EU:Berlin macht Weg frei für Asylreform

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Faeser, hier auf dem Weg zu den Verhandlungen, bemühte sich am Donnerstag um letzte kleine Verbesserungen. (Foto: John Thys/AFP)

Innenministerin Faeser stimmt in Brüssel der Verschärfung des neuen europäischen Regelwerks zu. Vor einer Einigung gibt es Forderungen Italiens, die Arbeit der Seenotretter einzuschränken.

Von Josef Kelnberger und Paul-Anton Krüger, Brüssel/Berlin

Nach dem "Machtwort" von Bundeskanzler Olaf Scholz an den grünen Koalitionspartner macht die Bundesregierung den Weg frei für eine weitere Verschärfung des europäischen Asylrechts. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verhandelte am Donnerstag mit den anderen Innenministerinnen und Innenministern der EU über Änderungen am Entwurf für die sogenannte Krisenverordnung, dem letzten Baustein der großen Asylreform. Diese setzt Regeln für den Fall, dass ein Land von außergewöhnlich hohen Flüchtlingszahlen überfordert ist. Die Rechte von geflüchteten Menschen können dann ganz massiv eingeschränkt werden, weshalb die Grünen bislang ihre Zustimmung verweigert hatten.

"Wir werden unserer Verantwortung gerecht, wir stimmen zu", sagte Faeser bei der öffentlichen Aussprache der Minister am Donnerstagnachmittag nach stundenlangen Gesprächen. Faeser erreichte in den Verhandlungen Klarstellungen, die darauf zielen, dass der Krisenmodus nicht beliebig ausgerufen werden kann, sondern wirklich "außergewöhnlich" ist. Außerdem gestand man ihr Ergänzungen am Gesetz zu, die den Geflüchteten besseren Schutz in Detailfragen garantieren.

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Nachdem Bundesminister der Grünen bis zuletzt Bedenken geäußert hatten, stimmt Berlin der umstrittenen Asyl-Krisenverordnung zu. Aus Rom kommt das Anliegen, beim Thema private Seenotrettung nachzuschärfen.

Italien will private Seenotrettung bestrafen

Bis Donnerstagabend herrschte allerdings Verwirrung, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Staaten, 65 Prozent der EU-Bevölkerung) wirklich erreicht ist. Und das lag an Italien. Nancy Faeser wertete das Schweigen des italienischen Kollegen Matteo Piantedosi als Zeichen, dass Italien weiterhin zustimmt. Aber aus italienischen Regierungskreisen hieß es, man brauche Bedenkzeit. Offenbar war man der Meinung, das neue Kompromisspapier komme Deutschland zu sehr entgegen.

Der italienischen Regierung geht es vor allem darum, die Arbeit von privaten Seenotrettern als "Instrumentalisierung" von Migranten werten und damit bestrafen zu können. Für die Grünen wäre das schwer zu akzeptieren. Außenministerin Annalena Baerbock sagte dazu am Rande eines Treffens mit dem italienischen Außenminister Antonio Tajani in Berlin: "Freiwillige Seenotretter haben eine lebensrettende Aufgabe im Mittelmeer, deswegen haben sie unsere Unterstützung." Tajani erwiderte, sein Land führe keinen Krieg gegen die Seenotretter, "aber Italien darf nicht zu dem Land werden, wo alle NGO-Schiffe Menschen an Land bringen".

Die EU-Botschafter der 27 Staaten sollen in den nächsten Tagen über den Text verhandeln. Sollte es eine Einigung geben, käme das einem Durchbruch bei der europäischen Asylreform gleich. Die Krisenverordnung ist der einzige von zehn Gesetzestexten, zu dem die Staaten noch keine gemeinsame Position gefunden haben. Erst nach einer Einigung könnten die abschließenden Verhandlungen mit dem Europaparlament über das gesamte Paket beginnen. Sie sollen vor den Europawahlen im Juni 2024 abgeschlossen sein.

Wirkung wird die Reform erst in vielen Monaten entfalten

Das Reformpaket dient vor allem dem Zweck, Ordnung ins europäische Asylsystem zu bringen und Bewerber mit geringen Erfolgsaussichten schon an der Grenze abzuweisen. Es ist nicht geeignet, die Zahl der in Deutschland ankommenden Migranten sofort zu begrenzen, denn die Verhandlungen werden noch viele Monate dauern. Die deutsche Regierung ist die einzige, die sich der Krisenverordnung wegen menschenrechtlicher Bedenken verweigert hatte. Staaten wie Ungarn, Polen, Österreich und Tschechien ging der Entwurf nicht weit genug. Deshalb kam bei einer ersten Abstimmung im Juli nicht die nötige Mehrheit zustande.

Ministerin Faeser sagte am Donnerstag, es sei nun sichergestellt, dass Regierungen die Krisenverordnung nicht "leichtfertig" in Anspruch nehmen können. Die Staaten an den Außengrenzen müssten auch im Krisenfall alle ankommenden Flüchtlinge registrieren. Sie verwies zudem darauf, dass der Krisenfall nicht von einzelnen Ländern, sondern nur vom Rat ausgerufen werden kann, und auch das nur mit qualifizierter Mehrheit.

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Die Bundesregierung hat bislang in der europäischen Asylpolitik weder moralisch glaubwürdig noch politisch vernünftig gehandelt. Es war Zeit für ein Machtwort.

Kommentar von Josef Kelnberger

Die Ministerin erreichte in einigen Punkten Erleichterungen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Sie forderte zudem, Familien mit Kindern müssten von den Regeln ausgenommen werden, aber dafür gibt es keine Mehrheiten.

Die "Verordnung für Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl" verschärft noch einmal die Regeln für Asylverfahren an den Außengrenzen, die die Mitgliedstaaten im Juni vereinbarten. Asylbewerber können im Krisenfall demnach nicht nur zwölf, sondern 20 Wochen lang festgehalten werden, bis über ihren Antrag entschieden ist. Bis zur möglichen Abschiebung aus dem Lager könnten dann viele Monate vergehen. Auch der Personenkreis, der in Lagern festgehalten wird, könnte im Krisenfall erweitert werden: Im Normalfall trifft es Asylbewerber aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von maximal 20 Prozent, diese Schwelle könnte auf 75 Prozent erhöht werden. Und falls Migranten von anderen Staaten "instrumentalisiert" werden, um die EU zu schwächen, könnten sogar alle in Haft genommen werden.

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