Europapolitik:Wie die neue Regierung die EU aufmischen will

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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besucht diese Woche das EU-Parlament in Straßburg. Sie darf auf eine zweite Amtszeit hoffen - unter bestimmten Bedingungen. (Foto: Christian Hartmann/AFP)

Der Koalitionsvertrag verspricht eine harte Linie gegen Rechtsstaats-Sünder wie Polen und eine Stärkung des EU-Parlaments. Bei heiklen Themen wie der Zukunft der Schuldenregeln will Berlin vermitteln.

Von Björn Finke, Brüssel

Clément Beaune zeigt sich zufrieden: Er begrüße den deutschen Koalitionsvertrag, schrieb der Europa-Staatssekretär der französischen Regierung auf Twitter und nannte das 178-Seiten-Werk "ein sehr engagiertes Abkommen zugunsten Europas". Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Centre in Berlin, ein Forschungsinstitut, bezeichnete die Vereinbarungen "als ziemlich gute Nachrichten" für eine Reihe von Brüsseler Streitthemen. Der Koalitionsvertrag ist bei EU-Entscheidern und EU-Beobachtern gut angekommen. Das ist kein Wunder, schließlich bekennen sich SPD, FDP und Grüne hier zu mehr europäischer Integration.

Für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird die allerletzte Seite des Vertrags die interessanteste sein. Da legen die drei Parteien fest, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für einen deutschen EU-Kommissar haben, "sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt". Die Amtszeit der 63-Jährigen und ihres Kommissarskollegiums endet im November 2024. Die Formulierung schließt nicht aus, dass die CDU-Politikerin für eine zweite Amtszeit - bis 2029 - den Segen Berlins hätte. Allerdings wirbt das Ampel-Trio in der Vereinbarung auch für ein "verbindliches Spitzenkandidatensystem" bei den nächsten Europawahlen.

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Von Björn Finke

Kommissionspräsident soll also nur werden, wer bei den Europawahlen 2024 EU-weiter Spitzenkandidat der siegreichen Partei ist. Von der Leyen müsste daher zunächst die EVP, die Gruppe der Christdemokraten im EU-Parlament, überzeugen, sie als Nummer eins aufzustellen - und dann müsste die EVP so wie bei den vergangenen Wahlen stärkste Kraft in Europa werden.

Bei der Wahl 2019 war der CSU-Abgeordnete Manfred Weber Spitzenkandidat, wurde aber trotzdem nicht Kommissionspräsident, weil die Staats- und Regierungschefs lieber Ursula von der Leyen aus dem Hut zauberten, die gar nicht bei der Wahl angetreten war. Solche Deals würde Berlin dem Vertrag zufolge wohl nicht mehr mittragen. Pikanterweise ist das Verhältnis zwischen von der Leyen und den Christdemokraten im EU-Parlament nicht spannungsfrei. Viele Abgeordnete klagen, die CDU-Politikerin betreibe eine zu grüne Politik und schenke ihrer eigenen Parteienfamilie nicht genug Aufmerksamkeit. Will die Deutsche Spitzenkandidatin werden, wird sie solche Kritiker besänftigen müssen.

Die EU soll ein "föderaler Bundesstaat" werden

Auch jenseits des Spitzenkandidaten-Prinzips will die Ampel-Koalition die Rolle des Europaparlaments stärken und zudem die Arbeit des Ministerrats, der Gesetzgebungskammer der Mitgliedstaaten, transparenter gestalten. Die Regierungen sollen hier öfter per Mehrheitsbeschluss statt einstimmig entscheiden können. Als langfristiges Ziel postuliert der Vertrag, die EU in einen "föderalen europäischen Bundesstaat" zu verwandeln - ein hehres Ansinnen, das bei vielen EU-Regierungen auf Ablehnung stoßen wird.

Eine harte Linie will Berlin im Streit um Rechtsstaatlichkeit vertreten. Gegen Polen und Ungarn laufen EU-Verfahren wegen der Gefährdung des Rechtsstaats und europäischer Werte. Der Disput mit Polen hat sich zuletzt zugespitzt. Die Koalition fordert die Kommission auf, "konsequenter und zeitnah" gegen Verstöße vorzugehen. Zudem will die Regierung der Freigabe von Fördergeldern aus dem Corona-Hilfstopf erst zustimmen, wenn im Empfängerland "eine unabhängige Justiz gesichert" ist. Das ist auf Polen gemünzt. Dem Land stehen 24 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Fonds zu, doch die Kommission hält die ersten Tranchen zurück. Will die Behörde die Gelder doch irgendwann fließen lassen, müssen die EU-Regierungen das billigen - und Berlin wird dies nicht ohne weiteres machen.

Lindner strebt eine "dienende Führungsrolle" an

Gespannt wurde in Brüssel auf die Formulierungen zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gewartet. Die Kommission hat gerade eine Reformdebatte über diese Regeln für solide Haushaltsführung angestoßen. Der Pakt ist wegen der Pandemie ausgesetzt, soll aber von 2023 an wieder gelten. Dann werden sich allerdings viele hoch verschuldete Regierungen noch schwerer tun als vor der Krise, die Obergrenzen einzuhalten.

In ihrem Wahlprogramm warnte die FDP vor einer Aufweichung des Pakts. Doch im Koalitionsvertrag werden keine roten Linien eingezogen, sondern es wird eine "Weiterentwicklung" des Regelwerks angestrebt. Die Vorschriften sollen Wachstum und Investitionen in Klimaschutz ermöglichen, ohne dass die Schuldenlast zu groß wird. Gegen diese allgemein gehaltenen Ziele wird niemand etwas einwenden können, aber die heikle Frage bleibt unbeantwortet, wie genau die Balance zwischen diesen widerstreitenden Polen aussehen soll. Der künftige FDP-Finanzminister Christian Lindner sagte im ZDF, dass Deutschland bei dem Streit eine Mittlerrolle anstreben sollte zwischen Staaten wie den Niederlanden, die auf Haushaltsdisziplin drängen, und Ländern wie Italien, die auf laxere Regeln hoffen. Die Bundesregierung werde eine Art "dienende Führungsrolle" übernehmen.

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