Brüssel:Bundesländer werben für "Brückenstrompreis"

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Stephan Weil (SPD, Mitte), spricht bei einem Statement neben Hendrik Wüst (CDU, links) und Ursula von der Leyen in der Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union in Brüssel. (Foto: Thomas Banneyer/dpa)

In Brüssel fordern die deutschen Ministerpräsidenten die EU dazu auf, den Mitgliedstaaten Subventionen zu gestatten. Sie setzen die Bundesregierung damit unter Druck.

Von Jan Diesteldorf und Josef Kelnberger, Brüssel

In demonstrativer Geschlossenheit verlangen die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einen "Brückenstrompreis" in Deutschland. Die Forderung ist Teil einer "Brüsseler Erklärung", die sie am Donnerstag anlässlich eines zweitägigen Besuchs in Brüssel verabschiedet haben.

In dem Text heißt es, die Europäische Union solle den Mitgliedstaaten für einen Übergangszeitraum staatliche Strompreis-Subventionen ermöglichen, "vor allem für energieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen". Ansonsten drohten massive wirtschaftliche Schäden. Die eigentliche Botschaft geht aber an die Bundesregierung: Die müsste erst einmal ein Konzept in Brüssel zur Genehmigung vorlegen. Die Grünen in Berlin sind dafür, die FDP dagegen, Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich skeptisch.

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Die deutschen Ministerpräsidenten reisen nach Brüssel zu Ursula von der Leyen - und werden dort auch über ein Thema sprechen, das der Kommissionspräsidentin seit Kurzem sehr wichtig ist.

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Erstmals seit 2018 waren die Länderchefinnen und -chefs gemeinsam nach Brüssel gereist, um dort ihre Interessen zu vertreten. Sie sprachen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und anderen Vertretern der EU-Exekutive. Als "bemerkenswert geschlossen und bemerkenswert klar" bezeichnete Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil den Auftritt.

Der SPD-Politiker ist derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz und trat in Brüssel stets Seite an Seite mit seinem Co-Vorsitzenden Hendrik Wüst (CDU) auf, seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen. Die Allianz ist offensichtlich gedacht als Kontrast zur häufig streitenden Ampelkoalition, die auch in Brüssel nicht immer geschlossen auftritt.

Beim Thema Migration bleibt die Erklärung vage

Die "Brüsseler Erklärung", eine Art Forderungskatalog an die Institutionen der EU, ist getragen von der Sorge, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der europäischen Politik verlieren. Deshalb müsse die EU vor allem zwei Probleme in den Griff bekommen: die steigenden Flüchtlingszahlen und die Krise der Wirtschaft.

Um die Einstimmigkeit nicht zu gefährden, ist das Thema Migration in der Erklärung vage gehalten. Aber in den Gesprächen schilderten die Länderchefs über Parteigrenzen hinweg den EU-Vertretern in drastischen Worten, wie viele Kommunen wegen der Aufnahme einer steigenden Zahl von Migranten an den Rand der Handlungsfähigkeit geraten. Umso deutlicher ist das Papier formuliert, wenn es um den Grünen Deal geht, das Klimaprogramm der EU-Kommission unter von der Leyen: Es gelte fortan, dabei stärker die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu berücksichtigen und darauf zu achten, die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu verlieren.

Man habe der Kommissionspräsidentin die Sorgen um die energieintensiven Unternehmen "sehr eindringlich" vorgetragen, sagte Stephan Weil. Er nannte die Branchen Stahl, Chemie, Kupfer, Aluminium, Keramik und Zement. Der "Kernbereich der deutschen Wirtschaft" sei wegen der Strompreise nicht mehr wettbewerbsfähig. Nicht nur der Industrie, sondern auch kleinen und mittleren Betrieben solle geholfen werden.

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Einen Widerspruch zu seinem Parteifreund Olaf Scholz wollte Weil nicht erkennen. Der Kanzler wolle keine unbefristete Subventionierung, und ein "Brückenstrompreis" sei ja befristet, bis ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Zu den Bedenken, eine deutsche Strompreis-Subvention könne den Wettbewerb in Europa verzerren, sagte Weil: "Niemand in Europa wird stärker, wenn Deutschland schwächer wird."

Eine Genehmigung durch die EU-Kommission kann lange dauern

Nach den strengen beihilferechtlichen Kriterien der Kommission ist das aber kein Argument. Sie müsste eine deutsche Strompreis-Subvention prüfen und genehmigen, was lange dauern kann. Die EU-Institutionen verhandeln zudem gerade eine EU-Strommarkt-Reform, die den Spielraum für staatliche Markteingriffe neu definieren wird. Der EU-Abgeordnete Michael Bloss (Grüne) fordert mit Blick darauf eine europaweite Lösung statt nationaler Alleingänge. "Wir brauchen auf jeden Fall einen europäischen Ansatz", sagte er und warnte vor einem innereuropäischen Subventionswettlauf.

Hendrik Wüst sagte in Brüssel, die deutsche Wirtschaft brauche so schnell wie möglich Hilfe. Monat für Monat gingen Arbeitsplätze verloren und Zukunftsinvestitionen wanderten ab. Zusätzlich zum Brückenstrompreis forderte Wüst eine Absenkung der Stromsteuer. "Nichts ist teurer, als weiter abzuwarten", sagte Wüst, auf die Finanzierung der Stromsubventionen angesprochen.

Zum Angebot des Bundeskanzlers, angesichts der Krise über Parteigrenzen hinweg einen "Deutschland-Pakt" zu schließen, sagte Wüst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, man nehme "den Kanzler gern beim Wort, wenn er an den großen Themen arbeiten will". Das Kanzleramt bot CDU-Chef Friedrich Merz unterdessen am Donnerstag ein Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz über den Pakt an.

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