Tod eines Sikh-Führers:Der Streit zwischen Kanada und Indien eskaliert

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Sikh-Anhänger verurteilen bei einem Marsch in der pakistanischen Stadt Peshawar den Tod von Hardeep Singh Nijjar. (Foto: Fayaz Aziz/Reuters)

Premier Trudeau wiederholt den Vorwurf, die indische Regierung sei für einen Mord in Kanada verantwortlich. Indien reagiert empört. Der diplomatische Clash wird auch zum Problem für US-Präsident Biden.

Von Matthias Kolb und David Pfeifer, München/Bangkok

Justin Trudeau wird geahnt haben, welches Thema seine Pressekonferenz bei der UN-Generalversammlung in New York dominieren würde. Am Montag hatte Kanadas Premier Indien vorgeworfen, für den Tod des Sikh-Führers Hardeep Singh Nijjar in der Nähe von Vancouver verantwortlich zu sein. Drei Tage später nimmt Trudeau von diesen Anschuldigungen, die er "nicht leichtfertig" mache, nichts zurück: "Es gibt glaubwürdige Gründe für die Annahme, dass Agenten der indischen Regierung an der Tötung eines Kanadiers auf kanadischem Boden beteiligt waren."

In einem Rechtsstaat sei es von größter Bedeutung, diese Vorwürfe "rigoros und unabhängig" aufzuklären, sagt Trudeau und betont, dass er die Angelegenheit "extrem ernst" nehme. Dies sollte auch Indiens Regierung tun und kooperieren. Auf die Frage, ob Premier Narendra Modi die Vorwürfe bestritten oder eingestanden habe, als sich die beiden beim G-20-Gipfel in Delhi trafen, entgegnet Trudeau nur: "Wir hatten ein offenes und direktes Gespräch, bei dem ich meine Sorgen ohne jeden Zweifel deutlich gemacht habe."

Unterstützung erhält Kanada nun von den USA

Der Financial Times (FT) zufolge hat auch US-Präsident Joe Biden beim G-20-Gipfel Modi direkt auf die Causa Najjir angesprochen. Gleiches taten auch andere Staats- und Regierungschefs aus dem Geheimdienstverbund "Five Eyes", zu dem noch Australien, Neuseeland und das Vereinigte Königreich gehören. Kanada hatte seine Erkenntnisse mit den Five-Eyes-Partnern geteilt und dieser Bericht dürfte dem innenpolitisch angeschlagenen Trudeau helfen, den Eindruck zu kontern, er sei in dem diplomatischen Streit isoliert.

Den engen Schulterschluss zwischen den USA und Kanada betont auch Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die Angelegenheit haben keinen Keil zwischen die beiden Nachbarn getrieben, sagt er in Washington. Es sei auch falsch, dass sich die Biden-Regierung mit Kritik zurückhalte, weil man mit Indien eine strategische Partnerschaft geschlossen habe, um Chinas globale Machtansprüche einzudämmen, beteuert Sullivan. Die USA stünden über die Vorwürfe aus Ottawa mit der indischen Regierung in Kontakt.

Für Biden ist es ein Balanceakt. Erst im Mai hatte er für Modi einen Staatsempfang im Weißen Haus ausgerichtet - und auch das jüngste Abkommen mit Vietnam hat in den USA zur Kritik geführt, ob Biden bereit ist, Menschenrechte für strategische Ziele zu opfern. Dass eine Sprecherin nun versichern muss, dass es weiter "absolut inakzeptabel" sei, "im Ausland lebende Dissidenten ins Visier zu nehmen" und die USA sich gegen solches Handeln wehren würden, sagt einiges aus.

Indien gibt keine Visa mehr an Kanadier aus

Und Narendra Modi? Indiens Premier schweigt. Die Reaktion übernimmt das Außenministerium, und die fällt scharf aus: Am Donnerstag wurde angesichts der "absurden" Vorwürfe die Visa-Vergabe für Kanadier ausgesetzt. Dies dürfte vor allem für die etwa 1,5 Millionen indischen Kanadier mit engen Verbindungen in die alte Heimat ein Problem werden. Zuvor gab es eine Reisewarnung: Inder sollten nur mit "extremer Vorsicht" nach Kanada reisen. So als sei Kanada plötzlich ein Schurkenstaat geworden. In New York ließ es Trudeau offen, ob Kanada Gegenmaßnahmen plane.

Indiens Außenministerium hat Ottawa eine Liste mit Namen von etwa 20 pro-khalistanischen "Terroristen" übermittelt, die sich in Kanada aufhalten, ohne jedoch eine Reaktion erhalten zu haben. Kanada sei "ein sicherer Hafen für Terroristen, Extremisten und das organisierte Verbrechen", schimpft das Ministerium - und nutzt eine Bezeichnung, die normalerweise für den verfeindeten Bruderstaat Pakistan reserviert ist.

Hardeep Singh Nijjar, der am 18. Juni vor einem Sikh-Tempel in Surrey erschossen worden war und dessen Tod die diplomatische Krise ausgelöst hat, wurde 1977 im Punjab geboren. 20 Jahre später zog er nach Kanada, wo er als Klempner arbeitete und die Staatsbürgerschaft erhielt. Laut der indischen Anti-Terror-Behörde NIA stand er zunächst in Verbindung mit der exilierten Sikh-Separatistengruppe "Babbar Khalsa International". Sie möchte in Indiens nördlichem Bundesstaat Punjab ein Heimatland für die Minderheit der Sikhs errichten und wird von Delhi als "terroristische Organisation" eingestuft. Delhi behauptet, die Gruppe werde aus Pakistan finanziert - Islamabad bestreitet das.

Nijjar war Chef der "Khalistan Tiger Force" und soll versucht haben, "Disharmonie zwischen den verschiedenen Gemeinschaften" im Land zu schaffen. Dafür allerdings braucht Indiens Regierung keinen Separatisten im fernen Kanada. Die regierende "Bharatiya Janata"-Partei um Premier Modi sammelt seit 2014 konsequent Wählerstimmen durch einen hindunationalistischen Kurs, der die Mehrheit der Hindus als bestimmende Gemeinschaft über alle anderen Religionsgruppen stellt. Das betrifft auch die Sikhs, die in Indien weniger als zwei Prozent der Bevölkerung stellen - im reichen Agrarstaat Punjab aber etwa 60 Prozent.

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Zum Zeitpunkt seiner Ermordung organisierte Nijjar ein Referendum für eine unabhängige Sikh-Nation im Punjab. Ein solches hätte aber kaum Auswirkungen auf die Verhältnisse in Indien gehabt, wo sich die Khalistan-Bewegung nach Zerschlagung in den 1980er-Jahren nicht mehr erholt hat. Eher schon wurde sie von Modis Regierung als Feindbild am Leben gehalten, um sich als Heilsbringer inszenieren zu können.

Das indische Außenministerium klagt zudem, aus Ottawa "keine spezifischen Informationen" zu erhalten. Trudeau schweigt bisher zur Forderung, die Belege öffentlich zu machen. Der kanadische Sender CBC berichtet unter Berufung auf Regierungskreise, dass indische Offizielle den Kern der Anschuldigung nicht abstreiten würden. Man verfüge über Material, dass die Beteiligung von indischen Beamten sowie in Kanada stationierten Diplomaten belegen soll. Einige Belege sollen von einem anderen Five-Eyes-Geheimdienst stammen. Nichts deutet also hin auf eine baldige Entspannung.

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