Kindergrundsicherung:3,5 Milliarden im ersten Jahr

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Lisa Paus will mit der neuen Leistung mehr bedürftige Familien erreichen als bisher. (Foto: Florian Gaertner/IMAGO/photothek)

Familienministerin Paus führt auf 90 Seiten ihre Pläne für die in der Ampelkoalition umstrittene Kindergrundsicherung aus. In dem Konzept plädiert sie erneut dafür, die Zahlungen insgesamt zu erhöhen - eingerechnet ist das aber nicht.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Als Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) am Freitagnachmittag in Berlin vor die Kameras trat, teilte sie den anwesenden Journalisten mit, dass sie ihren Entwurf für eine Kindergrundsicherung nun in die Frühkoordinierung gegeben habe - Kanzleramt und Finanzministerium können sich nun über das Konzept beugen und die Zustimmungsfähigkeit ausloten. Zu den Inhalten des Entwurfs allerdings wollte Paus keine Angaben machen, und auch von anderen Mitgliedern der Ampelkoalition wurde das Papier wie ein Staatsgeheimnis behandelt.

Am Wochenende kursierten erste Meldungen über die Inhalte des Entwurfs; inzwischen liegt er auch der Süddeutschen Zeitung vor. In dem 90-Seiten-Papier geht Paus demnach von 3,5 Milliarden Euro aus, die ihre Kindergrundsicherung im ersten Jahr kosten wird. "Die Gesamtkosten betragen für den Zeitraum vom 1. Januar 2025 bis 31. Dezember 2025 3,5 Mrd. Euro", heißt es in dem Entwurf. Und dann, in eckigen Klammern: "Die berechneten Kosten beruhen auf bekannten Daten und Leistungshöhen des Jahres 2023 und sind noch nicht auf die Folgejahre fortgeschrieben." Die Fortschreibung der Kosten werde im Zuge der Ressortabstimmungen vorgenommen, "sobald der Planungshorizont im Ressortkreis geeint ist". Was bedeutet: Sobald Paus und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sich darauf verständigt haben, wie viel Geld für die Kindergrundsicherung insgesamt im Haushalt zur Verfügung stehen kann.

Dem Entwurf nach soll die Kindergrundsicherung nach dem Modell aufgebaut werden, das Paus schon in ihren ersten Eckpunkten skizziert hatte. Die grundsätzliche Idee ist, die "bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes" zu bündeln - in der Kindergrundsicherung. Allerdings bekommen naturgemäß nicht alle Kinder die gleichen Leistungen.

Den Garantiebetrag bekommen alle, den Zusatzbetrag nur bedürftige Familien

Geplant ist demnach ein einkommensunabhängiger Garantiebetrag, der dem heutigen Kindergeld entspricht und den alle Kinder und Jugendlichen bekommen sollen. Dazu kommt, für bedürftige Familien, ein einkommensabhängiger und nach Alter gestaffelter Zusatzbetrag. Dieser soll den bisherigen Kinderzuschlag ablösen, den aktuell Familien mit kleinen Einkommen bekommen und der verhindert, dass diese Familien in den Bürgergeldbezug rutschen. Der dritte Baustein sind die sogenannten "Leistungen für Bildung und Teilhabe", die aktuell noch einen eigenständigen Posten darstellen und künftig auch Teil der Kindergrundsicherung sein sollen.

"Alle drei Komponenten zusammen tragen dazu bei, das Existenzminimum eines Kindes zu sichern", heißt es in dem Entwurf. Die Idee hinter der Bündelung ist, dass Familien nur noch eine Leistung beantragen müssen - und nicht wie bisher mehrere. Bislang nehmen nämlich nur wenige Familien die kompletten Leistungen an, die ihnen zustehen. Die Folge: In diesen Familien ist das Existenzminimum der Kinder nicht gedeckt.

Allerdings steckt auch ein großer Unterschied zum bisherigen Kreis der Berechtigten in dem Entwurf. Bislang nämlich steht der Kinderzuschlag nur Familien zu, in denen wenigstens ein geringes Einkommen erzielt wird - in denen also zumindest ein Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Auf diese Weise soll die Erwerbstätigkeit für diese Familien attraktiver bleiben als der Wechsel in die Grundsicherung, sprich: das Bürgergeld. Nun aber sollen die bisherige "Mindesteinkommensgrenze" und der Nicht-Bezug von Bürgergeld als Voraussetzung für den Kinderzuschlag entfallen.

Laut Entwurf soll der Zusatzbetrag sich aus dem altersgestaffelten Regelbedarf des jeweiligen Kindes zusammensetzen und dem entsprechenden Betrag für Unterkunft und Heizung - minus den Teil, der bereits durch den Garantiebetrag gedeckt ist.

Die Leistungen für Bildung und Teilhabe sollen mit 15 Euro im Monat zusätzlich ausgezahlt werden, ebenso ein "Schulbedarfspaket" von derzeit 174 Euro jährlich - allerdings ohne eigenen Antrag, sondern automatisch mit dem Antrag auf den Zusatzbetrag.

Hilfen für Klassenfahrten, Mittagessen oder Nachhilfe können noch hinzukommen - in Form von Gutscheinen, direkten Zahlungen der Behörde an die jeweiligen Anbieter oder auch als Barzahlung. Solche Leistungen müssen aber weiterhin beantragt werden.

Zur Bündelung soll auch eine Erhöhung kommen

Für weitere Diskussionen vor allem mit der FDP dürfte sorgen, dass Paus bekanntlich auch Leistungsausweitungen erreichen will. Im Entwurf heißt es dazu: "Ein effektiver Schutz vor Armut macht es notwendig, dass die Absicherung der Kinder auch hinsichtlich einer Leistungshöhe verbessert wird. Hierfür wird das Existenzminimum von Kindern neu definiert, indem die über 20 Jahre alten Verteilschlüssel erneuert werden."

Die Antragstellung selbst soll digitaler und damit einfacher werden als bisher. Alle Schritte sollen "elektronisch, online und medienbruchfrei erfolgen". Außerdem sollen die Behörden Daten, die bereits vorliegen, für einen "Kindergrundsicherungs-Check" nutzen - also eine Vorprüfung, ob womöglich ein Anspruch auf den Zusatzbetrag vorliegen könnte. Dann sollen die entsprechenden Familien "proaktiv" angesprochen werden, damit sie die ihnen zustehenden Leistungen auch beantragen.

Administriert werden soll die Kindergrundsicherung durch die Bundesagentur für Arbeit - allerdings unter dem neuen Label "Familienservice".

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