Krieg in Nahost:Europäische Union für "humanitäre Pausen" im Nahost-Krieg

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Ein palästinensischer Junge trauert um seine Verwandten, die bei einem israelischen Luftangriff ums Leben gekommen sind. (Foto: Hatem Ali/dpa)

Die 27 Regierungen wollen Israel dazu drängen, die Angriffe auf den Gazastreifen zu unterbrechen, damit die Zivilbevölkerung versorgt werden kann. Nach den umstrittenen Aussagen von Generalsekretär Guterres droht Israel, UN-Mitarbeitern keine Visa mehr auszustellen.

Von Juri Auel, Nadja Tausche und Hubert Wetzel

Die Europäische Union will Israel dazu auffordern, seine Militäraktionen gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen zu unterbrechen, damit die Zivilbevölkerung dort humanitäre Hilfe erhalten kann. Wie die Süddeutsche Zeitung aus Diplomatenkreisen erfuhr, haben sich die 27 EU-Regierungen darauf geeinigt, bei ihrem Gipfeltreffen an diesem Donnerstag auf sogenannte "humanitäre Pausen" in den Kämpfen zu drängen.

Über den entsprechenden Passus im Abschlussdokument des Gipfels wird in Brüssel seit einigen Tagen gerungen. Dabei geht es vor allem um die genaue Formulierung, mit der eine mögliche Unterbrechung der Kampfhandlungen umschrieben wird. Den Begriff "Waffenstillstand" wollen etliche EU-Staaten vermeiden, darunter Deutschland. Außenministerin Annalena Baerbock machte Anfang der Woche klar, dass Europa Israel nach dem Massaker der Hamas mit mehr als 1400 Toten nicht dazu auffordern könne, für eine längere Zeit sämtliche Militäraktionen in Gaza einzustellen - zumal die Hamas von dort aus immer noch Raketen auf Israel abfeuere. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen und die Terroristen zu bekämpfen, so Baerbock.

António Guterres bei seiner Rede in New York. (Foto: Seth Wenig/AP)

Im Gespräch war daher zunächst, dass die EU eine "humanitäre Pause" in den Gefechten fordern solle, damit Konvois mit Hilfsgütern von Ägypten aus nach Gaza fahren oder auch Geiseln freigelassen werden können, die die Hamas aus Israel verschleppt hat. Für diese Wortwahl setzten sich EU-Ratspräsident Charles Michel und der Außenbeauftragte Josep Borrell ein. Allerdings war auch das Wort "Pause" im Singular den Unterstützern Israels in der EU, darunter der Bundesregierung, noch zu hart. Für sie klang es zu sehr nach einer dauerhaften Einstellung aller israelischen Militäraktionen in Gaza.

Am Mittwoch einigten sich die europäischen Regierungen dann bei einer Sitzung ihrer EU-Botschafter in Brüssel auf den Plural: "humanitäre Pausen". Diesen Begriff hatte sich zuvor auch die US-Regierung zu eigen gemacht. Gemeint sind damit zeitlich und räumlich eng begrenzte Unterbrechungen in den Kampfhandlungen, damit humanitäre Hilfsgüter zur palästinensischen Zivilbevölkerung transportiert werden können. Durch die Formulierung soll Israels Recht auf Selbstverteidigung, das Militärschläge in Gaza einschließt, ausdrücklich nicht infrage gestellt werden. Dieses Recht wird in der Schlusserklärung des EU-Gipfels auch separat und explizit bestätigt.

Israel selbst lehnt eine Feuerpause im Sinne eines Waffenstillstands bisher vehement ab. "Die Antwort ist Nein", sagte Ron Prosor, Israels Botschafter in Deutschland. Nach wie vor greife die Hamas Israel mit Raketen an und halte Geiseln gefangen. "Sie sollen nichts bekommen, bevor sie wirklich alle zurückgeben", so Prosor. Auch die Infrastruktur der Hamas müsse zuerst zerstört werden.

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Ungelöst bleibt der Konflikt zwischen Israel und den Vereinten Nationen nach den umstrittenen Äußerungen von UN-Generalsekretär António Guterres. Laut Berichten drohte der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, der Organisation damit, UN-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern keine Visa für Israel mehr zu erteilen. Zuvor hatte Erdan bereits den Rücktritt Guterres' gefordert.

Hintergrund sind Äußerungen Guterres' bei einer Sitzung des Sicherheitsrats in New York. Er hatte die israelischen Gegenangriffe im Gazastreifen kritisiert und von "eindeutigen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht" gesprochen. Zwar verurteilte Guterres den Hamas-Terroranschlag am 7. Oktober, er sagte aber auch, dieser habe "nicht im luftleeren Raum" stattgefunden und verwies damit auf die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete.

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Nach dieser Aussage warf Erdan dem Generalsekretär vor, "Verständnis für eine Kampagne des Massenmordes an Kindern, Frauen und alten Menschen" zu haben. Er sei nicht geeignet, die UN zu führen. Guterres sagte inzwischen, er sei "schockiert über die falschen Darstellungen", wonach er "die Terrorakte der Hamas rechtfertigen würde". Das Gegenteil sei der Fall. Er wolle dies richtigstellen, aus Respekt vor den Opfern und ihren Familien. Die Bundesregierung hat Guterres den Rücken gestärkt. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, der UN-Generalsekretär habe das Vertrauen der Bundesregierung. Er verwies darauf, dass die Situation im Moment "sehr aufgeladen, angespannt" sei.

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Unterdessen steigt der Druck auf Israel, Treibstofflieferungen in den Gazastreifen zuzulassen. Während kleinere Hilfskonvois Nahrungsmittel und Medikamente liefern, verbietet Israel weiterhin die Einfuhr von Diesel und Benzin - mit dem Argument, die Hamas könne den Treibstoff für terroristische Zwecke nutzen. Hilfsorganisationen verweisen mit Nachdruck darauf, dass dieses Embargo die medizinische Versorgung der Menschen im Gazastreifen massiv gefährde, da Krankenhäusern Sprit für die Stromerzeugung fehle.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte mit, schon jetzt müssten Kliniken wegen Treibstoffmangels schließen. Deshalb seien unter anderem 2000 Krebspatienten, 1000 Dialysepatienten, 130 Frühgeborene sowie Patienten in der Intensivpflege zunehmend gefährdet. Das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) gab bekannt, dass es möglicherweise sämtliche Unterstützungen für die Menschen im abgeriegelten Gazastreifen in der Nacht zum Donnerstag einstellen müsse. Ohne neue Lieferungen von Treibstoffen könnten die UNRWA-Aktivitäten nicht aufrechterhalten werden, da es keinen Strom und keinen Sprit für die Fahrzeuge der Hilfskräfte gebe.

Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen soll zuletzt auf fast 5800 gestiegen sein. Die Angaben stammen allerdings von dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium in Gaza, unabhängig überprüfen lassen sie sich nicht. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef sind in Folge der israelischen Luftangriffe auch 2360 Kinder ums Leben gekommen. Quellen für die Zahlen nannte das Kinderhilfswerk nicht; auch sie sind deshalb nicht überprüfbar. Auf israelischer Seite sind nach aktuellen Angaben der Armee mehr als 1400 Menschen ums Leben gekommen, seit die Hamas am 7. Oktober Israel angegriffen hat.

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