Kinderpornografie:Nicht als Nachsicht gegenüber Tätern misszuverstehen

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Überfällig, aber nicht leicht zu kommunizieren: Justizminister Marco Buschmann korrigiert ein Gesetz, das laut Richterbund "zum Bumerang" geworden ist. (Foto: Sarah Silbiger/Imago)

Justizminister Buschmann will das Strafmaß für die Verbreitung von Kinderpornografie senken - auch weil sich vor Gerichten unsinnige Verfahren häufen. Was sagen Richter und Anwälte dazu?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Über Monate hat der Minister gezögert. Denn kaum etwas fürchtet Marco Buschmann (FDP) so sehr wie öffentliche Wutstürme gegen seine Vorhaben. Jetzt aber hat der Bundesjustizminister ein Gesetz auf den Weg gebracht, das für das Verschicken von Aufnahmen sexueller Gewalt gegen Kinder mildere Strafen ermöglicht als bisher. Die Verbreitung sogenannter Kinderpornografie soll nicht mehr zwingend als Verbrechen gelten.

Ausgerechnet im Bereich der Pädokriminalität das Strafmaß zu senken, das ist aus Buschmanns Sicht ein überfälliges, aber nicht ganz einfach zu kommunizierendes Vorhaben. Welcher Minister lässt sich schon gern nachsagen, er übe Nachsicht gegenüber Sexualstraftätern? Entsprechend sperrig fällt der Titel seines Gesetzes aus, das jetzt in die Ressortabstimmung gegangen ist: "Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches".

Gerichte können Verfahren wegen Kinderpornografie nicht einstellen

Nach Paragraf 184b des Strafgesetzbuches wird derzeit mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bestraft, wer Aufnahmen verbreitet, die sexuelle Handlungen an Kindern unter 14 Jahren zeigen oder nackte Kinderkörper in aufreizender Haltung. Nicht unter zwei Jahre Haft stehen auf das gewerbsmäßige Vertreiben solcher Darstellungen. Wer solche Bilder abruft, riskiert zwischen einem und fünf Jahren Haft.

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Justizminister Buschmann will mildere Sanktionen. Das klingt wenig populär, ist jedoch berechtigt.

Kommentar von Constanze von Bullion

Ein Strafmaß nicht unter einem Jahr, das heißt, dass Gerichte Verfahren wegen Kinderpornografie nicht einstellen können. Minder schwere Fälle gibt es nicht. Dass der Gesetzgeber hier äußerste Härte demonstriert, ist Ex-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) geschuldet. Nachdem bekannt geworden war, dass im nordrhein-westfälischen Lügde über Jahre Kinder vergewaltigt und gefilmt wurden, geriet Lambrecht unter Druck - und reagierte 2021 mit einer Strafrechtsverschärfung, die schon damals auf Kritik stieß.

Ab sofort galt jedes Versenden kinderpornografischer Bilder als Verbrechen - mit dem Ergebnis, dass sich in Gerichten Verfahren gegen Personen häuften, die ersichtlich keinen Gefallen an Missbrauchsdarstellungen fanden. Lehrerinnen und Lehrer etwa, die Eltern inakzeptable Bilder aus dem Klassenchat geschickt hatten. Oder Jugendliche, die solche Aufnahmen aus "Unbedarftheit, Neugier, Abenteuerlust oder Imponierstreben" weiterleiteten, heißt es in Buschmanns Entwurf. Er will Lambrechts Reform von 2021 teilweise rückabwickeln.

Staatsanwaltschaften würden von unsinnigen Fällen entlastet

Die Verhältnismäßigkeit der Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr sei "insbesondere dann fraglich, wenn die beschuldigte Person offensichtlich nicht aus pädokrimineller Energie gehandelt hat", heißt es in dem Entwurf. Das gelte umso mehr, wenn jemand die weitere Verbreitung kinderpornografischer Aufnahmen "beenden" wolle. In Baden-Württemberg landete eine junge Frau vor Gericht, nachdem auf ihrem Mobiltelefon per automatischem Download kinderpornografisches Material gespeichert wurde. Das Gericht sei zur Überzeugung gekommen, dass sie die Aufnahmen "nur aus Nachlässigkeit" nicht gelöscht hatte, so Buschmanns Entwurf. Mindestens ein Jahr Haft habe das Gericht als verfassungswidrig betrachtet, als Verstoß gegen das Schuldprinzip.

Eine Kriminaloberkommissarin sitzt vor einem Auswertungscomputer bei Ermittlungen gegen Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Buschmann will Gerichten wieder mildere Strafen ermöglichen, auch die Einstellung des Verfahrens. Das Strafmaß für den Kauf oder die Verbreitung kinderpornografischer Bilder soll von derzeit mindestens zwölf auf sechs Monate herabgestuft werden, der Besitz solcher Aufnahmen auf drei Monate. Da solche Taten als Vergehen gelten sollen, nicht als Verbrechen, könnten Ermittlungsbehörden Verfahren einstellen, wenn keine kriminelle Absicht vorliegt. Auch Staatsanwaltschaften würden so von unsinnigen Fällen entlastet.

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Nun kann man sich fragen, ob auch Pädokriminelle von Buschmanns Reform profitieren, indem sie behaupten, mit der Weiterleitung von Aufnahmen nur andere gewarnt zu haben. Ein neues Schlupfloch für Täter? Im Bundesjustizministerium sieht man diese Gefahr nicht. Schon jetzt prüfe jedes Strafgericht, ob Beschuldigte Schutzbehauptungen oder Ausreden vortragen. Daran ändere sich nichts. In schweren Fällen, also dem Erwerb, der Verbreitung oder dem Besitz von Kinderpornografie bleibe es zudem bei einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.

Der Deutsche Richterbund nannte Buschmanns Vorhaben überfällig. "Die Verschärfungen sind seinerzeit gegen den Rat aller Experten eingeführt worden", sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Die vermeintlich gute Tat des Aufklärens sei "zum Bumerang" geworden. Nur eine Absenkung der drastisch erhöhten Mindeststrafen ermögliche "eine differenzierte, tat- und schuldangemessene Reaktion der Justiz im Einzelfall". Auch der Deutsche Anwaltverein äußerte sich erleichtert. Im Bundesfamilienministerium hieß es, eine "übermäßige Kriminalisierung Jugendlicher" müsse verhindert werden. "Hier gilt es stattdessen, die Medienkompetenz zu stärken."

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