Die Wörter Klima, Krise und Erderwärmung sind Schlagwörter, die inzwischen jeder kennt. Was sie bedeuten, und wie Krise und Klima im geläufigen Kompositum Klimakrise zusammenhängen, wird aber oft nicht weiter hinterfragt. In ihrem Buch "Kapitalismus am Limit" klären die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen diese Zusammenhänge präzise, umfassend und kompetent auf. Brand lehrt und forscht an der Universität Wien, Wissen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Bekannt geworden sind die beiden Autoren durch ihren Bestseller von 2017 "Imperiale Lebensweise", der ebenfalls im Oekom-Verlag erschienen ist.
Mehr als Symptombekämpfung gelingt bisher nicht
Thematisch schließt das neue Buch an dieses an, vertieft und erweitert jedoch die Analyse. Das betrifft die Methoden der Krisenbearbeitung und der dafür vorgeschlagenen Mittel von der ökologischen Modernisierung über die "Dekarbonisierung" bis zur wohlfeil-plakativen Parole vom angeblich "ökologisch" gewendeten Kapitalismus. Die Autoren belegen akribisch mit guten Argumenten, dass solche Mittel und Methoden völlig unzureichend sind, um an die wirklichen Ursachen der Klimakrise heranzukommen, und folglich in purer Symptombekämpfung versanden. Denn wenn es nicht gelingt, die Wachstums- und Profitlogik, auf denen die kapitalistische Produktion bei Strafe ihres Endes beruht, auszubremsen oder besser zu überwinden, sind alle Rezepte gegen die Klimakrise vergeblich.
Der Titel des Buches ist wörtlich zu verstehen. Die kapitalistische Entwicklung ist genuin angelegt auf grenzenlose Expansion. Aber dafür steht nur eine Welt zur Verfügung und diese Welt ist definitiv begrenzt. Kapitalistische Expansion lebte immer davon, dass sie Kosten ihrer Entfaltung zu externalisieren vermochte. Der Raum für diese Kostenverlagerung lag in Gegenden, die man früher Dritte Welt nannte und heute eher den globalen Süden. Diese Räume und Spielräume haben sich verengt und sind zwischen konkurrierenden Mitspielern aus dem Norden und China umstritten, was zu erheblichen öko-imperialen Spannungen führt. Die Kostenvorteile der Verlagerung, die wegen der Asymmetrien beim Lohn, bei den Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- und Umweltstandards sowie bei Kreditbedingungen entstehen, gingen schnell zunichte. Obendrein ist etwa der Wettlauf um Vorkommen und Abbau Seltener Erden und Metalle, die für die Produktion von Batterien für E-Autos benötigt werden, oder um Orte für die Erzeugung von Strom für die komplexe Produktion von Wasserstoff als Energieersatz für klimaschädliches Öl und Kohle als Energieträger teurer und risikoreicher geworden als zu den Zeiten klassischer imperialer Expansion und Kolonisation.
Zwang zu Wettbewerb und Wachstum
Mit Nachdruck verweisen die Autoren auf den Zusammenhang von zerstörerischen Natur- und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen und den diesen innewohnenden Zwängen zu Wettbewerb, Wachstum und Expansion, wobei sie sich auf Debatten in feministischen, marxistischen, kolonialismuskritischen und anderen sozialwissenschaftlichen Diskursen und Theorien beziehen.
Da "Wachstum die heilige Kuh des Kapitalismus ist, wächst der Rohstoffbedarf ungeachtet der Energiesparversuche und der ökologischen Folgen der enormen Ressourcenvernichtung im globalen Ausmaß". Der Kampf um eine "neue Weltordnung ist eine gigantische Materialschlacht" um Rohstoffe, wie es die Publizistin Ulrike Hermann ("Das Ende des Kapitalismus", KiWi 2022) ausdrückt, wobei "die Kosten in den Ländern des Südens verbleiben, während die Profite in jene im Norden wandern", wie Brand und Wissen erläutern.
Die Energiewende verschärfte allein im Sektor der globalen E-Autoproduktion die Konkurrenz der Konzerne um Rohstoffe, denn die Herstellung schwerer Batterien benötigt Aluminium, Nickel, Kupfer, Lithium und viele Kilogramm des relativ seltenen Kobalts. Der Übergang zur Produktion von großen SUV-Autos intensivierte die öko-imperiale Konkurrenz zwischen amerikanischen und europäischen Konzernen auf der einen und chinesischen auf der anderen Seite.
Am Ende des Buches analysieren die Autoren die unterschiedlichen Strategien der Krisenbekämpfung in kapitalistischen Ländern, die sich bislang auf Pläne zur ökologischen Modernisierung beschränken. Die damit verbundene Gefahr des Abgleitens liberal-demokratischer Regierungen in populistisch-autoritäre Regime ist real. Das letzte Kapitel handelt von den leider nicht besonders rosigen Aussichten einer solidarischen Perspektive der Überwindung der Klimakrise in den liberalen Demokratien des Nordens.