Migration:Scharfe Kanzlertöne zur Asylpolitik lösen Kritik und Zustimmung aus

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Abschiebung ohne konkreten Beweis? Dies könnte vermeintlichen Angehörigen sogenannter Clans nun drohen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Olaf Scholz fordert schnellere Abschiebungen - in den Reihen von SPD und Grünen wird Ablehnung laut, die FDP verteidigt den Kanzler.

Von Georg Ismar und Roland Preuß, Berlin

Olaf Scholz kann sehr entschlossen und ernst dreinschauen, wenn er einer Sache Nachdruck verleihen will. "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben", hat er nun dem Spiegel gesagt, garniert mit grimmigen Kanzlerfotos. Es ist ein noch vor Kurzem undenkbarer Satz für einen Bundeskanzler der SPD. Und erstmals in seiner Amtszeit kommt prompt harsche interne Kritik. So meinen die Jusos Richtung Scholz: "Abschiebungen im großen Stil" - das sei eine Forderung "direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs".

Dabei ist es vor allem zunächst rhetorisch ein Kurswechsel in der Migrationspolitik, er nennt keine konkrete neue Maßnahme, sondern will mit mehr Kontrollen an den Grenzen, mehr sicheren Herkunftsstaaten und schnelleren Verfahren auf die gestiegene Zahl an Asylsuchenden und Zuwanderern reagieren.

Scholz redet länger über Migration als über Schritte gegen den Abschwung

Wie stark der Druck auf den Bundeskanzler geworden ist, dass es auch um den Fortbestand seiner Ampel-Koalition geht, zeigte sich bereits bei einer Rede am Abend des 11. Oktober. Nach den bisher schlechtesten SPD-Landtagswahlergebnissen in Hessen und Bayern war Scholz zu einer Wirtschaftskonferenz der SPD-Bundestagsfraktion geladen. Und er redete nicht am längsten über seine Maßnahmen gegen den Abschwung, sondern über Migration.

Scholz betonte bei der Konferenz, nur 1,5 Prozent der Antragsteller könnten sich auf das individuelle Recht auf Asyl berufen, "die meisten anderen haben andere Schutzgründe -, die wir aus internationalen oder auch europäischen Verträgen akzeptieren". Und er ergänzte: "Es kommen gegenwärtig viel zu viele auf irreguläre Weise nach Europa und nach Deutschland." Neben einer Million Menschen aus der Ukraine könnten nach 240 000 Menschen im vergangenen Jahr in diesem Jahr mindestens weitere 300 000 Migranten aus anderen Ländern hinzukommen. Niemand, der politische Verantwortung habe, müsse sich bei solchen Zahlen vor dem Satz drücken, "dass es mehr sind, als sich leicht bewältigen lassen, (...) und es deshalb darum geht, dass die Zahlen reduziert werden".

"Manche tun so, als gäbe es nur noch dieses Thema", sagen zwei Kritiker

Nun hat er das noch einmal deutlicher gesagt. Die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Hakan Demir und Rasha Nasr sind mit seinen Worten gar nicht einverstanden: "Abschiebungen sind nur ein kleiner Teil der Lösung. Wir haben eine hohe Inflation, eine Wirtschaft, die nach Hilfe ruft und einen Bundeshaushalt, der unzureichend ist", schreiben sie in einer gemeinsamen Mitteilung. Migration sei nur eines von vielen Themen, "manche tun so, als gäbe es nur noch dieses Thema, dabei haben wir so viel zu tun."

Demir, Abgeordneter für Berlin-Neukölln, sagte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung: "Die gesamtdeutsche Politik hat sich verrannt." Es gehe die ganze Zeit um 300 000 abgelehnte Asylbewerber, die eigentlich ausreisepflichtig seien, das mache aber nur 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. "Und wir tun so, als ob das Thema Abschiebungen 100 Prozent unserer Probleme löst." Er forderte den Kanzler auf, nicht aus Sorge vor der AfD einen falschen Kurs einzuschlagen: "Ich mache mir Sorgen um den Kurs der SPD. Die Sozialdemokratie sollte in Wort und Tat immer für eine soziale Politik stehen, für eine offene Gesellschaft und für Zusammenhalt."

Philipp Türmer, Kandidat für den Bundesvorsitz der Jusos, wird auf der Plattform X noch deutlicher: "Es bringt gar nichts, in's Lied der Rechten einzustimmen", schreibt er mit Blick auf den Kanzler. "Baut Wohnungen, schafft die Beschäftigungsverbote ab, finanziert die Kommunen ordentlich, erlaubt den Spurwechsel. Das würde helfen." Sein Fazit: "Ich könnte kotzen bei diesem Zitat". Und wenn Scholz im Spiegel sage, die SPD stehe voll hinter seiner Linie, dann wolle man das auf dem Bundesparteitag im Dezember doch mal sehen.

Am Bedarf an Fachkräften gibt es keinen Zweifel

Allerdings sind weite Teile der SPD angesichts der Lage eher bei Scholz. Und auch der Kanzler betont, dass am Humanitätsanspruch nicht gerüttelt werden soll, man nur bei Punkten wie der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber schneller werden müsse. Keine Abstriche soll es bei den legalen Wegen geben, um nach Deutschland zu kommen, denn am Bedarf an Fachkräften, gerade wenn die Babyboomer-Jahrgänge in Rente gehen, gibt es keinen Zweifel.

Kritik an Scholz' Äußerungen zur Asylpolitik kam auch aus den Reihen der Grünen. "30 Jahre nach 1993 sollten wir doch gelernt haben, dass Abschotten, Abschrecken, Abschieben keine Migrationspolitik ist, sondern ein Konjunkturprogramm für Rassismus und Rechtsradikale", schrieb der Grünen-Politiker Jürgen Trittin auf X. Mit dieser Kritik blieb der frühere Bundesumweltminister und heutige Bundestagsabgeordnete in seiner Fraktion allerdings allein.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann äußerte sich auf Anfrage nur allgemein zur Migrationspolitik und vermied Kritik am Bundeskanzler. Verantwortungsvolle Politik "braucht Humanität und Ordnung". Den Grünen gehe es um Verantwortung und Solidarität. "Und es geht auch um Menschlichkeit."

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Deutlich schärfer formulierte Katharina Stolla, die am Wochenende zusammen mit Svenja Appuhn zum neuen Führungsduo der Grünen Jugend gewählt worden war. Die Migrationspolitik der Ampel-Koalition sei eine "menschenfeindliche Abschottungspolitik", sagte sie. Die Grünen sollten "endlich die Entrechtung von Geflüchteten" stoppen.

Von Seiten der FDP kann Scholz hingegen mit Unterstützung rechnen. Die Liberalen fordern schon länger eine strengere Linie in der Asylpolitik und weisen den Grünen die Rolle des Bremsers zu. Wenn Trittin dem Kanzler vorwerfe, dessen Überlegungen zur Bewältigung der Migrationskrise würden Rassisten und Rechtsradikalen Vorschub leisten, dann sei das "nur noch unanständig", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki. Er rate den Grünen, ihr Blatt nicht zu überreizen und aufzuhören, den Kanzler in die Schmuddelecke zu stellen. "Schließlich sind es die Grünen selbst, die mit ihrer weltfremden Position in der Migrationspolitik gegen die Mehrheit der Menschen im Land Tatsachen schaffen wollen", sagte Kubicki.

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