Der Papst beim Mittelmeertreffen:Der Mahner von Marseille

Lesezeit: 3 Min.

Wieder unterwegs, wider die "Globalisierung der Gleichgültigkeit": Papst Franziskus. (Foto: Pedro Pardo/AFP)

Franziskus besucht die französische Hafenstadt, schon immer ein Symbolort der Migrationen im Mittelmeer. Und er wird wohl den europäischen Regierungen ins Gewissen reden - im Fußballstadion.

Von Oliver Meiler, Paris

Und plötzlich steht Marseille, die zweite oder gar nur dritte Stadt Frankreichs nach Größe und Bedeutung, mitten im Zentrum der Aufmerksamkeit, sogar ein bisschen der globalen. Der Papst ist dort, das hat es erst einmal gegeben, ist lange her: 1533. Vor seiner Reise sagte Franziskus, er komme nicht nach Frankreich, er komme nach Marseille. Die Formulierung klang so politisch, dass er später nachschicken musste: "Ich habe nichts gegen Frankreich." Das machte es nicht wirklich besser. Aber er hat viel für Marseille übrig.

Franziskus beschließt die "Rencontres Méditerranéennes", eine Tagung von Geistlichen und Jugendlichen aus allen Ländern rund ums Mittelmeer, bei der die großen Themen behandelt wurden, die sie an den südlichen wie an den nördlichen Gestaden beschäftigen, vorab die Migration. Der Papst hält an diesem Samstag eine Rede im Palais du Pharo am alten Hafen, dem Tagungsort, wird sich dann im Papamobil über die Avenue du Prado zum Vélodrome fahren lassen, dem großen Stadion der Stadt, wo er eine Messe feiern wird.

Ein einziges Bad in der Menge. Es wird sehr viel Volk erwartet: Marseille hat einen Hang zum Überschwang, mediterran körperlich und laut. Die Sicherheitsleute sind besorgt, 6000 Beamte wurden aufgeboten. Als kritisch gilt vor allem der Weg zum Stadion.

Die Stadt steht wie idealtypisch für das Pontifikat von Franziskus

Doch für den Papst zählt auch in diesem Fall das Symbol: Er reist am liebsten zu den Peripherien, den geografischen und existenziellen. Marseille steht fast idealtypisch für einige große Themen seines Pontifikats - die Problematik sozialer Verwerfungen, die Herausforderungen der Migration, den interreligiösen Dialog.

Die Stadt ist noch Norden, aber auch schon Süden. Für beide Hemisphären ist sie Peripherie. Eine Kreuzung von Kulturen und Religionen. Über viele Einwanderungswellen hinweg haben in Marseille sehr unterschiedliche Seelen zu einem Ganzen zusammengefunden. Ein Viertel von rund einer Million Bewohnern sind Muslime, die meisten von ihnen kommen ursprünglich aus dem Maghreb, eine Überfahrt mit der Fähre entfernt. 80 000 der Marseillais sind Juden, 20 000 Buddhisten. Beinahe die gesamte Diaspora aus den Komoren lebt in Marseille, das sind noch einmal 80 000. Und ungefähr 80 000 sind auch die Armenier. Korsen gibt es in Marseille auch viele, die sind zwar amtlich Franzosen, aber in allererster Linie sind sie eben: Korsen.

Das Fußballstadion? Der größte gemeinsame Tempel

In Marseille ist man stolz darauf, dass das Zusammenleben fast immer harmonisch funktioniert, ein gesellschaftliches Wunder. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten gewissermaßen nach Marseille ausgewandert sind, dass sie auf der Flucht da ihren Hafen gefunden haben. Das Vélodrome ist der größte gemeinsame Tempel - und die Leidenschaft für den gerade mal wieder chaotischen und sportlich unsteten Fußballverein Olympique Marseille ist so etwas wie die gemeinsame Religion, über alle wahren Religionen hinweg. Darum ist es schon richtig, dass der Papst seine Messe im Vélodrome feiert. Die Fans werden auch da sein.

"Sie werden ein Spektakel veranstalten", sagte Jean-Marc Aveline, der Erzbischof von Marseille, der Zeitung Le Parisien. "Es wird verrückt sein." Für den Papst ist das, um es mit einer etwas strapazierten Metapher zu sagen, ein Heimspiel.

Marseille, Stadt der vielen Kulturen: Im Stade Vélodrome wird der Papst am Samstag eine Messe halten, Emanuel Macron wird dabei sein. (Foto: Boris Horvat/AFP)

Franziskus sprach gleich am Freitagabend nach seiner Ankunft in Marseille deutliche Worte zum Drama der Migration im Mittelmeer, dieses sei ein "riesiger Friedhof"geworden, sagte er, wo viele Menschen selbst des Rechtes auf ein Grab beraubt würden. "Nur die Menschenwürde wird hier begraben", so Franziskus. Er verurteilte auch Maßnahmen, die freiwillige Seenotretter an ihren Einsätzen hindern, sie seien "Gesten des Hasses".

"Ich komme nicht als Katholik, sondern als Präsident der Republik", sagt Macron

Einige der schlimmsten Flüchtlingstragödien trugen sich vor der italienischen Insel Lampedusa zu. Und so reiste der frisch gewählte Papst aus Argentinien, selbst Sohn einer Emigrantenfamilie, im Sommer 2013, nur wenige Monate nach seiner Wahl, als Erstes nach Lampedusa und sprach dort von der "Globalisierung der Gleichgültigkeit". "Wir haben uns an das Leiden anderer gewöhnt. Es macht uns nicht betroffen, es interessiert uns nicht, es ist nicht unser Business."

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Zehn Jahre ist das her, und Lampedusa ist wieder in allen Schlagzeilen, seit in den vergangenen Tagen mehr als zehntausend Migranten auf der kleinen Insel angekommen sind. Viele von ihnen haben keine Aussicht auf Asyl in Europa, weil sie aus Ländern stammen, in denen kein Krieg herrscht. Sie entflohen dem Elend, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Der Papst wird dazu in Marseille wohl noch mehr sagen.

Im Stadion wird auch Emmanuel Macron sein. Er hat sich sozusagen selbst eingeladen und damit eine mittlere Kulturdebatte ausgelöst. Die Linke monierte, ein laizistischer Präsident der Republik gehöre nicht in eine Messe, das sei ein Hohn auf die Trennung von Kirche und Staat. Andere fanden, Macron könne ja gerne privat ins Vélodrome gehen, aber dann auch selbst für die Reise bezahlen. Als die Polemik lauter wurde, gab das Elysée die Losung aus, der Präsident assistiere nicht aktiv bei der Messe, er nehme nur daran teil. Macron selbst sagte: "Da gehöre ich hin. Ich gehe nicht als Katholik, sondern als Präsident der Republik."

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