Ukraine-Krieg:4000 Bundeswehrsoldaten für Litauen

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Nato-Militärfahrzeuge nehmen an der litauisch-deutschen Militärübung "Griffin Storm 2023" auf einem Truppenübungsplatz in Pabrade teil. (Foto: Mindaugas Kulbis/dpa)

Nach den politischen Unruhen in Russland kündigt Verteidigungsminister Pistorius an, erstmals dauerhaft eine Brigade an der Nato-Ostgrenze zu stationieren. Putin nennt Wagner-Söldner "Patrioten".

Von Georg Ismar und Mike Szymanski

Nach der gescheiterten Revolte in Russland will Deutschland auf Dauer etwa 4000 Bundeswehr-Soldaten zusätzlich nach Litauen schicken. Damit soll die Nato-Ostflanke besser geschützt werden. "Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren", sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Besuch in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Voraussetzung sei, dass Litauen die nötige Infrastruktur zur Unterbringung der Soldaten und für die Übungsmöglichkeiten schafft.

Am Montagabend meldete sich erstmals nach der Rebellion Russlands Machthaber Wladimir Putin zu Wort. In einer Rede an die Nation dankte er den Sicherheitskräften und der Bevölkerung für ihren Rückhalt. Auch Kommandanten und Soldaten der Söldnergruppe hätten mit dem Abbruch der Revolte Blutvergießen vermieden, sagte der Kremlchef, die meisten Mitglieder der Wagner-Gruppe seien Patrioten. Zugleich nannte er die Organisatoren der Rebellion aber weiter Verräter.

Nach der Rebellion der russischen Privatarmee Wagner gegen die Führung in Moskau am Wochenende hatte Litauens Präsident Gitanas Nausėda eine weitere Stärkung der Nato-Ostflanke eingefordert. Es sei unklar, welche Rolle Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin im Exil in Belarus spielen könnte, daher müsse die Sicherheit der Ostgrenze erhöht werden, sagte das Staatsoberhaupt des EU- und Nato-Landes.

Litauen grenzt an Belarus und die russische Exklave Kaliningrad. "Wir haben es mit einem großen Staat zu tun, einem Atomstaat, und alle inneren Unruhen haben unweigerlich Konsequenzen für die Sicherheit der umliegenden Staaten", sagte Nausėda. In Litauen findet am 11. und 12. Juli auch der nächste Nato-Gipfel statt.

Nausėda kündigte an, dass Litauen die Infrastruktur bis spätestens 2026 schaffen und finanzieren werde. Die Soldaten sollen in den nächsten drei Jahren Schritt für Schritt dort stationiert werden.

Pistorius' Ankündigung bedeutet eine Kehrtwende. Bislang hatten Kanzleramt und Verteidigungsministerium die Auffassung vertreten, es genüge, in Deutschland eine Brigade vorzuhalten, die im Ernstfall in Litauen eingesetzt wird. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im vergangenen Sommer in Aussicht gestellt, einen solchen Kampfverband zusätzlich zum Schutz Litauens abzustellen. Seither stritten beide Seiten, wie die Ankündigung zu verstehen sei.

Der Kurswechsel kommt auch überraschend für die Truppe. Noch in der vergangenen Woche hatte ein ranghoher Vertreter der Bundeswehr in einer vertraulichen Runde ausgeführt, dass an eine dauerhafte Stationierung momentan eher nicht zu denken sei. Einerseits verfüge Litauen bisher nicht über die Infrastruktur für 4000 Soldaten. Andererseits sei die Bundeswehr gar nicht vertraut damit, Soldaten samt ihren Familien in einem anderen Land dauerhaft zu stationieren.

Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) sagte der S üddeutschen Zeitung, der Schritt zeige, "dass wir Litauen bei der Verteidigung unserer Freiheit nicht alleinlassen". Aber klar sei auch, dass das nicht über Nacht geschehen könne - und die Kosten bekannt sein müssten. "Die dauerhafte Stationierung muss finanziell hinterlegt werden, hier sind Bundesregierung und Bundestag gefordert." Neben genug Übungsplätzen und Kasernen brauche es zudem auch eine soziale Infrastruktur für die deutschen Soldatinnen und Soldaten und deren Familien - Wohnungen, Schulen, Kindergärten.

Um den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter zu erhöhen und ihn zu Zugeständnissen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zu zwingen, stockt die EU die Finanzmittel für weitere Waffen und Ausrüstung um weitere 3,5 Milliarden Euro auf. Das beschlossen die EU-Außenminister in Luxemburg.

Am Samstag war in Russland der Machtkampf zwischen der Armee und der privaten Söldner-Gruppe Wagner eskaliert. Unter Führung von Prigoschin besetzten die Söldner die südrussische Stadt Rostow am Don und drohten mit einem Marsch auf Moskau. Am Abend beendete Prigoschin den Aufstand überraschend wieder und beorderte seine Truppen zurück in ihre Lager. Dem Kreml zufolge geht er ins Exil nach Belarus. Allerdings war bis Montag unbekannt, ob Prigoschin dort ist und wo er sich konkret aufhält. Sein Pressedienst verbreitete eine Sprachnachricht, die demnach von Prigoschin stammt. Darin sagte er, der Aufstand habe nicht auf einen Sturz der Obrigkeit gezielt, sondern sei ein Protest gegen die Kriegsführung gewesen, im Prinzip eine Art Machtdemonstration.

Der Wagner-Chef war viele Jahre ein Vertrauter von Putin, bis er sich immer wieder kritisch zum Krieg in der Ukraine äußerte, die von Putin genannten Kriegsgründe als Lügen enttarnte und offen die Machtfrage stellte. Putin hatte Prigoschin als Verräter gebrandmarkt, nach dessen Abbruch der Rebellion aber für ihn und die bis zu 25 000 Söldner Straffreiheit zugesichert. Am Montag sagte Putin, die Söldner könnten nach Belarus gehen, der russischen Armee beitreten oder zu ihren Familien zurückkehren. Putin erwähnte Prigoschin nicht. Das Strafverfahren gegen diesen ist noch nicht eingestellt. Ermittler des Geheimdienstes FSB untersuchten den Fall weiter, berichtete die russische Zeitung Kommersant.

Die fragile Lage rückte auch die Sicherheit des russischen Atomwaffenarsenals erneut in den Fokus, zudem weisen Experten auf die Risiken beim von russischen Truppen besetzen Atomkraftwerk Saporischschja hin, dessen Kühlsystem laut der Ukraine vermint wurde. Präsident Wolodimir Selenskij forderte am Montag eindringlich die Weltöffentlichkeit zum Handeln auf, "um jegliche Strahlungsvorfälle zu verhindern".

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