Jamaika:Die Jamaika-Partner werden von ihren Traumata verfolgt

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Hat bisher mit denen am besten zusammengearbeitet, mit denen es am unwahrscheinlichsten war: Kanzlerin Angela Merkel. (Foto: dpa)

Der Satz, zwischen Koalitionspartnern müsse die Chemie stimmen, führt in die Irre. Politiker müssen sich nicht mögen.

Kommentar von Nico Fried

Deutschland fiebert einer Jamaika-Koalition mit derselben Begeisterung entgegen wie einem Zahnarzt-Termin: Nicht schön, aber muss wohl sein. Auch die beteiligten Parteien sind diese Woche wieder ein Stück vorangekommen, zumindest in der Einsicht, dass sie - sämtlichen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz - Neuwahlen eben doch fürchten müssten. Und zwar alle. Wenn Union, FDP und Grüne ihren Zeitplan einhalten, Ende nächster Woche die Sondiererei abschließen und Ende November mit Koalitionsverhandlungen beginnen, dann werden zwischen dem Wahltag und dem Beginn einer wirklichen Regierungsbildung fast genauso viele Tage vergangen sein wie nach den letzten drei Bundestagswahlen und dem Beginn der jeweiligen Koalitionsverhandlungen zusammengerechnet. Nur ewig währt noch länger.

Einer der wichtigsten Faktoren für die Bildung jeder Koalition sind die Personen an der Spitze. Bei vier Parteien entsteht daraus schon quantitativ eine beachtliche Aufgabe. Merkel und die Grünen haben es am einfachsten, weil sie keine Traumata aus gemeinsamer Regierungszeit in den vergangenen zwölf Jahren verbinden. Bei der Kanzlerin, Horst Seehofer und Christian Lindner sieht das anders aus. Für die Koalition, die jetzt gebaut werden soll, haben einige, auf die es am Ende ankommt, mehr politische Differenz und persönliche Distanz zu überwinden, als es selbst zwischen Merkel und der Nach-Schröder-SPD 2005 der Fall war.

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Es ist kein Zufall, dass der Begriff der Sondierungen erst mit Angela Merkel im Wortschatz deutscher Regierungsbildungen dauerhafte Aufnahme gefunden hat. Er beschreibt seit 2005 (und mit der Ausnahme 2009) eine zusätzliche zeitliche Pufferzone, die letztlich immer dem selben Zweck dient: nämlich ausreichend viele von denen, die Merkel ganz sicher nicht zur Kanzlerin wählen wollten, dazu zu bringen, Merkel ganz sicher zur Kanzlerin zu wählen. Sondierung ist mithin auch ein anderes Wort für Seelenmassage. Bisher hat Merkel noch jeden rumgekriegt.

Keine der von ihr herbeigeführten Koalitionen hielt freilich länger als eine Legislaturperiode, entweder weil Merkels Partner nicht mehr wollten, oder weil sie nicht mehr konnten. Obwohl die Kanzlerin seit zwölf Jahren regiert, musste sie deshalb alle vier Jahre praktisch von vorne anfangen. Jetzt gibt es paradoxerweise im Bundestag so viele Parteien wie in den vergangenen 60 Jahren nicht, aber zugleich nur noch eine realistische Koalitionsoption. Es dauert aber nicht trotzdem so lange, sondern genau deswegen.

Der Satz, die Chemie müsse stimmen, ist irreführend. Politiker müssen sich jedenfalls nicht mögen, um zu regieren. Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher wurden über den Sturz von Helmut Schmidt zu Freunden. Später tat der Erfolg der deutschen Einheit sein Übriges. Wenig anders verhielt es sich zwischen Kohl und Theo Waigel, über viele Jahre sowohl CSU-Chef wie auch Finanzminister. Eine Freundschaft, die bis zum Tode Kohls hielt, wurde daraus erst im Laufe der Zeit. Die Grundlage schuf Kohl, weil der CDU-Kanzler für das Wohlfühlklima seiner Partner von CSU und FDP auch Interessen eigener Leute zurückstellte, wie unter anderem die junge Umweltministerin Angela Merkel erleben durfte.

Auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer verband zu Beginn der rot-grünen Regierung keine Freundschaft. Der Kanzler hatte seine Erfahrungen in Niedersachsen vor allem mit Jürgen Trittin gemacht, Fischer wiederum neigte eher SPD-Chef Oskar Lafontaine zu. Was Kanzler und Außenminister zusammenschweißte, war der Wille zur Macht - und die Angst, durch ein Scheitern das arrogante Selbstverständnis der Union als einziger Regierungspartei zu bestätigen. So kann eine Regierung erstmal entstehen und später manches überstehen.

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Angela Merkel hat bisher mit denen am besten zusammengearbeitet, mit denen es am wenigsten wahrscheinlich war. Das galt für die sozialdemokratischen Vizekanzler Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier in ihrer ersten großen Koalition genauso wie für Sigmar Gabriel in der zweiten. Die schwarz-gelbe Koalition hingegen, die von den so vertrauten Partnern Merkel und Guido Westerwelle geführt wurde, startete mit einer gemeinsamen Fahrt im VW-Käfer Cabrio und endete auf dem politischen Schrottplatz.

Diese Zeit wirkt nach. Das schwarz-gelbe Desaster von einst ist vor allem Lindners Menetekel von heute. Sein Verhältnis zur Kanzlerin, wenn es denn zu einer Koalition kommt, wird das schwierigste sein. Lindners Respekt galt bislang allenfalls Merkels Amt, kaum der Person. Ihre Flüchtlingspolitik hält er für verfehlt, ihre Folgen für fatal. Seinen Kampf gegen einen Finanzminister von der CDU versteht Lindner als Abwehr von Merkels Durchregieren in einem Ressort, in dem zwischen 2009 und 2013 die steuerpolitischen Vorstellungen der FDP brutalstmöglich zunichte gemacht wurden. Aus Träumen wurden damals Traumata.

Merkel wiederum hat in der letzten schwarz-gelben Koalition ihre Erfahrungen mit der jungen, selbstbewussten und letztlich gescheiterten Truppe hinter Westerwelle gemacht. Dass Lindner sich damals als Generalsekretär vorzeitig vom Acker machte, hat ihre Meinung gewiss nicht positiv beeinflusst. Die Neugier auf Menschen, die Merkel gerne als Antrieb anführt, dürfte sich bei Lindner vor allem darauf richten, ob er in einer Koalition sein Profil und das der FDP eher mit oder an der Kanzlerin zu schärfen trachtet.

Bleiben Merkel und Seehofer. Mit dem Streit um die Flüchtlingspolitik haben sie sich in eine Zwangslage gebracht, in der sie wie vielleicht noch nie aufeinander angewiesen sind. Mit den Störfeuern eines Markus Söder gegen ihn erlebt Seehofer nun selbst, wie es der Kanzlerin zwei Jahre lang mit ihm ergangen ist. Trotzdem braucht Merkel Seehofer, weil eine CSU ohne ihn noch unberechenbarer wäre. Seehofer wiederum braucht den Erfolg in Berlin, weil er sonst in München erledigt wird. Es ist möglich, dass Seehofer den CSU-Vorsitz rettet und Minister in Berlin wird. Er wäre dann eine Art Flüchtling, dem Merkel in ihrem Kabinett Schutz gewährte. Fast zu schön, um wahr zu sein.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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