Landtagswahl:Die große Überraschung im Saarland

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Gute Stimmung auf der SPD-Wahlparty am Sonntagabend in Saarbrücken. (Foto: IMAGO/BeckerBredel)

Der bisherige Ministerpräsident Tobias Hans wird abgewählt, die CDU erhält das schlechteste Ergebnis seit 1955. Die SPD-Kandidatin Anke Rehlinger gewinnt deutlich - und steht jetzt vor einer entscheidenden Herausforderung.

Von Gianna Niewel

Um kurz vor 18 Uhr stellten sich die Fotografen in der Saarbrücker Konzerthalle "Garage" auf, mit Kameras, mit Mikrofonen, um wenige Minuten später vor allem ein Bild zu filmen: jubelnde Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Menschen, die klatschen, die sich umarmen, die den Sekt in den Gläsern verschütten und es ist egal.

Auf den Bildschirmen liefen die Balken mit den ersten Zahlen - und die veränderten sich im Verlauf des Abends kaum. Bei 43,5 Prozent lag die SPD dann beim vorläufigen Ergebnis der Landeswahlleitung. Das sind fast 14 Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Landtagswahl, das ist der Wiedereinzug in die Saarbrücker Staatskanzlei nach fast 23 Jahren. Das ist eine Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und die absolute Mehrheit im Landtag.

Allen Witzen über die Kleinheit des Landes zum Trotz ist das dann doch eine große Überraschung.

Es dauerte nicht lange, dann kam Anke Rehlinger in die "Garage", sie sprach von einem großen Vertrauensbeweis, davon, dass das Ergebnis Auftrag und Verpflichtung sei. Dann sagte sie, dass sie schon in der nächsten Woche Einladungen zu Sondierungsgesprächen verschicken wollen würde. Ihr Ziel: eine stabile Regierung. Und wie es aussieht, wird die SPD die alleine stellen können. Ohne Koalitionspartner.

Am Ende haben es FDP und Linke nicht in den Landtag geschafft - und wohl auch die Grünen nicht, die laut vorläufigem Ergebnis auf 4,995 Prozent kommen. ZDF-Politikchef Matthias Fornoff schrieb auf Twitter über das knappe Ergebnis: "Nach Auskunft des Landeswahlleiters ging es dabei um 23 Stimmen." Die Balken der CDU blieben schließlich bei 28,5 Prozent stehen. Tobias Hans kündigte "persönliche Konsequenzen" an. Also absolute Mehrheit für die SPD? In der "Garage" war das nicht wichtig, zumindest nicht am frühen Abend, die Spekulationen gingen unter im Applaus der SPD-Anhänger.

Tobias Hans konnte mit seiner Pandemie-Politik nicht punkten

Fünf Jahre ist es her, da hatte es schon mal gut ausgesehen für Anke Rehlinger, aber am Wahlabend jubelte damals nur die CDU: 40,7 Prozent. Deren Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer bot dann gleich der SPD Gespräche an, um gemeinsam weiterzuregieren, sie sprach von einer "großen Koalition ohne Wenn und Aber". Für die kam die erste größere Herausforderung 2018, als Annegret Kramp-Karrenbauer als Generalsekretärin nach Berlin wechselte. Ihr Nachfolger in der Staatskanzlei sollte der bisher unbekannte Fraktionschef werden. Sein Name: Tobias Hans. Er übernahm eine so starke Partei, es konnte nicht viel schiefgehen.

Doch dann kam die Corona-Pandemie und mit ihr ein Ministerpräsident, der in seinem Kurs schlingerte. Erst schränkte er ein. Dann machte er das Saarland zu einer Modellregion für Lockerungen, Ostern 2021 war das, aber 18 Tage später griff die Bundesnotbremse. Also wieder Lockdown. Mittlerweile ist Hans zurück im "Team Vorsicht", er findet es falsch, dass die Ampelregierung die Maßnahmen auslaufen lässt.

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In der SPD sagen sie: Hätte sie sich neben ihn setzen sollen in all den Talkshows, in die er ging?

Und auch im Wahlkampf lief es für die CDU nicht besser. Ihr fehlte ein Thema, die Umfragen wurden schlechter. Dann griff Russland die Ukraine an, und Tobias Hans stellte sich vor eine Esso-Tankstelle, um eine "Spritpreisbremse" zu fordern. Er wolle so nicht "nur Geringverdiener" entlasten, sondern auch "die vielen fleißigen Leute, die tanken müssen". Kam nicht gut an. Das merkte auch die Bundespartei, kurz vor der Wahl wurde aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus der Satz durchgestochen, "das Saarland ist verloren". Und er ist richtig, zumindest aus Sicht der CDU. Sie fährt das schlechteste Ergebnis seit 1955 ein.

Während es im Wahlkampf lange darum ging, ob die SPD den Wechsel schafft oder ob die CDU in der Staatskanzlei bleibt, schauten die kleinen Parteien vor allem zu. Bis zuletzt kämpften sie an der Fünf-Prozent-Hürde.

Für die FDP sind die Hochrechnungen nervenaufreibend

Für die AfD hat es gereicht, sie kam auf 5,7 Prozent und hat damit im Vergleich zu 2017 nur 0,5 Prozentpunkte verloren. Und das obwohl die Partei so zerstritten ist, dass sie keine eigene Landesliste aufgestellt hat - sie war nur über die Wahlkreislisten wählbar. Und obwohl der Verfassungsschutz sie als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten darf.

Nicht im Saarbrücker Landtag sind womöglich die Grünen, Die Landeswahlleiterin wies aber am späten Abend ausdrücklich darauf hin, dass sich angesichts des knappen vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses noch Änderungen ergeben könnten. Spitzenkandidatin Lisa Becker hatte - vor allem seit Beginn des Krieges in der Ukraine - für den Ausbau der erneuerbaren Energien geworben, 2021 wurden nur zwei Windräder in Betrieb genommen. Aber im Saarland erinnern sich viele Menschen auch noch an die vergangene Bundestagswahl, zu der die Partei ohne Landesliste antreten musste. Die Grünen stehen im Saarland nicht nur für Klimaschutz, sondern auch für interne Machtkämpfe.

Die FDP und ihre Spitzenkandidatin Angelika Hießerich-Peter wollten nach zehn Jahren wieder in den Landtag einziehen - am Sonntagabend war klar, dass sie es im Industrieland Saarland wieder nicht schaffen würden: 4,8 Prozent.

Raus ist auch die Linke um Spitzenkandidatin Barbara Spaniol. Die hätte im Wahlkampf gerne über die gestiegene Kinderarmut im Land gesprochen, wurde aber doch nur nach den internen Streitigkeiten gefragt, nach dem Austritt von Oskar Lafontaine. Der dürfte entscheidende Stimmen gekostet haben, die Partei kommt nur auf 2,6 Prozent. Ein Absturz um mehr als 10 Prozentpunkte.

Während aus den Hochrechnungen vorläufige amtliche Ergebnisse werden, haben die Anhängerinnen und Anhänger der SPD in der "Garage" immer noch zu klatschen. Da ist klar, dass die SPD gerade in keinem anderen Bundesland so stark ist, da werden auf den Bildschirmen der Reihe nach die Wahlkreise und Gemeinden eingeblendet, Saarwellingen, Schwalbach, Bous, alles rot. Im neuen Landtag dürfte es für die SPD für eine absolute Mehrheit reichen, sie bräuchte 26 Sitze dafür, nach dem vorläufigen Ergebnis kommt sie sogar auf 29.

Als Hans spricht, wird in der CDU geweint

Auf den Bildschirmen in der "Garage" wird jetzt Tobias Hans eingeblendet, es ist das erste Mal an diesem Abend, dass es ruhig wird. Hans spricht zu den Mitgliedern der CDU, zu seiner Partei, die er vor vier Jahren so stark übernommen hat. Jetzt sitzen da Christdemokratinnen und weinen. 45 000 Stimmen hat die CDU allein an die SPD verloren. Hans sagt, dass diese Niederlage auch mit seiner Person verknüpft sei, dass er sich mit den Gremien beraten wolle, wie es weitergeht.

Und so bleiben auch die nächsten Tage in Saarbrücken vor allem eines: spannend.

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