Nahostkonflikt:Wo ist all die Hoffnung auf Frieden hin?

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Wo ist die Hoffnung auf den Frieden hin? Jitzchak Rabin, Bill Clinton, Jassir Arafat anno 1993 (Foto: picture alliance / ASSOCIATED PR)

Jede Woche neue Gewalt: Wie unversöhnlich die Positionen im Nahostkonflikt sind, zeigen PLO-Sprecher Frangi und der israelische Ex-Offizier Shalicar.

Von Lars Langenau

Was für Bilder: Nach Jahren des Krieges, nach Terror, Mord und Totschlag reichen sich zwei Erzfeinde die Hände. Wir schreiben das Jahr 1993. Der Schritt, den Jitzchak Rabin und Jassir Arafat aufeinander zugehen, wird ein Jahr später mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt. Doch die Hoffnung, die sich in der Preisverleihung ausdrückt, erfüllt sich nicht: Israels Premier wird Ende 1995 ermordet, der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) stirbt 2004. Der Osloer Friedensprozess war da längst tot.

Nun, zwei Jahrzehnte später, erleben Palästinenser und Israelis eine erneute Explosion der Gewalt. Seit US-Präsident Donald Trump Anfang Mai die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt hat, protestieren jeden Freitag Zehntausende Palästinenser entlang der Grenze zwischen Gazastreifen und Israel. Sie fordern ein Recht auf Rückkehr in ihre frühere Heimat - das ist der Punkt, an dem der Osloer Friedensprozess letztendlich scheiterte. Bislang wurden bei den jüngsten Protesten mehr als 120 Palästinenser durch israelische Schüsse getötet, mehr als 3800 Personen wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt.

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Wie festgefahren die Situation inzwischen ist, zeigen Gespräche mit zwei Personen, die stellvertretend für die Positionen ihrer Regierungen stehen. Die Interviews wurden getrennt geführt. Auf der einen Seite: Arye Sharuz Shalicar, 40, Direktor für Auswärtige Angelegenheiten im israelischen Geheimdienstministerium. Auf der anderen: Abdallah Frangi, 74, Minister und Beauftragter des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas für die Beziehungen zu den EU-Staaten.

Was sind die Ursachen für die erneute Eskalation der Gewalt und inwieweit hat Donald Trumps Entscheidung zur Verlagerung der US-Botschaft nach Jerusalem den Konflikt befeuert?

"Die Eröffnung der Botschaft in Jerusalem ist eine Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika, für die Israel nicht verantwortlich gemacht werden kann", sagt der Israeli Shalicar. "Natürlich befürwortet die israelische Regierung diese Entscheidung, aber sie kann nicht als Vorwand für Terror dienen und Gewalt gegen israelische Staatsbürger relativieren." Shalicar ist der Meinung, die Proteste seien vor allem von der Hamas befeuert worden, die damit eine langfristige Strategie verfolge. "Die Hamas sucht genau das Bild von armen Zivilisten, Frauen, Kinder, das dann die Runde durch die Weltpresse macht. Nur eben, dass die Hamas genau diese Leute nach vorne schickt und deren Tod provoziert. Dies soll Israel in ein schlechtes Licht rücken und ist die Umkehr von Opfern und Tätern", sagt der israelische Politologe und Buchautor.

Der Palästinenser Frangi weist die "Verantwortung für all die Toten und Verletzten" dagegen klar der israelischen Regierung zu: "Die Täter sind Soldaten und Befehlsempfänger ihrer Regierung. Die Hamas hat damit überhaupt nichts zu tun." Die Initiative zu den Demonstrationen kämen aus der zivilen Gesellschaft in Gaza, sagt der Mann, der in den 1970er Jahren offizieller Vertreter der PLO in Deutschland war und danach Generaldelegierter Palästinas in Bonn und Berlin - und von 2014 bis Januar 2018 Gouverneur von Gaza. Zwei Millionen Menschen im Gazastreifen lebten dort seit zwölf Jahren in einem "Freiluftgefängnis", Strom gebe es für die Menschen im Gazastreifen nur vier Stunden täglich, das Wasser aus der Leitung sei verschmutzt, Trinkwasser gebe es nur teuer zu kaufen. Frangi: "Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Lebensmittel sind knapp. So sieht der Alltag im Gazastreifen aus. Das verdeutlicht die Perspektivlosigkeit, in die die Kinder hineingeboren werden und mit der die Jugendlichen umgehen müssen."

Was genau ist die Rolle der Hamas bei den gewalttätigen Ausschreitungen?

Die Demonstranten würden natürlich von der Hamas, wie auch von allen palästinensischen Organisationen unterstützt, sagt Frangi. "Es ist normal, dass wir hinter unserem Volk stehen." Rhetorisch fragt der Palästinenser: "Ist es gerechtfertigt, jemanden - oder sogar ein Kind - zu erschießen, nur weil er mit Steinen wirft? Hier fehlt die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Diese Menschen demonstrieren für bessere Lebensbedingungen und gegen eine Besatzungsmacht." Er bekräftigt: "Das Problem im Gazastreifen ist nicht Hamas, sondern die israelische Besatzungsmacht." Vergangenen Freitag wurden abermals 20 Palästinenser entlang des Grenzzauns von den Schüssen israelischer Soldaten verletzt. Zuvor hatte es bei den Protesten mehrfach Tote gegeben. "Alle Opfer waren Zivilisten, hatten keine Waffe in der Hand", sagt Frangi.

Viele der erschossenen Palästinenser seien Mitglieder der Hamas, sagt hingegen der gebürtige Göttinger und in Berlin aufgewachsene Shalicar. "Meiner Meinung nach steht damit fest, dass Israel nicht unschuldigen und harmlosen Demonstranten sondern einem Feind gegenüberstand." Shalicar ergänzt: "Die Hamas schickte viele Zivilisten an den Grenzzaun. Wenn der Zaun erst einmal durchbrochen und überwunden ist, dann dringen Hunderte, wenn nicht Tausende nach Israel ein. Unter denen werden dann sicher nicht nur friedliche Demonstranten sein, sondern ein paar von ihnen werden auch 300 Meter entfernt in ein Kibbuz eindringen, um dort zu morden und Menschen zu entführen."

Zwar sei es legitim, dass Israel wie jedes Land seine Grenzen schütze, sagt Frangi, fügt aber hinzu, Israel sei "das einzige Land der Erde, das seine Grenzen nicht festgelegt" habe. "Israel betreibt eine Expansionspolitik und baut Siedlungen auf palästinensischem Boden. Das ist völkerrechtswidrig und wird von der Weltgemeinschaft als Hindernis für eine friedliche Lösung des Konflikts gesehen."

"Israel", entgegnet Shalicar, "ist im Vergleich zu seinen Nachbarn ein sehr kleines Land, es ist deshalb absurd zu behaupten, dass wir unsere Grenzen nicht festlegen würden." Das grenze an Geschichtsleugnung, denn bei der Gründung Israels vor 70 Jahren wurde das britische Mandatsgebiet in einen israelischen und einen arabischen Teil aufgespalten. "Die arabische Seite hat das damals jedoch abgelehnt und seither gibt es den Konflikt. Inzwischen aber hat sich die Haltung einiger arabischer Staaten gegenüber Israel verschoben und man nimmt gemeinsam den schiitischen Iran als Hauptbedrohung wahr. Der israelisch-palästinische Krieg rückt deshalb immer mehr in den Schatten."

Der Israeli Shalicar sieht für die aktuelle Eskalation auch innerpalästinensische Ursachen: "Fatah und Hamas sind seit 2007 zutiefst zerstritten. Mahmud Abbas versucht im Gazastreifen, sich die Hamas gefügig zu machen, aber scheitert fortlaufend. Dort herrscht ein Bruderkrieg und jetzt hat Hamas der Fatah sogar die Idee eines vermeintlich friedlichen Protests geklaut." Frangi versucht das herunterzuspielen: "Wir alle wissen, dass Israel militärisch nicht zu besiegen ist", meint der PLO-Mann. "Israel ist die stärkste Militärmacht der gesamten Region. Vor wem und vor was sollte sie sich fürchten?" Aber, sagt er: "Widerstand gegen eine Besatzung ist legitim. Und solange Israel eine völkerrechtswidrige Besatzungsmacht ist, wird Israel mit Widerstand rechnen müssen."

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Wie geht es jetzt weiter? Gibt es eine Zukunft für die Idee von zwei friedlich nebeneinander existierenden Staaten?

"Theoretisch ist die Idee einer Zweistaatenlösung wie 1947 denkbar, praktisch umsetzbar ist es derzeit jedoch nicht", meint Shalicar. Auf der einen Seite stehe ein demokratischer Staat und auf der anderen Seite im Gazastreifen und im Westjordanland zwei verfeindete Regionen. "Zudem haben die Menschen dort seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gewählt und niemand hat die Autorität für solche Gespräche. Würde Abbas diese Gespräche mit uns führen, hätte die Fatah auch im Westjordanland binnen weniger Jahre die Macht verloren. So wie die Hamas vor einem Jahrzehnt die Gunst der Stunde genutzt hat und nach Israels Abzug die Macht im Gazastreifen an sich gerissen hat, würde sie es auch dort tun."

"Es gibt keine Alternative zur Zweistaatenlösung", sagt Frangi. "Diese Ansicht vertritt die ganze Welt, auch die Bundesregierung und die EU. Wir Palästinenser haben in dem Osloer Abkommen von 1993 auf drei Viertel des historischen Palästinas verzichtet und es Israel überlassen. Was kann man mehr verlangen?" Die Palästinenser bestünden ohne Abstriche darauf, "unseren Staat in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu gründen". Geschehe das, "dann können wir in Frieden und gleichberechtigt mit den Israelis alle anstehenden Probleme lösen. Dann haben auch die Palästinenser ihre Grenzen und ihre Freiheit."

Auf die Frage, ob es Frieden schon in absehbarer Zeit geben könne, deutet Shalicar ein vorsichtiges Ja an - und sagt dann: "Israel hat in der arabischen Welt immer nur Erfolge aus einer Position der Stärke erzielt."

Der PLO-Mann beklagt hingegen den "Rechtsruck in der israelischen Regierung und in der israelischen Gesellschaft". Das bedauere er sehr, "weil es die Rechten in Israel sind, die keinen Frieden mit den Palästinensern wollen und die Zweistaatenlösung ablehnen".

Frangi meint aber auch, dass es nicht unbedingt auf die Haltung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ankommt. Viel wichtiger sei die Haltung der Amerikaner und der Europäer. "Wenn Trump einseitig zionistische Entscheidungen zugunsten der israelischen Regierung trifft, hat er seine Vermittlerrolle im Friedensprozess verwirkt und damit wird er langfristig seinen Einfluss in der gesamten arabischen Welt verlieren." Er fordert: "Für einen Frieden im israelisch-palästinensischen Konflikt ist ein verstärktes Engagement der Weltgemeinschaft dringend erforderlich."

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