Konjunkturpaket:Darauf haben sich Union und SPD geeinigt

Kinder, Kommunen, Steuerzahler: Das Konjunkturpaket hat viele Nutznießer. Auch die Autoindustrie bekommt etwas. Wenn auch nicht das, was sie wollte. Ein Überblick mit Grafiken.

Von Markus Balser, Cerstin Gammelin, Kristiana Ludwig, Henrike Roßbach, Berlin, und Philipp Saul

Mobilität: Höhere Kaufprämie für E-Autos, Geld für den öffentlichen Nahverkehr

Die Zahlen, die die Autobranche kurz vor dem Koalitionsgipfel veröffentlicht hatte, sollten die Zweifler doch noch auf Kurs bringen. Um 75 Prozent brachen die Neuzulassungen demnach in Europa zuletzt ein. Besonders betroffen: die stark von der Corona-Krise gebeutelten Länder wie Italien (minus 98 Prozent) und Spanien (minus 97 Prozent). Der Autolobbyverband rechnete nun vor, dass die Kosten des Stillstands der größten deutschen Industrie für die Gesellschaft riesig seien. Auf fünf Milliarden Euro pro Monat schätzt der VDA Belastungen durch entgangene Steuern, Sozialbeiträge oder Kurzarbeitergeld.

Doch am Abend machte sich Ernüchterung in Deutschlands größter Branche breit. Denn das lange Werben der Autoindustrie um Kaufprämien für Benziner und Diesel war erfolglos. Der Bund will der Einigung zufolge lediglich den Kauf von Elektroautos fördern - das allerdings deutlich. Bis Ende des kommenden Jahres soll die bereits bestehende Kaufprämie des Bundes verdoppelt werden. Wer dann ein E-Auto zum Preis von bis zu 40 000 Euro kauft, kann weiter mit der bisherigen Förderung von 6000 Euro rechnen, die sich Bund und Konzerne teilen. Der Bund legt nun aber noch mal 3000 Euro drauf und rechnet dafür insgesamt mit einem Finanzbedarf von zwei Milliarden Euro.

Zudem will die große Koalition zusätzlich 2,5 Milliarden Euro in den Ausbau einer moderneren und sichereren Ladesäulen-Infrastruktur investieren, um es Besitzern von E-Autos leichter zu machen. Dieses und kommendes Jahr sollen zudem Investitionen der Branche in Zukunftstechnologien mit jeweils einer Milliarde Euro gefördert werden. Auch weitere Standorte für eine Batterieproduktion können auf zusätzliche Mittel hoffen. Allein die Hersteller von Lkws könnten von Kaufprämien für Verbrenner profitieren. Allerdings will die Bundesregierung dafür keine eigenen Mittel zur Verfügung stellen, sondern sich dafür einsetzen, dass die EU-Kommission ein entsprechendes Programm auflegt. Es soll dem Beschlusspapier vom Mittwochabend zufolge einen Zuschuss beim Austausch von Euro-5-Lkws von 15 000 Euro vorsehen, beim Austausch von Euro-3- oder Euro-4-Fahrzeugen von 10 000 Euro.

Helfen will die Bundesregierung auch den Betrieben des öffentlichen Nahverkehrs. Deren Fahrgastaufkommen war drastisch eingebrochen. Als systemrelevante Infrastruktur sollten sie Busse und Bahnen dennoch in hohem Takt weiter fahren lassen. Das hatte zu Einbußen von rund fünf Milliarden Euro geführt. Bürgerinnen und Bürger müssten auch zukünftig darauf vertrauen können, einen funktionsfähigen öffentlichen Nahverkehr nutzen zu können, hieß es in Regierungskreisen. Der Bund wolle deshalb durch eine einmalige Erhöhung der Regionalisierungsmittel in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in diesem Jahr den Verkehrsbetrieben helfen.

Auf eine milliardenschwere finanzielle Hilfe für die Deutsche Bahn hatte sich die Bundesregierung allerdings bereits in den vergangenen Wochen verständigt.

Soziales: Geld für Kinder

Dass Hubertus Heil (SPD) sich am Mittwochmittag in seinem Ministerium zur Lage auf dem Arbeitsmarkt äußerte und nicht in der Koalitionsrunde im Kanzleramt saß, wollte der Bundesarbeitsminister keineswegs als Zeichen gedeutet sehen, dass seine Lieblingsthemen für das Corona-Konjunkturprogramm schon in trockenen Tüchern seien. Dennoch ließ er keinen Zweifel daran, was er für unerlässlich hält in dem geplanten Multimilliardenpaket für die Auferstehung der deutschen Wirtschaft. "Ich bin dafür, dass wir was tun für Investitionen", sagte er, vor allem kommunale Investitionen seien wichtig, etwa für das Handwerk, aber auch, um Infrastruktur und Bildungseinrichtungen zu erneuern. "Ich bin auch dafür, dass wir Kaufkraft stärken, vor allem für Familien", fügte er hinzu.

Fast zwölf Stunden später war klar: Auch die Spitzen von Union und SPD waren für diese Dinge. Die vielleicht größte Überraschung: Die maximale Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld wird nicht wie erwartet auf 24 Monate verlängert. Fürs Erste jedenfalls; im September soll die Sache noch einmal begutachtet und eine "verlässliche Regelung" für das kommende Jahr vorgelegt werden. Eher keine Überraschung dagegen ist, dass der Kinderbonus von 300 Euro je Kind kommt, als Aufschlag aufs Kindergeld. Eltern mit höheren Einkommen allerdings, die vom Kinderfreibetrag profitieren, werden von diesem Bonus nichts haben; er wird mit dem Freibetrag verrechnet, wenn sie ihre Steuererklärung machen. Mit Sozialleistungen wie etwa Hartz IV soll die Kinderprämie dagegen nicht verrechnet, sondern zusätzlich ausgezahlt werden. Der Bonus war ein Herzenswunsch der SPD; in ihrem Forderungskatalog hieß es, eine derartige Zahlung stärke auch die Kaufkraft. Kosten wird die Kinderprämie 4,3 Milliarden Euro.

Zusätzlich soll aber auch mehr Geld als bislang geplant war in den Ausbau der Ganztagsbetreuung und in die Digitalisierung der Schulen fließen. Kritiker des Kinderbonus hatten argumentiert, eine solche Zahlung nutze vielen Eltern rein gar nichts; sie bräuchten auch in der Corona-Pandemie Betreuungsangebote und besseren Fernunterricht für ihre Kinder.

Geplant ist auch, die berufliche Ausbildung sicherzustellen, auch wenn viele Unternehmen derzeit wirtschaftliche Probleme haben. Jeder Jugendliche, der ausbildungswillig sei, solle einen Platz bekommen, sagte Kanzlerin Merkel am Mittwochabend nach dem Ende der Verhandlungen. Um Unternehmen einen Anreiz zu bieten, sollen Prämien gezahlt werden für jene, die genauso viel ausbilden wie bisher oder vielleicht sogar noch mehr.

Steuererleichterungen und Hilfe für Kommunen

Steuern: Die Mehrwertsteuer wird gesenkt

Ein ziemlich dicker Brocken des "Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets" ist eine Steuersenkung. Nein, der Solidaritätszuschlag wird nicht früher und auch nicht für alle abgeschafft. Beschlossen aber hat der Koalitionsausschuss, dass die Mehrwertsteuer gesenkt wird. Befristet von Juli an bis zum Jahresende werden statt 19 Prozent nur noch 16 Prozent Mehrwertsteuer fällig; auch der ermäßigte Satz sinkt - von sieben auf fünf Prozent.

Die Koalition erhofft sich davon eine Stärkung der Binnennachfrage, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am späten Mittwochabend noch einmal in Form einer Mahnung an die Unternehmen betonte. "Wir hoffen, dass ganz viele sich angeregt fühlen, davon Gebrauch zu machen", sagte Scholz und meinte damit die Verbraucher, die kräftig einkaufen sollen, wenn weniger Mehrwertsteuer anfällt. Dass das nicht automatisch so kommen muss, weiß auch Scholz, weshalb er nachschob: "Wir erwarten dringend, dass die Unternehmen das nicht nutzen für erhebliche Preissteigerungen. Sondern es geht darum, dass Verbraucher den Vorteil haben." Der Kostenpunkt der geplanten Mehrwertsteuersenkung: 20 Milliarden Euro.

Weitere Steuererleichterungen gibt es für Alleinerziehende: Befristet auf zwei Jahre steigt der Entlastungsbeitrag für sie von 1908 Euro auf 4000 Euro.

Unternehmen wiederum bekommen eine "Forschungsmilliarde"; der Fördersatz der steuerlichen Forschungszulage wird in größerem Umfang als bisher gewährt. Vor allem aber werden die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen über eine degressive Abschreibung verbessert, was die Wirtschaft vor dem Koalitionstreffen auch eingefordert hatte. Zudem können sie Verluste aus der Corona-Zeit besser als bislang mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnen - und dadurch Steuern sparen. Beide Punkte sind nicht wirklich überraschend; Union wie SPD hatten vor dem Treffen Vorschläge in diese Richtung gemacht.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Ebenfalls einig war man sich, dass es weitere Überbrückungshilfen für kleine und mittlere Unternehmen geben soll. Für Corona-bedingte Umsatzausfälle soll nun ein Programm mit Überbrückungshilfen aufgelegt werden, im Volumen von maximal 25 Milliarden Euro, für Juni bis August.

Und dann waren da noch die Stromkosten, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Verbraucher belasten. Alle Regierungsparteien hatten deshalb Vorschläge zur Kostensenkung gemacht. Das Ergebnis: Vom kommenden Jahr an soll es aus dem Bundeshaushalt Zuschüsse geben, um die EEG-Umlage schrittweise und verlässlich zu senken. Laut dem Abschlusspapier der Koalitionäre dürfte das elf Milliarden Euro kosten.

Kommunen: Milliarden für Wohnkosten

Was die Corona-Krise für Deutschlands Städte und Gemeinden bedeutet? Erst am Mittwoch machte eine Studie klar, in welche Bedrängnis Deutschlands Bürgermeister derzeit geraten. Die Steuereinnahmen sinken massiv, und auch Einnahmen aus Ticketverkäufen für den Nahverkehr, Bäder oder Theater gehen wegen des wochenlangen Lockdowns zurück. Dagegen steigen die Kosten für Sozialleistungen. Eine Untersuchung der Technischen Universität Kaiserslautern errechnete allein für Nordrhein-Westfalens Kommunen dieses Jahr eine Finanzlücke von voraussichtlich 7,2 Milliarden Euro. Wenn der Bund nicht helfe, drohten Haushaltssperren, warnte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Aus eigener Kraft kämen die Kommunen aus dieser Krise wohl nicht heraus.

Doch die Hilfen gehörten zu den umstrittensten Punkten der Beratungen im Kanzleramt. Union und SPD waren in den Verhandlungen heftig aneinandergeraten. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach sich für eine Übernahme kommunaler Altschulden durch den Bund aus, um Kommunen wieder handlungsfähig zu machen. Doch Scholz konnte sich mit der Forderung nicht durchsetzen.

Am Ende setzte sich die Union damit durch, den Kostendruck der Städte und Gemeinden zu senken. Der Bund übernimmt dauerhaft 25 Prozent der Wohnkosten von Hartz-IV-Empfängern. Dafür stellt der Bund vier Milliarden Euro bereit.

Ausgleichen will die große Koalition auch die massiven Ausfälle bei der Gewerbesteuer, die selbst eigentlich gut finanzierte Kommunen hart treffen. Bund und Länder wollen die Defizite je zur Hälfte ausgleichen. Die Steuer ist eine Haupteinnahmequelle der Kommunen. Die örtliche Wirtschaft zahlt sie auf ihre Gewinne, das Geld fließt vor allem in die Kommunaletats. Jedes Jahr kommen bundesweit mehr als 40 Milliarden Euro zusammen. Weil die Gewinne jedoch in Krisenzeiten sinken, erwarten die Städte und Gemeinden in diesem Jahr massive Ausfälle von rund zwölf Milliarden Euro. Bund und Länder wollen davon je sechs Milliarden Euro übernehmen. Bekämen die Kommunen keine Hilfen, müssten sie die Steuern für Unternehmen erhöhen, hieß es aus Koalitionskreisen. Das aber würde den milliardenschweren Konjunkturhilfen und Entlastungen für Unternehmen entgegenlaufen.

Gesundheit: Geldspritze für Impfstoffentwicklung

In etwa vier Monaten im Pandemie-Modus hat die Bundesregierung in wenigen Bereichen so viel regeln müssen wie im Gesundheitswesen. Krankenhausbetten mussten für mögliche Covid-19-Fälle frei gehalten werden, Altenheime gesperrt und Schutzausrüstung angeschafft werden. Auch in diesem Konjunkturpaket geht es wieder um Gesundheit.

Die Koalition will 750 Millionen Euro in die Impfstoffentwicklung investieren. Für die chronisch unterfinanzierten kommunalen Gesundheitsämter soll es künftig Geld vom Bund geben - und zwar um ausreichend Personal in den kommenden fünf Jahren zu finanzieren. Damit die Behörden auch Amtsärzte finden, müsse "die Bezahlung mit dem ärztlichen Gehalt in anderen Bereichen des Gesundheitswesens mithalten können", heißt es in dem Einigungspapier der Koalition. Dies hatten Experten schon lange gefordert. Insgesamt sollen vier Milliarden Euro in den öffentlichen Gesundheitsdienst fließen, auch in die Digitalisierung der Ämter.

Die Krankenhäuser wollen die Koalitionäre ebenfalls mit besseren Computersystemen ausstatten. Rund drei Milliarden sollen in IT, Cybersicherheit und die digitale Infrastruktur der Kliniken fließen. Auch die Notfallkapazitäten sollen verbessert werden.

Weil gerade zu Anfang der Coronavirus-Pandemie die Schutzausrüstung im gesamten Gesundheitswesen knapp geworden war, sollen zudem nun zwei Milliarden Euro die Lagerung und Produktion von Masken und Kitteln in Deutschland bezuschussen. Auch die Herstellung von Medikamenten und Medizinprodukten im Inland soll davon unterstützt werden.

Die Regierungsparteien haben zudem ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag aufgegriffen, die Sozialabgaben der Bürger nicht über 40 Prozent des Gehalts steigen zu lassen. Man wolle "darüber hinausgehende Finanzbedarfe aus dem Bundeshaushalt jedenfalls bis zum Jahr 2021 decken", heißt es in dem Papier. Gerade im Bereich der Krankenkassen könnte das teuer werden: Viele Kosten der Pandemie wurden und werden von ihnen übernommen. Wenn die Versicherungsbeiträge der Bürger nicht steigen sollen, muss der Bund die Krankenversicherungen vermutlich kräftig unterstützen. Allein in diesem Jahr preist man dafür 5,3 Milliarden Euro ein. Die Kosten für 2021 könne man noch gar nicht absehen.

Die Koalition will außerdem mehr Geld ausgeben etwa für die Künstliche Intelligenz sowie für den Ausbau des neuen superschnellen Mobilfunkstandards 5G. Der digitale Wandel soll auch in der öffentlichen Verwaltung vorangebracht werden.

Die Bundesregierung treibt zudem die Pläne für eine Wasserstoffstrategie voran und will auch den Aufbau von Produktionskapazitäten des klimaschonenden Brennstoffs im Ausland ausloten. Ziel einer nationalen Wasserstoffstrategie soll es sein, "Deutschland bei modernster Wasserstofftechnik zum Ausrüster der Welt zu machen", hieß es. Wasserstoff spiele eine wichtige Rolle bei der Energiewende. Dabei wird Deutschland aber auch auf Importe aus dem Ausland angewiesen sein. Um den Einsatz dieser Technologien hier im Industriemaßstab zu demonstrieren, sollen bis 2030 industrielle Produktionsanlagen von bis zu fünf Gigawatt Gesamtleistung einschließlich der dafür erforderlichen Offshore- und Onshore-Energiegewinnung entstehen. Bis 2035 sollen möglichst weitere fünf Gigawatt zugebaut werden - bis 2040 spätestens noch einmal so viel.

Zur SZ-Startseite
Gastgewerbe steht in der Corona-Krise lange Durststrecke bevor

SZ PlusKoalitionsausschuss
:Wie es zur Mehrwertsteuer-Senkung kam

CDU, CSU und SPD reklamieren jeweils stolz für sich, auf die Idee mit dem Steuernachlass gekommen zu sein. Aber alle drei wollten damit eigentlich ein ganz anderes Problem beseitigen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: