neuzeit nachzeichnet, sodass man alle relevanten politischen und ökonomischen Muster erkennen kann.

Zurück ins 15. Jahrhundert

Es geht also zurück zu den Venezianern, den Genuesen, den Spaniern und den Niederländern und zu den Chinesen im 15. Jahrhundert; zu Seefahrern, Schiffsklassen, Kartografen und Gewürzhändlern. Später zu den Engländern und ihren Kolonien. Mithin zum frühen Beginn der Globalisierung.

Ulrich Menzel: Wendepunkte. Am Übergang zum autoritären Jahrhundert. Edition Suhrkamp, Berlin 2023. 349 Seiten, 20 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Suhrkamp)

Die Herleitung der derzeitigen "Phase eines hegemonialen Übergangs" ist konzise und rasant zugleich. Der relative Abstieg der USA und der relative Aufstieg Chinas seit 1978 werden ins Verhältnis gesetzt - Chinas Seidenstraßen-Strategie und Xi Jinpings Weltmachtpläne bis 2049 werden tiefschürfend seziert, und Europa und Deutschland dürfen sich scharfe Kritik anhören: "Die USA sind für die internationale Drecksarbeit zuständig, Mittelmächte wie Deutschland gerieren sich als Free- oder Cheaprider der US-Hegemonie, indem sie die Bereitstellung internationaler öffentlicher Güter wie GPS, nukleare Sicherheit, Durchsetzung des Prinzips Freiheit der Meere oder Kampf gegen den Terror fast zum Nulltarif partizipieren und ungerührt weiter am Sozialstaat arbeiten."

Ohne eine klare Unterstützung der USA durch Europa droht laut Menzel in absehbarer Zeit ein Übergang in eine autoritäre Weltordnung unter der Führung Chinas. Und Peking wird die genannten öffentlichen Güter nicht bereitstellen (können), maximal profitieren die Staaten im Seidenstraßen-Klub. Und die Zeit, bis ein neuer Hegemon auch die nötige militärische Macht aufgebaut hat, so lehrt die Geschichte, ist meist geprägt von Anarchie und Krieg. Fazit: Keine schönen Aussichten, aber noch mehr Unordnung ließe sich verhindern.

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