Bundesregierung:Die Koalition muss an die frische Luft

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Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag bei seiner Ankunft auf Schloss Meseberg. Frische Luft tut manchmal not - so auch derzeit im Kabinett des Kanzlers. (Foto: Michael Sohn/AP)

Das Ampel-Bündnis von Kanzler Olaf Scholz streitet über ein Verbot von Öl- und Gasheizungen, bringt Brüssel gegen sich auf und ringt um den Bundeshaushalt für 2024. Bei der Klausur auf Schloss Meseberg soll sich nun die Stimmung bessern. Ob zwei Tage auf dem Land dafür reichen?

Von Nicolas Richter, Meseberg

Der Weg zum Barockschloss Meseberg im nördlichen Brandenburg führt durch typische ostdeutsche Alleen. Am Straßenrand wurden Leitplanken befestigt, damit Autos nicht gegen die alten Bäume krachen. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreicht man schließlich das Örtchen Meseberg, in dem sich allem Anschein nach nur Polizeiautos und deren Insassen bewegen.

Hier liegt das Gästehaus der Bundesregierung, wo sich das Kabinett von Kanzler Olaf Scholz zu seiner zweitägigen Klausur trifft. Das Konzept ähnelt dem von Teambuilding-Seminaren in der gewöhnlichen Arbeitswelt: Die Routine soll weichen, die großen Ziele wieder erkennbar sein, der Zusammenhalt gefestigt werden. Am Ende eines strapaziösen Winters muss die Ampelkoalition mal an die frische Luft.

Das ist auch dringend notwendig. Die Koalition erinnert gerade wieder daran, wie fremd sie sich oft selbst ist. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Beispiel hat jüngst einen Plan für ein Verbot neuer Gas- und Ölheizungen ausarbeiten lassen. Die Energiewende erreicht damit die Eigenheime, und Eigentümer müssen mit Mehrkosten rechnen, um künftig mit erneuerbaren Energien zu heizen. Die FDP, die sich als Gegnerin grüner Regelungswut sieht, hat dem Plan sofort widersprochen.

Im Streit über die Zukunft des Verbrennungsmotors sorgt die Bundesregierung sogar europaweit für Aufsehen: Eine fertig ausgehandelte EU-Regelung zum Ende neuer Verbrenner vom Jahr 2035 an wurde durch Nachforderungen der FDP gestoppt - die Liberalen erwarten von der EU-Kommission einen Vorschlag, wie klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, auch nach 2035 in Verbrennern einzusetzen wären. In Brüssel ist man gar nicht begeistert davon, dass das Berliner Gezänk nun auch die Abläufe in der Hauptstadt Europas beeinträchtigt.

Ursula von der Leyen als Stargast

Der Kanzler, der in Meseberg zugleich der Gastgeber ist, erscheint am Sonntagnachmittag bei aufgelockerter Bewölkung und mit offenem Hemdkragen zusammen mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission. Sie gehört zwar nicht mehr zum Bundeskabinett (sie war Familien-, Arbeits- und Verteidigungsministerin unter Angela Merkel), aber Scholz würdigt sie als gute Freundin und als "Hauptverantwortliche" für die Frage, wie man ein geopolitisch souveränes Europa schaffen kann. Die Wahl des Stargastes zeigt: Scholz will hier in der frischen Meseberger Luft nicht allein über die kleinen, innerkoalitionären Befindlichkeiten reden, sondern über die großen Fragen Deutschlands und Europas.

Dem Kanzler zufolge nämlich erlebt das Land gerade eine "große Zeit des Umbruchs". Das liegt erstens noch immer am Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine - erst am Freitag ist Scholz in Washington gewesen, um mit US-Präsident Joe Biden über die Lage im Kriegsgebiet zu beraten.

Es geht, zweitens, um die zahllosen Folgen der Energiewende und dem allmählichen Abschied von den fossilen Energien. "Was wir an industrieller und wirtschaftlicher Modernisierung in diesem Jahrzehnt auf den Weg bringen müssen", sagt Scholz etwas holprig, das sei "so groß, dass es wichtig ist, das von allen Seiten her zu besprechen."

Damit die Gesellschaft all das bewältigen kann, braucht sie aus Sicht des Kanzlers Optimismus. "Das in Angriff zu nehmen, verlangt Zuversicht", sagt der Kanzler, und Zuversicht soll eines der Leitmotive sein für die Kabinettsklausur. Der Kanzler ist zuweilen besorgt, dass die vielen düsteren Nachrichten über Krieg und Inflation die Menschen überfordern könnten. Zuversicht ist nach seiner Meinung das passende Gegenmittel.

Dieses Mittel dürfte er auch erst einmal für seine eigene Koalition brauchen. Denn die ächzt selbst unter der Last der Ereignisse. Die FDP ist zunehmend nervös ob ihrer konstant miserablen Wahlergebnisse. Immer wieder gibt es Streit zwischen Liberalen und Grünen, die sich beide als notwendiges Korrektiv des jeweils anderen begreifen.

Streitpotenzial in Haushaltsfragen

Zurzeit gibt es zusätzliches Streitpotenzial, weil Finanzminister Christian Lindner (FDP) gerade den Bundeshaushalt für 2024 aufstellt; Mitte des Monats will er Eckpunkte vorlegen. Alle Mitglieder des Kabinetts müssen zurzeit nach und nach bei ihm erscheinen und um Geld für ihre Projekte kämpfen. Lindner hat bereits angekündigt, dass er in diesem Jahr sparen will, die Gespräche dürften also schwierig werden. Immerhin: Zusatzausgaben für die geplante Kindergrundsicherung betreffen erst den Haushalt 2025.

Ob denn einige der aktuellen Streitfragen in Meseberg gelöst werden? Die Hintersassen des Kanzlers haben darauf zuletzt mit einem gewissen Unverständnis reagiert. "Erklären Sie mir, wo die akuten Probleme der Ampel liegen, die dort geklärt werden sollen", antwortete Regierungssprecher Steffen Hebestreit jüngst auf eine entsprechende Frage. Immerhin räumte er ein, dass es "am Rande" des Treffens möglich sei, Themen zu klären, bei denen es "leichte Reibungen geben könnte".

An diesem Montagnachmittag sollen Scholz, Habeck und Lindner gemeinsam zur Pressekonferenz erscheinen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass aktuelle Streitfragen dort für gelöst erklärt werden. Die Zukunft des Verbrennungsmotors wird jetzt erst mal zwischen Berlin und Brüssel besprochen, wobei von der Leyen in Meseberg schon mal streng daran erinnert hat, dass die EU ehrgeizige Klimaziele zu erreichen hat. Die Debatte über ein Verbot von Gas- und Ölheizungen beginnt derweil erst. Und beim Haushalt dürfte ebenfalls noch viel gefeilscht werden. Entscheidungen werden erst Ende März beim nächsten Koalitionsausschuss erwartet.

Wenn es dem Kanzler also gelingen sollte, in Meseberg den Blick seiner gereizten Koalitionäre von den alltäglichen Differenzen mal wieder auf die langfristigen Ziele zu richten, hätte er mit der Klausur sein Bündnis wieder in die Spur gebracht. Von der Wirkung her entspräche das den Leitplanken in den ostdeutschen Alleen, die verhindern, dass der Ausflugsbus der Ampelkoalition gleich am nächsten Baum schon wieder hängenbleibt.

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