Gaza-Krieg:"Die Rache kommt!"

Lesezeit: 3 Min.

"Abscheuliches Kriegsverbrechen": In der jordanischen Hauptstadt Amman - im Hintergrund die König-Abdullah-Moschee - gingen die Menschen noch am Dienstagabend auf die Straße, um ihre Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen zu zeigen. (Foto: Alaa Al Sukhni/REUTERS)

Obwohl der Hintergrund des Raketeneinschlags in einem Krankenhaus in Gaza-Stadt noch unklar ist, reagieren Menschen in der arabischen Welt mit ungeheurer Wut. Die Regierungen des Nahen Ostens werden den Krieg anders begleiten als bisher.

Von Bernd Dörries, Kairo

In der Nähe der israelischen Botschaft in Amman wurde ein Feuer entzündet, vor der US-Vertretung in Beirut versammelten sich Demonstranten, die von der Polizei mit Tränengas vertrieben wurden. Im Westjordanland gingen Tausende auf die Straße, im Irak skandierten sie: "Die Rache kommt!" Überall in der arabischen Welt gingen am Dienstagabend Menschen auf die Straße, um ihre Wut zu zeigen über den Raketeneinschlag im Ahli-Arab-Hospital im Gazastreifen, bei dem Hunderte Zivilisten ums Leben gekommen sein sollen. Die Hamas beschuldigt Israel, für den Beschuss verantwortlich zu sein. Das israelische Militär veröffentlichte hingegen Bilder, die zeigen sollen, dass eine fehlgeleitete Rakete der Gruppe Islamischer Dschihad den Parkplatz vor dem Krankenhaus traf oder dort fehlzündete.

Für viele Menschen und Regierungen in der arabischen Welt steht aber außer Frage, dass Israel für den Beschuss verantwortlich ist. König Abdullah II. von Jordanien bezeichnete die Explosion als "abscheuliches Kriegsverbrechen, das nicht ignoriert werden kann" und rief in seinem Land eine dreitägige Trauerzeit für die Toten aus. Das saudi-arabische Außenministerium machte "die Kräfte der israelischen Besatzung" für das Massaker verantwortlich. Es ist eine deutliche Distanzierung von Israel, mit dem das Königreich am Golf noch bis vor Kurzem über eine Normalisierung der Beziehungen verhandelte, die Möglichkeit einer Anerkennung schien nahe.

Man weiß nicht immer, was echt ist und was Propaganda. Doch die Bilder sind in der Welt

Die Dynamik ist nun eine andere. Saudi-Arabien und auch viele andere Länder der Region müssen erkennen, dass die Annäherung an Israel vor allem ein politisches Projekt der Eliten war, nicht aber der Bevölkerung. Auch in Marokko kam es zu Demonstrationen gegen Israel, das Land hatte wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und der Sudan seine Beziehungen zu Jerusalem normalisiert, ohne die Frage eines eigenen Staates für die Palästinenser zu klären, der für viele Araber wichtiger ist als den meisten ihren jeweiligen Regenten. Die Explosion in dem Krankenhaus hat die Situation verändert. Viele Regierungen können die Stimmung in der Bevölkerung nicht mehr ignorieren. Auch die Emirate verurteilten die "menschliche Tragödie und die schrecklichen Szenen mit unschuldigen Menschen als Folge des israelischen Angriffs auf das Krankenhaus in Gaza".

In Europa und den USA betonte die Politik in den vergangenen Tagen nach dem Terrorangriff der Hamas das Recht Israels auf Selbstverteidigung. In der arabischen Welt sprachen viele Menschen schon vor dem Angriff auf das Krankenhaus von einem "Genozid in Gaza", einer Kollektivbestrafung eines ganzen Volkes durch eine Besatzungsmacht. Es wurde mit Entsetzen gesehen, dass Israel die ganze Bevölkerung von Gaza dazu aufrief, in den Süden des Gebietes zu fliehen. Genau dort aber gleichzeitig die Bombardements verstärkte. Wieder sollen Frauen und Kinder ums Leben gekommen sein.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Die Bilder aus dem vermeintlich zerstörten Krankenhaus haben eine neue Stufe der Grausamkeit erreicht. Ein Vater transportiert die Leichenteile seiner Kinder in Plastiktüten ab, so berichten es Medien in Gaza. Die Leitung des Krankenhauses hält eine Pressekonferenz inmitten von Leichensäcken ab. Man weiß nicht immer, was echt ist und was Propaganda. Doch die Bilder sind in der Welt.

Die Hisbollah ruft einen "Tag des Zorns gegen den Feind" aus

Die Regierungen des Nahen Ostens werden den Krieg in Gaza anders begleiten als bisher. Die jordanische Regierung hat das für Mittwoch geplante Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Jordaniens König Abdullah, Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, abgesagt. Im saudi-arabischen Dschidda trifft sich am heutigen Mittwoch die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, in New York der UN-Sicherheitsrat. Jordanien und Ägypten haben schon deutlich gemacht, dass sie einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza fordern werden.

Andere werden die Bilder aus dem Krankenhaus vielleicht für eine weitere Eskalation des Konfliktes nutzen. "Der morgige Mittwoch soll ein Tag des Zorns gegen den Feind sein", erklärte die mit der Hamas verbündete Hisbollah in Libanon.

Die Demonstrationen auf den Straßen gingen auch am Mittwoch weiter. Tausende waren es in Jordanien, in Marokko, selbst in Kuwait schlossen sie sich den Protesten an. Sogar Ägyptens Präsident al-Sisi, der kein große Freund von Menschenansammlungen ist, rief seine Bürger auf, auf die Straße zu gehen, sollte Israel versuchen, die Palästinenser nach Ägypten abzuschieben. Sisi hatte sich in den vergangenen Jahren nicht sonderlich um Palästina gekümmert, das Land hatte seine Grenze zu Gaza weitgehend geschlossen, nur immer mal wieder durften Palästinenser das Gebiet verlassen. Jetzt sagt er: "Die palästinensische Sache ist die Mutter aller Probleme und hat erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität."

Die Palästinenser waren für die arabischen Herrscher in den vergangenen Jahrzehnten immer dann interessant, wenn es von eigenen Fehlern abzulenken galt. Aber darüber wird derzeit eher weniger geredet. Sisi fordert wie andere einen sofortigen Waffenstillstand. Und von Israel endlich die Einwilligung, humanitäre Hilfe nach Gaza durchzulassen. Auf ägyptischer Seite stauen sich Hunderte Lastwagen. Israel hat seit dem Ausbruch des Konfliktes vier Mal den Grenzübergang Rafah bombardiert, sagen die Behörden in Gaza. Auch das steigert die Wut der Straße.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDer Kanzler in Israel
:Wenn Worte nicht mehr reichen

Olaf Scholz hat nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass er fest an der Seite Israels steht. Aber diesmal genügen keine routinierten Bekenntnisse mehr. Der Kanzler reist in aller Eile nach Tel Aviv – und erlebt selbst, wie ernst die Lage ist.

Von Georg Ismar, Peter Münch und Nicolas Richter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: