Sondierungen:Wer profitieren würde, falls Jamaika scheitert

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Komplizierte Verhandlungen: Die Zustimmung in der Bevölkerung für Jamaika ist in Umfragen zuletzt gesunken.

(Foto: picture alliance / dpa)

Können sich Union, FDP und Grüne nicht auf eine Koalition einigen, kommt es zu Neuwahlen - und dann? Diese Frage steht bei den Sondierungsgesprächen mit im Raum. Die Parteien würde ein Scheitern unterschiedlich hart treffen.

Von Stefan Braun, Berlin

Offiziell spricht niemand darüber. Nicht die Kanzlerin, nicht der CSU-Chef, nicht die Grünen, auch nicht die Liberalen. Keine Seite argumentiert mit den Folgen eines Scheiterns, kein Verhandler nutzt die Möglichkeit als Argument, um die anderen von Zugeständnissen zu überzeugen. Nur jene, die wie FDP-Chef Christian Lindner gerne ihre Unabhängigkeit beweisen wollen, provozieren mit dem Satz, sie hätten keine Angst vor Neuwahlen.

Trotzdem ist die Frage in diesen Tagen bei allen Verhandlern präsent. Alle gehen damit ins Bett, alle stehen damit morgens wieder auf. Was, wenn Jamaika, dieses vielleicht interessante, vielleicht aber auch zu komplizierte Bündnis, gar nicht zusammenfindet?

Der Weg nach einem Scheitern der Sondierungsgespräche wäre nicht einfach, Neuwahlen nur mit tatkräftiger Unterstützung des Bundespräsidenten zu erreichen. Ausgeschlossen ist es aber nicht. Die Zustimmung in der Bevölkerung für Jamaika ist in Umfragen zuletzt gesunken. Was nicht nur von Ungeduld spricht, sondern auch von wachsender Skepsis. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Frage, wer in dieser unberechenbaren Situation wie dastünde.

CDU: Merkels Zaudern könnte sich rächen

Für die Partei der Kanzlerin wäre ein Scheitern Jamaikas eine fatale Niederlage. Angela Merkel hätte nicht geschafft, was ihr nach dem Vorsprung am Wahlabend hätte gelingen müssen: eine Regierung zu bilden. Der Misserfolg wäre nicht nur ihr anzulasten, aber die Truppe um Merkel, die sie seit 2005 begleitet, also die Kauders und de Maizières, die von der Leyens und Altmaiers, hätten den Nimbus der flexiblen Siegreichen verloren. Das würde wehtun - und ist schwer wieder wettzumachen.

In einer solchen Situation hätte Merkel wohl nur eine Möglichkeit: Sie müsste sich nach dem Zusammenbruch aller Bemühungen als diejenige präsentieren, die alles versucht habe, aber an der verantwortungslosen Kompromisslosigkeit der Kleinen gescheitert sei. So eine Schuldzuweisung wäre denkbar. Wer sich ansieht, wie Merkel sich bislang in den Sondierungen verhält, wie sehr sie selbst mal wieder jede Festlegung vermeidet, der ahnt, dass sie genau das schon mitbedacht hat.

Derartige Kritik allerdings kann nur üben, wer sich vorher auch wirklich bemüht hat. Bislang ist das fürs Publikum kaum zu erkennen. Durch Merkels Entscheidung, nur moderierend aufzutreten, fällt sie mit eigenen Themen, Zielen, Ansprüchen kaum auf. Das könnte sich rächen und der Grund dafür sein, dass die Union in einer Umfrage zuletzt auf den schlechtesten Wert seit elf Jahren gesackt ist.

Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass Merkel bei erneuten Wahlen nicht noch einmal antreten würde. Ihr größter Schutz vor einer offenen Rebellion ist die unklare Nachfolgefrage. Die schwierige Lage dieser Wochen macht es aber unmöglich, einen Machtkampf vollkommen auszuschließen. Niemand kann sagen, ob es in einer solchen, historisch noch nicht da gewesenen Situation am Ende doch Überraschungskandidaten geben könnte. Zu schlecht war das CDU-Ergebnis am 24. September.

Als prominente CSU-Emissäre im Frühjahr 2016 bei CDU-Kollegen für einen Sturz von Merkel warben, fragte einer von ihnen schon mal beim ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz nach, ob er Interesse an einer Rückkehr in die Politik habe. Auch das war ein Zeichen. Neuwahlen jetzt - das käme Merkel schon sehr ungelegen.

CSU: Ende von Seehofers Macht

In der CSU dagegen würde mancher jubeln, sollte Jamaika scheitern. Vielleicht tritt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt deshalb besonders kompromisslos (andere würden sagen: bösartig) auf. Dobrindt muss sich längst auf die Nach-Seehofer-Zeit einstellen. Da hat es in der CSU noch nie geschadet, zu allem erst einmal garstig Nein zu sagen.

Nicht anders dürfte Markus Söder denken. Dem bayerischen Finanzminister, der sich seit Langem für den einzigen und wahren Strauß-Stoiber-Erben hält, ist beinahe alles Recht, um Seehofer abzulösen. Ein Misserfolg der Unionsspitze in Berlin dürfte ihm dabei Auftrieb geben. In seinen Augen und denen seiner Anhänger wäre das nur die konsequente Fortsetzung des miserablen Wahlergebnisses. Sollte Jamaika scheitern, wäre das wohl auch das Ende der Macht von Horst Seehofer.

Gelöst wäre damit freilich längst nicht alles. Die Christsozialen kauen an ihren knapp 39 Prozent fast genauso schwer wie die abgestürzten Sozialdemokraten an ihren zwanzig. Und das liegt nicht nur daran, dass das Ergebnis mies war. Es liegt noch mehr daran, dass sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.

Wo will diese CSU inhaltlich hin? Wie soll sie dem AfD-Erfolg begegnen? Mit Haltung und Verteidigung dessen, was die Bundesregierung nach der Flüchtlingskrise getan hat? Die Chance ist vertan, das hätte die CSU im letzten Wahlkampf tun müssen. Also ganz hart auftreten und die AfD-Tonlage im Namen der CSU noch aggressiver einsetzen? Das wäre nicht mehr die selbsterklärte Staatspartei, deren Wirtschaft Weltoffenheit braucht und dazu dringend ein Einwanderungsgesetz, mit dem die Türen nicht geschlossen, sondern geöffnet werden. Man muss dieser Partei nicht angehören, um zu erkennen, dass ihre Lage alles andere als trivial ist. Neuwahlen wären deshalb auch für die CSU kein Vergnügen.

FDP: 2013 nach wie vor in den Knochen

Auch die Liberalen sind zerrissen. Zuerst durften sie sich über die triumphale Rückkehr in den Bundestag freuen. Dann mussten sie mit ansehen, wie ihre Freude binnen Stunden von der Aufgabe überrollt wurde, ungeliebte Jamaika-Sondierungen anzunehmen. Das sind nicht irgendwelche Verhandlungen, es sind die wohl schwersten seit Jahrzehnten. Und das in einer Situation, in der die Partei sich erst wieder organisieren, befähigen, auch mit Kompetenz ausstatten müsste. Es ist für eine vergleichsweise kleine und neue Truppe um Christian Lindner und Wolfgang Kubicki alles andere als einfach, auf zahlreichen Feldern sicher und mit einem großen Plan FDP-Ziele zu verhandeln.

Gleichzeitig steckt der Partei das Erlebnis von 2013, als sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, nach wie vor in den Knochen. Lindner sagte damals, die FDP habe auf dem Weg in die Katastrophe die meisten Fehler selbst gemacht. Aber viele unter den Liberalen denken bis heute, dass die verheerende Niederlage auch deshalb geschehen konnte, weil die Kanzlerin sie 2013 im Stich gelassen hat. Aus diesem Grund wäre für sie ein Scheitern und ein Abschied von Merkel nicht die schlechteste aller Lösungen.

Und doch: Niemand in der FDP kann sagen, ob es bei Neuwahlen wieder so gut ausgehen würde wie vor sieben Wochen. Aktuelle Umfragen sehen die Liberalen bei zwölf Prozent. Das wäre noch besser als am 24. September. Aber bei der Landtagswahl in Niedersachsen mussten sie zuletzt erleben, dass auch ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen. Würde sich der Eindruck festsetzen, Jamaika sei an der FDP gescheitert, dann wäre das eine gefährliche Botschaft für den Start in einen neuen Wahlkampf. Die FDP ist wieder beliebt, aber das vor allem, weil sie das Image der kühlen bis kalten FDP der alten Zeit ablegen konnte. Ein ungeschicktes Nein zu Jamaika könnte das ändern.

Die Grünen: Keine Katastrophe, aber ein Risiko

Für die Grünen wäre ein Scheitern von Jamaika keine Katastrophe - sofern nicht sie als Verantwortliche in die Geschichte eingehen. Wie schnell das gehen kann, wissen sie genau. Sie mussten es vor vier Jahren erleben: Als 2013 die ersten schwarz-grünen Gehversuche im Nichts endeten, schaffte es die Union nahezu perfekt, die Schuld bei den Grünen abzuladen. Insbesondere deren damaliger Spitzenmann Jürgen Trittin galt als hartleibiger Besserwisser und frühzeitiger Neinsager. Ein Image, das die Grünen noch Jahre danach geplagt hat. Und das, obwohl auch die Union damals früh und deutlich auf Distanz ging.

Die derzeitige Grünen-Spitze hat viel unternommen, um der Gefahr dieses Mal zu entkommen. Mehr als jemals zuvor hat sie eigene Kompromissangebote unterbreitet; jede und jeder sollte sehen, dass man mit den Grünen reden kann, wenn es sein muss. Das ist klug, es ist klüger als das Verhalten der Dobrindts und Kubickis. Aber ob es sich im Falle eines Scheiterns auszahlt, ist völlig offen. Gerade bei den Grünen weiß niemand, wie die eigene Basis reagiert, wenn dieses Verhalten politisch keinen Lohn bringt.

Immerhin aber haben die Grünen es geschafft, dass die im Wahlkampf nur mühsam versteckten Risse in der Führungsspitze während der Sondierungsgespräche nicht aufbrachen. Im Gegenteil, es ist ausgerechnet ihnen bisher gelungen, enger als erwartet zusammenzubleiben. Das gilt selbst für den bis heute für die meisten Grünen unberechenbaren Trittin. Und es gilt noch mehr für eine Parteichefin Simone Peter, die plötzlich den Versuch unternommen hat, doch noch wie eine Teamspielerin zu agieren. Neuwahlen wären für die Grünen trotzdem ein großes Risiko. Zu knapp war es beim letzten Urnengang - und zu groß war die Kritik am letzten Wahlkampf, in dem es ihnen nicht gelang, die Leute mit Leidenschaft für sich zu begeistern.

SPD: Schlecht vorbereitet - und doch eine große Chance

Bei den Sozialdemokraten sieht es bislang nicht besser aus. Sie sind müde und zweifelnd auf ihrem Weg in die Zukunft. Wirklich vorbereitet auf die nächste Wahlschlacht wirken die Genossen nicht. Noch sind sie vor allem mit sich selbst beschäftigt; noch ist für viele unklar, ob die Fortsetzung der Ära Martin Schulz wirklich eine gute Idee ist. Dass sie in den Umfragen auf der Stelle treten, ist deshalb nicht überraschend. Es wäre der falsche Zeitpunkt für den nächsten großen Wahlkampf.

Allerdings lässt sich eines kaum vorhersagen: Die Kraft, die sich ergibt, wenn einer nach einer verheerenden Niederlage die Chance bekommt, all den Mist ganz schnell wiedergutzumachen. Das muss nicht gleich wie ein Jungbrunnen wirken. Aber es könnte ungeahnte Kräfte frei machen, wenn sich die Union an Jamaika die Zähne ausbeißen sollte. Plötzlich könnten die Sozialdemokraten Aufwind bekommen. Dass das Ansehen der großen Koalition wieder steigt, lässt sich als Indiz lesen. Es ist deshalb ein klein wenig paradox: die SPD wäre nicht vorbereitet und würde Neuwahlen wohl trotzdem als große Chance begreifen.

Linkspartei: Die Perspektive fehlt

Bei den Linken weiß man so gar nicht, was Neuwahlen wohl bedeuten würden. Sie haben vor der Wahl gestritten, und sie haben sich hinterher an den Haaren gezogen. Und trotzdem liegen sie bei den immer gleichen neun Prozent in den Umfragen. Ganz so, als sei dieser Wert für sie in Stein gemeißelt. Nun kann man nicht sagen, dass sie sich zuletzt verausgabt hätten; ausgeruht also müssten sie sein, sollte es mit dem Wahlkampf wieder losgehen. Ihr größtes Manko wäre nicht die Kraft, sondern die mangelnde Perspektive. Noch nämlich spricht wenig bis nichts dafür, dass plötzlich Rot-Rot-Grün mehrheitsfähig werden könnte. Erst dann würden die Linken wirklich wieder interessant; erst dann könnten sie aus dem Niemandsland ihrer neun Prozent herauswachsen.

AfD: Würde eher gewinnen als verlieren

Bliebe noch die AfD. Sie kann nach ihrem Einzug in den Bundestag zusehen, wie sich die anderen abmühen. Sie lästert hier, provoziert da und erntet bei ihren Anhängern dafür nach wie vor Beifall. Der Bruch mit der Ex-Vorsitzenden Frauke Petry konnte ihr bei all dem bis heute nicht wirklich etwas anhaben. Ein Scheitern Jamaikas wäre für sie die Bestätigung dessen, was sie ohnehin dauernd behauptet: Dass die anderen Parteien es nicht auf die Reihe kriegen.

So gesehen muss man davon ausgehen, dass die AfD eher gewinnen als verlieren würde, sollte es Neuwahlen geben. Das allerdings würde wohl nur für den Fall stimmen, dass die CDU mit gleicher Aufstellung antreten würde. Anders sähe es womöglich aus, würde sich die CDU eine neue Führung geben. Die AfD hofft vermutlich auf ein Scheitern von Jamaika und muss doch fürchten, dass die Welt danach vielleicht ganz anders aussieht.

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