Prantls Blick:Der AfD-Jude, der AfD-Schwarze und die AfD-Lesbe

The AfD Campaigns In Thuringia State Elections

AfD-Wahlkampfveranstaltung in Thüringen: Was geschieht, wenn die Rechten immer mehr an Einfluss gewinnen?

(Foto: Getty Images)

Der Einfluss von Rechtsaußen wächst und wächst. Wie fest und sicher sind da die Rechte der Minderheiten? Das Sichere ist nicht sicher. Man muss etwas dafür tun. Das beginnt damit, der AfD nicht auf den Leim zu gehen.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

An der Ecke Dultstraße/Oberanger in München liegen auf neunzig Quadratmetern viele regenbogenbunte Platten auf dem Boden. Wer dieses Bodenmosaik aufmerksam betrachtet, der entdeckt, dass in zwei der Platten Winkel eingelassen sind - ein rosafarbener Winkel und ein schwarzer Winkel. Rosafarbene Winkel mussten in der NS-Zeit die Schwulen tragen, die ins KZ deportiert worden waren; schwarze Winkel waren dort auf die Kleidung der Lesben genäht. Daran erinnert das Mosaik.

An diesem Sonntag jährt sich der Auftakt der Verfolgung der Homosexuellen durch die Nationalsozialisten zum 85ten Mal. Wo jetzt die regenbogenfarbigen Platten liegen, stand 1934 das Gasthaus Schwarzfischer, das einer der frühen Schwulentreffs in der Stadt München war. Das Wirtshaus warb um die Leser der homosexuellen Freundschaftsblätter mit "dezenter, gemütlicher Stimmung bei 1a Wiener Küche". Zu den regelmäßigen Gästen gehörte Klaus Mann, bevor er in die Emigration gehen musste.

Es begann beim Schwarzfischer

Am 20. Oktober 1934 begann dort die erste großangelegte Razzia gegen Schwule in Nazi-Deutschland. Sie war der Auftakt zur organisierten Verfolgung der Homosexuellen. 145 Männer wurden bei dieser Razzia festgenommen und in Polizeigewahrsam gebracht, 39 ins KZ Dachau transportiert.

Von 1933 bis 1945 wurden im Deutschen Reich etwa 70 000 Männer wegen Homosexualität verurteilt; für viele hieß das: zuerst Gefängnis, anschließend sogenannte Schutzhaft im Konzentrationslager. Mehr als die Hälfte der "Rosa-Winkel"-Häftlinge überlebte das KZ nicht. Paragraf 175 Strafgesetzbuch, der die "männliche Unzucht" bestrafte, war allerdings keine Nazi-Erfindung. Er existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Bundesjustizminister Gustav Heinemann (SPD), der spätere Bundespräsident, begann bei der großen Strafrechtsreform von 1969 damit, den Paragrafen 175 zu schleifen; es dauerte dann noch weitere lange 25 Jahre, bis der Paragraf ganz weggeräumt war. Aber die alten Strafurteile galten nach wie vor. Es dauerte noch einmal 22 Jahre, bis der Bundestag die Rehabilitierung der verurteilten Homosexuellen beschloss und ihre Bestrafung nach Paragraf 175 rückgängig machte.

Rosa Winkel

Die Zeit, in der Homosexualität als "geschlechtliche Unzucht" verfolgt wurde, war die angeblich gute alte Zeit der Familie. Es war die Zeit einer vermeintlich heilen Welt, als noch nicht, wie heute, ein Drittel aller Ehen geschieden wurde. Das war allerdings vor allem deswegen so, weil der Frau die Scheidung damals unendlich schwer gemacht wurde - als könne der Gesetzgeber sein Wunschbild von Ehe und Familie so festhalten und verteidigen.

Das idealisierte familiäre Stillleben der Vater-Mutter-Kind-Familie führte dazu, dass alles, was da nicht hineinpasste, als Kehricht behandelt wurde. Das Recht versuchte, die Vater-Mutter-Kind-Familie als das alleinige Muster und Leitbild familiärer Lebensordnung festzuschreiben. Und alle, die da nicht hineinpassten, mussten leiden. Das galt für die nichtehelichen Kinder, das galt für die Schwulen und Lesben. Nichteheliche Kinder wurden stigmatisiert. Das hat sich fundamental verändert.

Urteil für Urteil für Schwule und Lesben

Die nichteheliche Geburt von Kindern ist alltäglich geworden und das Recht hat das akzeptiert und respektiert. Und: Urteil für Urteil hat das höchste Gericht in Karlsruhe die Rechte von Schwulen und Lesben gestärkt. Urteil für Urteil haben die Verfassungsrichter die Homo-Ehe der klassischen Ehe angeglichen. Urteil für Urteil haben die Richter dem Gesetzgeber erklärt, dass auch gleichgeschlechtliche Gemeinschaften Verantwortungsgemeinschaften sind. Das Verfassungsgericht hat die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft gefördert. Das ist richtig, ja geboten, aber ungewöhnlich. Normalerweise hinkt die Justiz dem Zeitgeist hinterher. Beim Schutz von Homosexuellen waren und sind sich die Verfassungsrichter aber bewusst, dass das Grundgesetz eine Verfassung ist, die sich dem Schutz von Minderheiten ganz besonders verschrieben hat.

Karlsruhe als Schutzmacht der Minderheiten

Das hat einen historischen Hintergrund: Die Nationalsozialisten haben die Minderheiten grausam verfolgt. Daraus hat das Grundgesetz seine Lehren gezogen, das Verfassungsgericht auch. Der beste Teil seiner Rechtsprechung betrifft die Rechte von Minderheiten: Strafgefangene, Sozialhilfeempfänger und "Hartzer", Pazifisten, Transsexuelle, Intersexuelle und Homosexuelle. Das Verfassungsgericht war und ist ihre Schutzmacht. Nur bei den Flüchtlingen hat das Gericht versagt; bei der Änderung des Asylgrundrechts hat es vor der Politik gekuscht.

Der Einfluss von Rechtsaußen wächst und wächst

Ich frage mich, was mit dieser Gesellschaft geschieht, was aus dem Schutz der Rechte von Minderheiten wird, wenn der Einfluss von Rechtsradikalen immer weiterwächst. Ich frage mich, was mit dieser Gesellschaft geschieht, wenn die AfD und die Identitären, wenn der "Flügel" des Neonazis Björn Höcke, der Spitzenkandidat der AfD bei der Landtagswahl am nächsten Sonntag in Thüringen ist, immer mehr an Einfluss gewinnen - wenn sie mitmischen bei der Besetzung der Landesverfassungsgerichte und bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts.

Nazi-Vokabular in AfD-Gesetzentwürfen

Bei der Besetzung der Ausschüsse im Bundestag ist das schon geschehen. Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags ist der AfD-Abgeordnete, Rechtsanwalt und frühere sächsische Richter Stephan Brandner. Er hat kürzlich einen Tweet eines anderen Accounts weiterverbreitet, dessen Inhaber fragte, warum Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen "rumlungerten", wenn doch die Opfer des Anschlags letztlich eine "Deutsche" beziehungsweise ein "Bio-Deutscher" gewesen seien. Ulrich Schellenberg, damals Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hat schon in seiner Rede beim DAV-Empfang zum Jahresauftakt 2019 der AfD vorgeworfen, in ihren Gesetzentwürfen Nazi-Vokabular zu verwenden.

Ein AfDler und vier Schwarze auf dem Oktoberfest

Unlängst hat der AfD-Funktionär Peter Junker aus Erding, Vize-Kreischef und Bezirkstagskandidat von 2018, erlebt, wie es einem ergehen kann, wenn man normal mit Minderheiten umgeht. Der AfD-Mann Peter Junker also machte auf dem Oktoberfest ein Selfie - ein Gruppenbild mit vier jungen Schwarzen in heiterer Umarmung; er selbst trug ein AfD-Käppi. Er erlebte daraufhin Reaktionen mit allem, was das Wutrepertoire hergibt. Warum? Menschen in den eigenen Reihen, die sich mit Migranten befreunden, sind eine Widerlegung der eigenen Weltsicht und müssen umso aggressiver ausgestoßen werden.

Der Ausgrenzungsfuror der AfD

Aber gibt es in der AfD nicht auch einen Achille Demagbo, geboren in Benin, Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Kiel, Mitglied im Landesvorstand Schleswig-Holstein, Mitarbeiter in der AfD-Bundestagsfraktion - einen Politiker afrikanischer Abstammung mit dunkler Hautfarbe, der deswegen bundesweite Medienaufmerksamkeit erhält? Und gibt es nicht den AfD-Kreisvorsitzenden in Lörrach, Wolfgang Fuhl, ehemaliger Vorsitzender des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, der mit anderen die Jüdische Bundesvereinigung in der AfD gegründet hat? Und gibt es nicht, trotz des AfD-Familienideals des heterosexuellen Ehepaars mit Kindern, eine Alice Weidel, die Co-Vorsitzende der AfD im Bundestag, die mit einer Frau zusammenlebt und mit ihr zwei Söhne großzieht? Widerlegt das nicht alle Befürchtungen? Leider nein. Trotz allen Ausgrenzungsfurors braucht auch die AfD ein paar Leute, die "das Andere" verkörpern - die AfD-Lesbe, den AfD-Schwarzen und den AfD-Juden - weil sich Toleranz als politischer Wert so weit durchgesetzt hat, dass man da ein wenig Tribut zollen muss.

Das Sichere ist nicht sicher

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben sich daran gewöhnt, dass die Grundrechte stark sind, dass das Verfassungsgericht sie hütet, dass das Grundgesetz so, wie es von Karlsruhe interpretiert und fortentwickelt wird, Motor ist für eine menschenfreundliche Fortentwicklung der Gesellschaft. Aber: Das Sichere ist nicht sicher. Man muss etwas dafür tun. Das beginnt damit, der AfD nicht auf den Leim zu gehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: