Die Grünen: Parteitag in Freiburg:Festhalten am Markenkern

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Flashmobs und Forderungen nach direkter Demokratie: Die Grünen greifen auf ihrem Parteitag die schwarz-gelbe Koalition an - und wärmen sich dann an Anti-Atom-Politik.

Michael Bauchmüller, Freiburg

Der Parteitag der Grünen hatte noch gar nicht richtig angefangen, da war schon der erste Flashmob beisammen. Punkt sieben sprangen die Gegner des umstrittenen Tiefbahnhofs Stuttgart 21 auf, skandierten minutenlang den Bahnhofs-Slogan "Oben bleiben". Keine zwanzig Minuten später standen schon die Niedersachsen: Mit Plakaten gegen Gorleben. Womit die ersten Schwerpunkte dieses Parteitags auch schon umrissen wären. Danach wurde es ernster.

Der Parteivorsitzende Cem Özdemir freute sich vor Beginn des Parteitags darüber, dass die Grünen mittlerweile 51.000 Mitglieder haben. (Foto: dapd)

Parteichef Cem Özdemir griff die Proteste in seiner Rede dankbar auf. "Frau Merkel, einfach mal lockermachen und die Demonstrationen und Proteste als Chance sehen", sagte er. Die Schlussfolgerung aus den Protesten müsse "mehr direkte Demokratie" sein - nicht zusätzliche Polizei zur Durchsetzung von Projekten. "Wir wollen den Zustand beenden, dass die Polizei für die verfehlte Lobbypolitik den Kopf hinhalten muss."

Den Gegnern des geplanten Atom-Endlagers im niedersächsischen Gorleben versprach er den Ausstieg aus dem Projekt - und der Union die Absage an jede schwarz-grüne Koalition. "Wer Laufzeiten verlängert, der wird nicht Bündnispartner von Bündnis 90/ Die Grünen", sagte Özdemir. "Mit denen können wir nicht zusammengehen." Zuvor hatte Unions-Fraktionschef Volker Kauder den Grünen in einem Interview vorgeworfen, sie seien ,"so unseriös wie zu ihrer Gründerzeit", wenn sie sich hinter jede Protestbewegung stellten.

Auch in der Steuerpolitik, in der Finanzpolitik, selbst für die Wirtschaft hätten die Grünen die besseren Ideen, warb Özdemir. "Wir bieten eine Politik, die kleine und mittlere Unternehmen in den Mittelpunkt stellt." Dagegen kümmere Schwarz-Gelb sich nur um die Belange von Banken und Energiekonzernen. "Wir wissen, dass die Angriffe auf uns härter werden", schloss Özdemir. "Wir lassen uns nicht kirre machen, wir halten fest am grünen Markenkern." Folgerichtig befassten sich die gut 700 Delegierten zuerst mit der Energiepolitik. "Wir Grüne kämpfen mit ganzer Kraft für einen energiepolitischen Systemwechsel und für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien", forderten sie im ersten Antrag - ein grünes Urthema.

So müssten neben dem Kraftwerk Krümmel die sieben ältesten Kernkraftwerke - die Grünen bezeichnen sie als ,,Schrottmeiler'' - sofort abgeschaltet werden. Für die restlichen Reaktoren müssten wieder jene Laufzeiten gelten, die Rot-Grün mit den Betreiberfirmen im Jahr 2000 ausgehandelt hatte. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte entschieden, den ältesten Kernkraftwerken acht zusätzliche Jahre zuzugestehen, den jüngeren 14 Jahre. Dies sei ,,eine unmissverständliche Kampfansage an die atomkritische Mehrheit der Bevölkerung'', finden die Grünen.

"SPD und Linke pflegen gefährliche Kohleromantik"

Zuletzt hatten Union und FDP den Grünen vorgeworfen, sie seien stets gegen alles - mit Blick auf Gorleben, aber auch den geplanten Stuttgarter Tiefbahnhof. Die Grünen sehen das naturgemäß ganz anders. "Dagegen" seien nicht sie selbst, sondern Union und FDP, argumentierte Fraktionschef Jürgen Trittin - so etwa gegen die Suche nach einem neuen Endlager. "Einen verlässlichen politischen Rahmen wird es nur mit uns geben", sagte der einstige Umweltminister. "Wir werden dafür sorgen, dass die schwarz-gelben Dagegen-Parteien nicht die Rolle rückwärts machen können."

Stattdessen wollen die Grünen bis 2030 allen Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugen, bis 2040 auch alle Wärme. Mit ähnlichen Forderungen waren sie schon in den Bundestags-Wahlkampf gezogen. Schärfere Sicherheitsauflagen für Kernkraftwerke und eine höhere Brennelementesteuer sollen bewirken, dass sich die Atomenergie auch ökonomisch erledigt. Alte Kohlekraftwerke sollen vom Netz, neue gar nicht erst gebaut werden - ungeachtet absehbarer Probleme mit künftigen Partnern. "SPD und Linkspartei pflegen eine gefährliche Kohleromantik." Dies schade dem Klima.

Milliarden sollen nach Willen der Grünen in den Ausbau von Stromnetzen fließen, und zwar "zum Großteil unterirdisch". Derzeit stoßen Vorhaben für neue Freileitungen bundesweit auf Bürgerproteste, parteiübergreifend. Mit unterirdischen Kabeln würden sich viele der Bürgerinitiativen abfinden - allerdings sind sie um ein Vielfaches teurer.

Einen Konflikt um das Endlagerprojekt Gorleben umschifften die Grünen noch vor der Abstimmung. Deutlich treten sie nun dafür ein, den Bau "endgültig zu beenden" und den Standort zurückzubauen. Die Schlussabstimmung über den Antrag stand zu Redaktionsschluss noch aus. Der Parteitag, der am Samstag auch die beiden Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir im Amt bestätigen soll, dauert bis Sonntag.

© SZ vom 20.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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