Migrationspolitik:Europa schottet sich ab

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Vor der Mittelmeerinsel Lampedusa kommt es immer wieder zu lebensgefährlichen Situationen - hier eine Rettungsaktion der italienischen Küstenwache 2022. (Foto: Pau de la Calle/AP)

Die EU-Asylreform ist eine Zäsur. Flüchtlinge ohne Aussicht auf Anerkennung sollen bald an den Außengrenzen festgehalten werden. Kann das die Populisten stoppen?

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Da schau her, die Deutschen sind jetzt auch in der Realität angekommen. Es war einiger Spott über die Bundesregierung zu hören, als sich die für Migrationspolitik zuständigen Ministerinnen und Minister der EU diese Woche in Brüssel trafen. Deutschland habe zwar keine neue Regierung, aber neue Flüchtlingszahlen, sagte einer der an den Beratungen Beteiligten und erinnerte daran, dass die deutsche Ministerin Nancy Faeser noch im vergangenen Jahr mit moralisch erhobenem Finger auf sein Land zeigte, weil die Regierung keine Flüchtlinge freiwillig aufnimmt - und jetzt macht Deutschland selbst die Grenzen dicht.

Deutschland sperrt sich auch nicht mehr gegen die letzte Grausamkeit im Baukasten der großen europäischen Asylreform, die sogenannte Krisenverordnung. "Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, wir stimmen zu", sagte die SPD-Ministerin Faeser in Brüssel, einem Machtwort des Bundeskanzlers an die Grünen folgend. Geflüchtete können demnach bei außergewöhnlichem Andrang an den Grenzen monatelang in Lager eingesperrt werden. Faeser legte Wert darauf, sie habe noch einige Erleichterungen für die Migranten in den Text hineinverhandelt. Deutschlands Rolle in der europäischen Migrationspolitik ist es eben nach wie vor, den hässlichen Dingen ein humanitäres Mäntelchen überzuwerfen. Aber das ändert nichts daran, dass hier eine Zäsur in der europäischen Migrationspolitik vorbereitet wird, mit Berliner Unterstützung.

Die Reform ist allerdings noch nicht über die Bühne, denn nun sperren sich die Italiener. Giorgia Melonis Koalitionspartner Matteo Salvini hat offenbar das Gefühl, man sei den vermeintlichen deutschen Gutmenschen zu weit entgegengekommen. Er will die Möglichkeit festschreiben lassen, im Krisenfall gegen private Seenotretter vorgehen zu können. Am Montag soll auf Diplomatenebene wieder verhandelt werden, möglicherweise wird der Streit erst beim Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende nächster Woche in Granada zu lösen sein.

So geht weitere wertvolle Zeit verloren. Erst wenn sich die Mitgliedstaaten über alle neuen Asylgesetze verständigt haben, können die abschließenden Verhandlungen über das ganze Paket mit dem Europaparlament beginnen. Die werden den Rest der Legislaturperiode beherrschen und sind angesichts der stark steigenden Flüchtlingszahlen in ganz Europa in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzen.

Angela Merkel hat einst als Kanzlerin die Migration zur Schicksalsfrage der Europäischen Union erklärt, am Umgang mit ihr würden sich Zerfall oder Zusammenhalt Europas entscheiden. Auch darum wird es in den Verhandlungen gehen. Denn die Menschen sind erschöpft von den Großkrisen, und eine wahrgenommene Migrationskrise, die an Fragen von nationaler und europäischer Identität rührt, ist das beste Futter überhaupt für Populisten und Nationalisten.

Es soll der Einstieg in die solidarische Verteilung auf alle EU-Mitglieder sein

Die geplanten Reformen sollen sicherstellen, dass alle ankommenden Migranten lückenlos an den Außengrenzen erfasst werden. Sie bieten zumindest im Prinzip den Einstieg in ein System der solidarischen Verteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedstaaten. Vor allem setzt die EU darauf, Asylbewerber mit wenig Aussicht auf Erfolg an den Außengrenzen festzuhalten und von dort wieder abzuschieben. Wichtigstes Ziel: Die Flüchtlingszahlen in Europa sollen sinken.

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Eurostat)

Bei den Europawahlen im Juni 2024 will man dem Wahlvolk dann mit der vollendeten Reform zeigen: Europa handelt gemeinsam in Migrationsfragen, Europa hat einen Plan, Europa braucht keine Nationalisten und Populisten.

Die Reformen allein werden kaum reichen, um die rechte Welle zu stoppen, die bei den Europawahlen zu erwarten ist. Dafür kommen sie zu spät. Die Europäische Union hat nach den Krisenjahren 2015 und 2016 zu lange gebraucht, um zu einer gemeinsamen Migrationspolitik zu finden. Jetzt sucht sie kurzfristige Lösungen. In aller Eile schloss man ein Abkommen mit dem zwielichtigen tunesischen Präsidenten Kais Saied, der die Migranten an der Überfahrt nach Italien hindern soll. Vermutlich werden ähnliche Deals mit Ägypten und Marokko folgen. Die einzige europäische Regierung, die moralische Bedenken anmeldet, ist die deutsche.

Prägende Figur der europäischen Migrationspolitik ist derzeit nicht Olaf Scholz, sondern die Postfaschistin Giorgia Meloni. Vermutlich wird sie auch die nächste Stufe der Migrationsdebatten beherrschen. Dabei wird es darum gehen, europäische Asylverfahren nicht mehr in Europa, sondern auf anderen Kontinenten abzuwickeln, beispielsweise in Nordafrika. Regierungen, die sich solchen Ideen widersetzen, gibt es in Europa immer weniger. Flüchtlingsfreundliche Staaten wie Schweden und Dänemark haben sich einem Kurs der Abschottung verschrieben, selbst in einem liberalen Land wie Belgien müssen Flüchtlinge in Zelten auf der Straße nächtigen. Und in Frankreich wartet Marine Le Pen auf ihren Einsatz.

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