Arbeitsmarkt:Umstrittenes EU-Gesetz stärkt Gewerkschaften

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Mitarbeiter in einem Café in Madrid: Wer von Mindestlöhnen lebt, könnte von einem neuen EU-Gesetz profitieren. (Foto: Bernat Armangue/AP)

Europas Regierungen sollen sich künftig dafür einsetzen, dass mehr Menschen von Tarifverträgen profitieren. Auch für Mindestlöhne sollen strengere Regeln gelten.

Von Björn Finke, Brüssel

Da hat das Drängen der Lobbyisten nichts genutzt: Am Donnerstag stimmte das Plenum des Europaparlaments in Straßburg mit großer Mehrheit für eine umstrittene EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen und Tarifbindung. Der Sozialausschuss hatte sich vor zwei Wochen auf eine Verhandlungsposition für dieses wegweisende Gesetz geeinigt; das Plenum bestätigte sie nun. Sobald der Ministerrat als Vertretung der Mitgliedstaaten seine Haltung festgezurrt hat, können die Verhandlungen zwischen den beiden Gesetzgebungskammern beginnen. Vor dem Votum im Parlament hatte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Abgeordneten noch eindringlich gebeten, die Position nicht freizugeben.

Der Rechtsakt sei nicht "vereinbar mit dem deutschen Grundgesetz" und greife tief in die Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein, heißt es in einer E-Mail von Gesamtmetall-Chef Oliver Zander an die EU-Parlamentarier. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke, der als einer der Berichterstatter zuständig für dieses Gesetz war, beteuert hingegen, dass die Richtlinie "bestehende Systeme nicht in Frage" stelle: "Unser Ziel ist es vielmehr, die Sozialpartnerschaft zu stärken." Nach den "hochemotionalen Debatten" der vergangenen Monate sei er "froh und stolz" über die Zustimmung des Plenums.

Was Kritiker - auch in Radtkes eigener Partei - so aufregt, ist ein Passus in der Richtlinie, der die EU-Regierungen dazu zwingt, Aktionspläne zur Erhöhung der Tarifbindung zu entwerfen. Dies ist der Anteil der Arbeitnehmer, deren Betrieb von Gehaltstarifverträgen erfasst wird. Solche Pläne sollen alle EU-Länder mit einer Tarifbindung von unter 80 Prozent verabschieden, heißt es in der Verhandlungsposition des Parlaments. Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Kommission lag der Richtwert nur bei 70 Prozent. 80 Prozent erreichen bislang bloß sieben EU-Länder: Österreich, Frankreich, Belgien, Italien, Finnland, Dänemark und Schweden - sämtliche anderen müssten darauf hinarbeiten, etwa Deutschland, wo der Satz um die 50 Prozent beträgt.

Tarifverträge sollen gegen Hungerlöhne schützen

Nach Ansicht von Gesamtmetall wäre es verfassungswidrig, wenn die Bundesregierung wegen der Richtlinie versuchen würde, den Geltungsbereich von Tarifverträgen drastisch auszuweiten. Befürworter des Rechtsakts argumentieren hingegen, dass Tarifverträge der beste Schutz gegen Hungerlöhne seien.

Daneben legt das EU-Gesetz Standards für die Ermittlung von staatlichen Mindestlöhnen fest. Die europäische Ebene hat aber wenig Befugnisse in der Sozialpolitik. Daher verzichtet die Richtlinie darauf, konkrete und verbindliche Vorgaben zur Höhe der Mindestlöhne zu machen. Zumal sechs der 27 Mitgliedstaaten gar keine gesetzlichen Lohnuntergrenzen kennen. Diese Länder werden auch nicht gezwungen, welche einzuführen.

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