Bootsflüchtlinge:Italien wirft Deutschland unerlaubte Einmischung vor

Lesezeit: 3 min

Diese Dienstreise verbesserte die Laune von Antonio Tajani nicht: Italiens Außenminister mit seiner Kollegin Annalena Baerbock in Berlin. (Foto: Janine Schmitz/Imago)

Die Regierung in Rom ist verschnupft: Wie kann es sein, dass der Partner Deutschland Seenotretter vor der italienischen Küste finanziert?

Von Marc Beise, Rom

Der italienische Außenminister Antonio Tajani war in dieser Woche auf Dienstreise in Berlin, und das hat seine Laune nicht verbessert. Schon in der Pressekonferenz nach dem Gespräch mit seiner Amts- und Duz-Kollegin Annalena Baerbock machte er aus seinem Groll kein Geheimnis. Dass Deutschland private Organisationen (NGOs) finanziell unterstützt, die sich in Italien und auf dem Meer vor Italien um Migranten kümmern, betrachtet die italienische Regierung als Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten und unfreundlichen Akt eines Verbündeten.

Zurück in Rom musste Tajani nach eigenen Worten erfahren, dass sich mittlerweile gleich sieben Schiffe von Seenotrettern auf dem Weg zur italienischen Insel Lampedusa befinden, wo wegen der Nähe zur nordafrikanischen Küste besonders viele der Boote mit nach Europa Flüchtenden ankommen. "Das kommt mir wirklich seltsam vor. An dem Tag, an dem über einen möglichen EU-Pakt verhandelt wird, kommen all diese Schiffe", sagte der Außenminister im Interview der römischen Zeitung La Repubblica. Dabei bezog er sich auf die monatelangen Verhandlungen in Brüssel über eine Asylreform, mit der irreguläre Migration begrenzt werden soll.

Die Regierungschefin beschwert sich brieflich beim Bundeskanzler

Bisher war vor allem Deutschland wegen seiner fehlenden Zustimmung für ein Element der Reform unter Druck geraten, hatte jedoch am Donnerstag bei einem Treffen der EU-Innenminister seinen Widerstand aufgegeben. Dann aber stellte sich plötzlich Italien quer und meldete Vorbehalte an, Innenminister Matteo Piantedosi verließ das Treffen vorzeitig. Auch hier war offenbar Stein des Anstoßes die Rolle der zivilen Seenotretter.

Das Auswärtige Amt in Berlin hatte am Freitag vor einer Woche mitgeteilt, dass mehrere NGOs in Italien direkte Zuschüsse aus Deutschland in Höhe von jeweils 400 000 bis 800 000 Euro erhalten sollen. Damit werde ein früherer Beschluss des Bundestags umgesetzt. Offenbar weil man wusste, dass Zuwendungen etwa an SOS Humanity, die ein Rettungsschiff im Mittelmeer unterhält, kritisch gesehen werden, wurde auch die vatikannahe katholische Laienorganisation Sant'Egidio berücksichtigt, die sich für sozial Schwache und Geflüchtete einsetzt. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zeigte sich dennoch erstaunt und beschwerte sich formell in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Auf der sizilianischen Insel Lampedusa kamen binnen einer Woche 10 000 Bootsmigranten an. (Foto: Cecilia Fabiano/ LaPresse/AP)

Vertreter des Koalitionspartners Lega von Matteo Salvini, der als Verkehrsminister zwar anders als früher nicht mehr direkt für das Thema zuständig ist, rüsteten sogleich verbal auf. Die Rede war von einer "Invasion", sogar Bezüge zur deutschen Besetzung Italiens vor 80 Jahren wurden hergestellt. Tajani und Meloni wiederum bemühen sich erkennbar um einen moderaten Ton und um eine europäische Koordination bei der Lösung des eskalierenden Migrationsproblems. Vermutlich wissen die beiden auch, dass der Fingerzeig auf die privaten Rettungsschiffe nicht zielführend ist. Nach mehreren Studien kann man davon ausgehen, dass 90 bis 95 Prozent der nach Italien Kommenden nicht von diesen Rettungsschiffen aufgenommen worden sind, sondern von der staatlichen italienischen Küstenwache und der Guardia di Finanza.

Die Regierung verschärft erneut die Regeln für Flüchtende

Die drei regierenden Rechtsparteien hatten im Wahlkampf ein hartes Vorgehen angekündigt, um die Zahl der in Italien ankommenden Bootsmigranten zu senken. Sie sind dabei aber nicht erfolgreich. Tatsächlich wurden seit Beginn des Jahres mehr als 130 000 Bootsflüchtlinge registriert, doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. Allein auf Lampedusa kamen diesen Monat mehr als 10 000 Menschen an.

In dieser Woche hat die Regierung deshalb noch einmal schärfere Regelungen für Flüchtende beschlossen. Einerseits wird der Schutz Minderjähriger verringert, andererseits sollen Abschiebungen schneller erfolgen können. Minderjährige, die älter als 16 Jahre sind, können von nun an in Aufnahmeeinrichtungen für Erwachsene untergebracht werden. Stellt sich nach Überprüfungen heraus, dass jemand bei der Ankunft in Italien falsche Altersangaben gemacht hat, um sich als minderjährig auszugeben, kann laut den neuen Regelungen eine sofortige Abschiebung die Folge sein. Nicht-EU-Bürger, die schon länger in Italien leben, sollen auch bei Straftaten, die keine Gefängnisstrafe nach sich ziehen, schneller ausgewiesen werden können.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Unterdessen hat das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, am Freitag neue Zahlen veröffentlicht. Danach haben in diesem Sommer deutlich mehr unbegleitete Kinder und Jugendliche als bisher die Fluchtroute über das Mittelmeer benutzt als noch im Vorjahr. Mit mehr als 11 600 zwischen Januar und September hat sich deren Zahl im Vergleich zu 2022 um rund 60 Prozent erhöht. Zwischen Juni und August sind demnach 990 Menschen bei der Überquerung des Zentralen Mittelmeers gestorben oder blieben verschollen, darunter auch Kinder. Diese Zahl habe sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht, wobei die tatsächliche Opferzahl deutlich höher liegen könnte, da nicht alle Schiffsunglücke erfasst würden.

Vor allem unbegleitete Kinder und Jugendliche, insbesondere Mädchen aus Subsahara-Afrika, seien auf ihrer Flucht Gefahren wie Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt, betonte Unicef. "Das Mittelmeer ist zu einem Friedhof für Kinder und ihre Zukunft geworden. Die verheerenden Folgen für Kinder, die in Europa Asyl und Sicherheit suchen, ist das Ergebnis politischer Entscheidungen und eines nicht funktionierenden Migrationssystems", sagte die Unicef-Regionaldirektorin für Europa und Zentralasien, Regina De Dominicis. Sie mahnte eine europaweite Lösung zur Unterstützung der Kinder und Familien sowie mehr internationale Hilfe zur Krisenbekämpfung in den Herkunftsländern an.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Migrationspolitik
:Europa schottet sich ab

Die EU-Asylreform ist eine Zäsur. Flüchtlinge ohne Aussicht auf Anerkennung sollen bald an den Außengrenzen festgehalten werden. Kann das die Populisten stoppen?

Von Josef Kelnberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: