Naturkatastrophe:"Salziger als die Ostsee"

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Tausende Fische verendeten im Sommer 2022 in der Oder. Die polnische Regierung baut den Grenzfluss zu Deutschland trotz Warnung heimischer Gerichte und Umweltschützer weiter aus. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die Oder hat sich längst noch nicht erholt seit dem Fischsterben im vergangenen Sommer. Doch während Umweltschützer und Forscher Schutzmaßnahmen fordern, lässt Polen das Flussbett ausgraben.

Von Viktoria Großmann, Frankfurt (Oder)/Warschau

Auf der Insel Ziegenwerder zwitschern die Vögel. Man hört den Frühling schon, zu sehen ist er noch nicht so sehr. Bäume und Sträucher sind graubraun und zerzaust, ein paar Weidenkätzchen blühen, ein Fasan rennt eilig ins Unterholz. Auf der einen Seite wird die Insel von der Alten Oder, einem Flussarm, umspült. Auf der anderen fließt die Oder. Ziegenwerder ist ein kleines Naturparadies in der Grenzstadt Frankfurt, nahe der Europauniversität Viadrina.

Der Lärm von Maschinen stört die Idylle. Mehrere Bagger stehen am anderen Flussufer, senken die Arme ins Wasser, schwenken ihre triefenden Kellen. Steine krachen aufeinander, werden zu Buhnen aufgeschichtet, die in den Fluss hineinragen. Auf einem Fahrzeug weht eine weiß-rote Flagge. Auf der anderen Seite der Oder liegt Polen, Frankfurts Schwesterstadt Słubice ist in Sichtweite.

Naturschützer befürchten, die Bauarbeiten am Oder-Abschnitt nahe Frankfurt könnten im kommenden Sommer zu einer ähnlichen Naturkatastrophe führen wie 2022. (Foto: SZ-Karte: Mainka/ Mapcreator.io/OSM; Quelle: Greenpeace Polen)

Nach dem verheerenden Fischsterben im August 2022 bräuchte die Oder Ruhe, Pflege, Erholung. Wochenlange Hitze, starke Sonneneinstrahlung, niedriger Wasserstand und viel zu viel Salz im Wasser hatten im vergangenen Sommer die Verbreitung der Alge Prymnesium parvum begünstigt, auch Goldalge genannt. Sie sondert bei der Blüte eine Substanz ab, die massenhaft Fische, Muscheln und Schnecken vergiftete. Die Tiere waren durch Hitze und Trockenheit ohnehin schon gestresst.

Es droht wieder eine Umweltkatastrophe

Greenpeace Polen warnt nun davor, dass sich die Katastrophe in diesem Sommer wiederholen könnte. Nicht nur an der Oder, sondern auch an Polens längstem Fluss, der Weichsel. In einer aktuellen Studie für Greenpeace schreiben Wissenschaftler, das Wasser in mehreren Zuflüssen zu Oder und Weichsel sei "salziger als in der Ostsee". Schuld daran sei Abwasser aus schlesischen Kohlebergwerken. Führt der Fluss viel Wasser wie jetzt im Frühjahr, verträgt das Ökosystem das noch. Zur Gefahr wird es bei niedrigen Pegelständen.

Zudem hält die polnische Regierung an dem Vorhaben fest, die Oder besser nutzbar zu machen für die Schifffahrt. Auch Hochwasser soll durch die Bauten verhindert werden können. Doch wenn der Fluss weiter vertieft wird, fließt das Wasser im Frühjahr schneller ins Meer ab, ein niedriger Wasserpegel im Sommer wird wahrscheinlicher. Zudem würden die Auen entwässert, argumentieren die Ausbaugegner.

Der Oberste Verwaltungsgerichthof in Warschau gibt den Umweltschützern recht: Er bestätigte Anfang des Monats einen Beschluss vom Dezember, wonach die Bauarbeiten gestoppt werden müssten. Nur kümmert das die rechtsnationale PiS-Regierung nicht. Marek Gróbarczyk vom Ministerium für Infrastruktur kommentierte das Gerichtsurteil auf Twitter so: "Die Folgen der Umsetzung einer nachlässigen Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtshofs wären weitaus gefährlicher als die Fortsetzung dieser Investition." Schon zuvor hatte er die deutsche Seite beschuldigt, polnische Investitionen verhindern zu wollen.

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Polen und Deutschland hatten sich im April 2015 auf das teure Projekt verständigt - auf deutscher Seite unterzeichnete der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Bis zu 6,2 Millionen Euro sagte das Ministerium damals für die Bauarbeiten zu. In Polen regierte noch die politisch der CDU nahestehende Bürgerplattform von Donald Tusk.

Die PiS übernahm im Herbst 2015 die Macht und führte das Oder-Bauprojekt weiter. Doch nun fordert Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) den Ausstieg aus dem Projekt. Auch das Land Brandenburg wehrt sich gegen die Fortführung.

Aus dem von der FDP geführten Bundesverkehrsministerium heißt es, von Ausbau könne gar keine Rede sein. "Ein verkehrlicher Ausbau im Sinne einer geänderten Wasserstraßenklasse ist seitens der Bundesrepublik nicht angestrebt", teilte ein Sprecher mit. Das deutsch-polnische Abkommen enthalte "maßvolle Instandsetzungsmaßnahmen". Man sehe sich "in der Verantwortung für das Gewässerökosystem" und werde sich "dafür einsetzen, die verschiedenen Randbedingungen und Interessenslagen an der Grenzoder in Einklang zu bringen".

Doch ob beide Seiten zusammenfinden, erscheint fraglich. Zwar arbeiten Politiker auf kommunaler und regionaler Ebene zusammen, auch Wissenschaftler forschen grenzübergreifend. Doch zwischen Berlin und Warschau hakt es - auch beim Thema Oder. Deutsche Behörden und polnische Kommunalpolitiker hatten der PiS-Regierung in Warschau im Sommer vorgeworfen, viel zu spät auf die schlechten Wasserwerte reagiert und informiert zu haben.

Beide Seiten bleiben lieber unter sich

Am Donnerstag traf sich die polnische Umweltministerin Anna Moskwa mit den Vertretern der Woiwodschaften, durch welche die Oder fließt. In der Presseerklärung ist von einem aufwendigen Frühwarnsystem und regelmäßiger Gewässerkontrolle die Rede. Was passieren soll, wenn Grenzwerte überschritten werden, wird nicht gesagt. Die Bauarbeiten am Fluss werden gar nicht erwähnt.

An diesem Montag haben die Grünen nach Frankfurt eingeladen, um über die Zukunft der Oder zu sprechen. Grenzübergreifend, aber ohne die PiS. Polnische Regierungsvertreter wurden nicht eingeladen. Man habe sich auf "die polnische Zivilgesellschaft, die Grüne Partei sowie auf die Woiwodschaften entlang der Oder konzentriert, da wir hier die Möglichkeit sehen, zusammenzuarbeiten und gemeinsam Dinge voranzutreiben", erklärte eine Sprecherin. Das Bundesverkehrsministerium habe die Einladung ausgeschlagen.

Abwasser aus zahlreichen schlesischen Kohlebergwerken führt zu einer Versalzung des Flusswassers bis zur Ostsee. (Foto: SZ-Karte: Mainka/ Mapcreator.io/OSM; Quelle: Greenpeace Polen)

Gewässerforscher Christian Wolter möchte demnächst wieder auf Fischfang gehen. Ganz vorsichtig. Jeder Fisch wird wieder zurückgesetzt. Er und seine Kollegen werden nur schauen, was da so schwimmt, wie groß die Fische sind. Wolter beschäftigt sich am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) seit Jahrzehnten mit der Oder. Die sogenannten Befischungen im Herbst und Winter verhießen nichts Gutes. Viel zu wenige und viel zu kleine Fische, einige Arten fehlten ganz. Zudem war weiterhin zu viel Salz im Wasser.

Nun, nach ergiebigen Regenfällen im Winter, sagt Wolter, sei der Pegelstand hoch - gut für die Wasserqualität und die Tiere. Doch die Abwassereinleitungen müssten dauerhaft verringert werden, sagt er und fordert Renaturierung statt Ausbau. Die Natur braucht Zeit. Die Muscheln brauchen besonders lang, um sich wieder zu vermehren, weil sie weniger mobil sind. Sie sind auf die Fische angewiesen. Gleichzeitig sind die Muscheln wichtige Fressfeinde der Algen. Die gibt es reichlich: Auf 300 Kilometer Flusslänge hatte sich die Goldalge ausgebreitet. "Der Fluss ist jetzt gefährdeter, dass so eine Katastrophe wieder passiert", sagt Wolter.

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