Union zur Atomentscheidung:"Zu spät" und "viel zu wenig"

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"Vorletzter Pfeil" des Bundeskanzlers: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisiert Regierungschef Olaf Scholz (SPD). (Foto: Silas Stein/dpa)

Friedrich Merz und Markus Söder halten Scholz' Atom-Entscheidung für unzureichend und sehen darin ein Verfallszeichen der Koalition. Sie wollen die Ampel jetzt vor sich hertreiben.

Von Boris Herrmann und Robert Roßmann, Berlin

Es kommt nicht oft vor, dass sich Friedrich Merz auf Sozialdemokraten beruft. Aber an diesem Dienstag bezieht er sich gleich auf zwei. Und er macht es mit diebischer Freude.

Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering habe einmal erklärt, wer die Richtlinienkompetenz anwende, der wisse, dass die Koalition am Ende sei - sagt Merz. Und dann zitiert der CDU-Chef auch noch Olaf Scholz. Der Bundeskanzler hatte im August beteuert, es sei zwar gut, dass er die Richtlinienkompetenz habe - "aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe: Bitte, Herr Minister, machen Sie das Folgende".

Doch am Montagabend hat Scholz genau das getan. Es gab schon viele Kehrtwenden von Kanzlern, aber nur wenige, die so schnell und grundlegend vonstattengingen. Was das bedeute, sei doch ganz offensichtlich, findet Merz. Seiner Erinnerung nach habe es in der Geschichte der Bundesrepublik noch keine vergleichbare Anwendung der Richtlinienkompetenz gegeben. Das zeige doch, wie schlecht es um die Koalition stehe. Der Bundeskanzler habe jetzt den vorletzten Pfeil gezogen, den er im Köcher habe. Der letzte wäre dann die Vertrauensfrage.

Mit seinem Machtwort mag der Kanzler eine gewaltige Blockade in seiner Koalition gelöst haben. CDU und CSU hatten diese Blockade wochenlang beklagt. Merz hatte sogar erklärt, nicht die letzten 16 Jahre CDU-geführter Bundesregierungen seien "das Problem unseres Landes, sondern die letzten 16 Wochen unter der Führung der Ampelkoalition". Doch wer erwartet hatte, die Unionsparteien würden die von Scholz befohlene Laufzeitverlängerung für alle drei Atomkraftwerke bejubeln, wird an diesem Dienstag enttäuscht.

"Eine reine Scheinlösung"

Es werden jetzt zwar, wie von der Union lange gefordert, alle drei Atomkraftwerke über den Jahreswechsel hinaus weiterlaufen. Olaf Scholz hat mittels Richtlinienkompetenz entschieden, dass die AKWs Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis längstens 15. April in Betrieb bleiben sollen. Aber das reicht der Union nicht. Sie glaubt, dass der Strom aus den Kraftwerken dringend über den April hinaus gebraucht werden wird.

Das Machtwort des Kanzlers sei doch "eine reine Scheinlösung", sagt CSU-Chef Markus Söder der Süddeutschen Zeitung. Es komme "zu spät" und sei "in der Sache viel zu wenig". Das Machtwort verschaffe der Ampel deshalb "lediglich eine Atempause". Denn das Problem sei ja nur vertagt. Spätestens im März werde die Koalition wieder vor denselben Problemen stehen, "den Preis dafür zahlen leider die Bürgerinnen und Bürger".

"Anstatt endlich die notwendigen Entscheidungen zu treffen, geschieht in der Koalition alles immer nur scheibchenweise und deutlich zu langsam", klagt Söder. "Im Kern hat diese Ampel keine einheitliche Philosophie: Sie ist tief zerstritten und agiert untereinander eifersüchtig." Das alles sei ein Zeichen der Schwäche und Instabilität.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spricht am Dienstag von einem weiteren Akt im "Blackout-Bingo" der Ampel und geizt auch sonst nicht mit gewagten Sprachbildern. Kanzler Scholz, sagt er, habe das letzte Mittel genutzt, um einen Streit zu schlichten, und dabei "eine Maus geboren".

Erhöhte Betriebstätigkeit

Diese Maus scheint aber immer noch groß genug zu sein, um auch die Unionsfraktion zu erhöhter Betriebstätigkeit zu animieren. CDU und CSU haben jedenfalls einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem die Beschaffung neuer Brennstäbe sowie ein Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke bis Ende 2024 festgeschrieben werden soll.

Das seien alles Maßnahmen, die auch von der FDP geteilt würden, weil sie fachlich begründet seien, verkündet Dobrindt lächelnd. Ganz offensichtlich hat an diesem Tag niemand in der Union die Absicht, sich durch das Machtwort des Kanzlers ein Thema wegschnappen zu lassen, das wie gemacht ist für wirkungsvolle Oppositionsarbeit: der öffentliche AKW-Streit zwischen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und FDP-Chef Christian Lindner.

Er habe den Streit in den vergangenen Wochen "nur noch mit Abscheu" verfolgen können, sagt Dobrindt. Wobei sich dann die Frage stellt, weshalb er so viel für die Laufzeitverlängerung dieses Streites tut. "Wir werden das zum Thema machen im Deutschen Bundestag, dass die Ampelmänner nicht zu einer Entscheidung fähig sind", kündigt Dobrindt an. Und bei der Union haben sie auch schon eine Idee, wie das gehen könnte.

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Die Koalition ist nämlich auf die Mitarbeit von CDU und CSU angewiesen, um die Laufzeitverlängerung noch in dieser Sitzungswoche im beschleunigten Verfahren auf den Weg zu bringen. Denn die Ampel muss dafür mit einer Bitte um einen sogenannten "Fristverzicht" an die größte Oppositionsfraktion herantreten. Neben Dobrindt deutet am Dienstag auch der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, an, dass man durchaus bereit sei für so einen Fristverzicht - allerdings nur unter der Bedingung, dass es zur Atomkraft in dieser Woche noch einmal eine ausführliche Debatte im Bundestag gebe.

Frei gibt schon die Strategie vor, wenn er ankündigt, mit dem Scholz-Machtwort vom Montagabend sei gar nichts entschieden, so einfach könne man die Ampel nicht durchkommen lassen. Gleichzeitig versucht die Union aber dem Eindruck vorzubeugen, ihr Vorgehen sei von taktischen Fragen bestimmt. Das Verhalten seiner Union sei reiner Pragmatismus, sagt Frei. Es gehe jetzt "im Kern um die nächsten beiden Winter" - die Energieversorgung müsse sichergestellt werden. Spätestens nach diesen beiden Wintern muss dann aber auch aus seiner Sicht Schluss sein mit der Kernkraft in Deutschland, eine Rückkehr zum Atomzeitalter werde es mit der Union nicht geben. Frei sagt: "Ich persönlich will dieses Fass jedenfalls nicht aufmachen."

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