EU-Gipfel:Worüber die Regierungschefs noch diskutieren

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Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer fordert, die gesamte EU müsse nun "die Asylbremse anziehen". (Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa)

Neben dem Krieg in der Ukraine stehen noch zwei weitere Themen auf der Tagesordnung: Das Investitionsprogramm in den USA und die Frage, wie man mit Geflüchteten umgehen will. Vor allem bei letzterem Punkt dürfte es Streit geben.

Von Björn Finke, Brüssel

Erst kam der seltene Gast, danach kamen die hakeligen Themen an die Reihe: Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU empfingen den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij am Donnerstag schon zur Mittagszeit. Den Abend ihres Gipfeltreffens in Brüssel widmeten sie dann den Streitpunkten Migration und Industriepolitik. Die steigende Zahl von Flüchtlingen war der Grund, wieso Ratspräsident Charles Michel diesen Sondergipfel überhaupt einberufen hat. Und in den vergangenen Wochen wurde klar, dass es auch Diskussionsbedarf in der Wirtschaftspolitik gibt. Konkret bei der Frage, wie die EU auf das massive grüne Subventionspaket der US-Regierung antworten soll.

Der Umgang mit Flüchtenden war eins der wichtigsten Themen, als die Staats- und Regierungschefs bei ihrer Ankunft im Gipfelgebäude in die Mikrofone der Journalisten sprachen. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer forderte, die ganze EU müsse nun "die Asylbremse anziehen". Der Christdemokrat hatte zuvor verlangt, dass die EU-Kommission Bulgarien mit zwei Milliarden Euro dabei unterstützt, einen Zaun an der Grenze zur Türkei zu bauen. Doch bisher lehnt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ab, Brüsseler Geld für Zäune und Mauern einzusetzen.

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Italiens rechtspopulistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sagte auf die Frage, ob sie Nehammers Vorstoß gutheißt, sie unterstütze "die Forderungen anderer Länder, und ich hoffe, sie werden meine unterstützen". In einem Positionspapier kritisiert die italienische Regierung, dass der Einsatz privater Rettungsschiffe, die Flüchtende im Mittelmeer bergen, für Küstenstaaten eine "zusätzliche Belastung" bedeute. Rom wirbt dafür, dass andere EU-Staaten sich verpflichten, Ankunftsländern wie Italien Migranten abzunehmen. Solche Verpflichtungen lehnen osteuropäische Regierungen wie die polnische und ungarische allerdings strikt ab.

Immerhin könnte es beim Streit um die Finanzierung der Grenzzäune einen Kompromiss geben. In einem Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen, welcher der SZ vorliegt, heißt es, die Kommission solle Mitgliedstaaten bei Infrastruktur, Überwachung und Ausrüstung finanziell unterstützen. Mauern und Zäune werden nicht genannt, aber Brüssel könnte dann alles drum herum fördern. Zudem wird in den Schlussfolgerungen gedroht, man solle jenen Herkunftsstaaten mehr Druck machen, die nicht bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber mitarbeiten. Diese Länder könnten Zollvorteile für ihre Exporte in die EU oder Visa-Erleichterungen verlieren.

Belgien beklagt den Mangel an Solidarität

Regierungen wie die belgische, niederländische und österreichische klagen zudem, dass Ankunftsländer wie Italien, Bulgarien und Griechenland nicht alle Flüchtlinge registrieren, wie es vorgeschrieben ist, sondern sie weiterreisen lassen. Diese Menschen beantragen dann zum Beispiel in Belgien oder Deutschland Asyl. Belgiens Premierminister Alexander De Croo sagte beim Reingehen, es sei "nicht akzeptabel, dass Länder wie Belgien und die Niederlande einen überproportionalen Anteil der Arbeit übernehmen und es keine Solidarität von anderen europäischen Staaten gibt".

Am Abend wollten die Spitzenpolitiker auch darüber debattieren, wie Europa auf den sogenannten Inflation Reduction Act (IRA) reagieren soll, ein großes Subventionsprogramm der US-Regierung für den grünen Umbau der Wirtschaft. In diesem Paket sind die Hilfen teilweise daran gekoppelt, dass die grünen Produkte in den Vereinigten Staaten gefertigt worden sind. Dies benachteiligt EU-Konzerne, die in die Vereinigten Staaten exportieren wollen, und es könnte dazu führen, dass diese Firmen Werke und Investitionen in die USA verlagern.

Vorige Woche hatte die EU-Kommission daher vorgeschlagen, die Regeln für staatliche Beihilfen der nationalen Regierungen zu lockern und auch Brüsseler Fördergeld umzuschichten. Umstritten ist insbesondere, wie sehr die Subventionsvorschriften aufgeweicht werden sollen. In der EU müssen Regierungen ihre Beihilfen von der Kommission billigen lassen. Dies soll verhindern, dass Unternehmen die Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen und dass der Binnenmarkt verzerrt wird.

Übervorteilt Deutschland Italien?

Den Regierungen mehr Spielraum zu gewähren, als Reaktion auf die US-Subventionen, ist heikel. Denn in finanzstarken und großen Mitgliedstaaten wie Deutschland können Regierungen die neue Freiheit viel besser nutzen, um Betriebe zu fördern. Klamme Regierungen wie die italienische werden nicht mithalten können. Deutsche Firmen könnten also unfaire Vorteile genießen. Wie ernst dieses Risiko ist, zeigt eine Statistik zu nationalen Subventionen gegen die Folgen des Ukraine-Kriegs. Demnach entfallen 53 Prozent der von der Kommission genehmigten Beihilfen allein auf Deutschland. Italien landet nur bei gut sieben Prozent.

Die Bundesregierung und die Regierung in Paris werben ausdauernd für eine Aufweichung, eine breite und diverse Koalition von Staaten wie Italien, Österreich, Dänemark, Tschechien oder Irland mahnen hingegen zur Vorsicht. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach aber bei der Ankunft Einigkeit: "Wir werden einen Schulterschluss miteinander beschreiben über die Frage, wie wir unsere vorhandenen Möglichkeiten nutzen, gemeinsam zu agieren, und wie wir gleichzeitig sicherstellen, dass Europa im internationalen Wettbewerb bestehen kann", sagte der SPD-Politiker ein wenig umständlich.

Im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen heißt es, die Arbeit an den Vorschlägen der Kommission müssten "dringend vorangetrieben werden". Beim Absatz zum Thema Subventionen wird betont, dass faire Bedingungen auf dem Binnenmarkt beibehalten werden müssen.

Die Kommission will mehr Geld verteilen

Ein anderer Streitpunkt ist, ob die Kommission neue Schulden aufnehmen soll, um damit einen neuen EU-Topf zur Unterstützung grüner Branchen zu füllen. Mehr Brüsseler Fördermittel könnten das Risiko mindern, dass arme Staaten nach einer Lockerung der Subventionsregeln abgehängt werden. In einem frühen Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen wurde die Kommission aufgerufen, einen schuldenfinanzierten Fonds zu entwickeln.

Nach dem Widerstand von Regierungen wie der niederländischen flog die Passage aber ganz schnell wieder heraus. Nun wird lediglich erwähnt, dass die Kommission bis Sommer das Konzept für einen Europäischen Souveränitätsfonds präsentieren will, zur Unterstützung wichtiger Industrieprojekte. Zur brisanten Frage, wo das Geld herkommen soll, schweigt sich das Gipfel-Papier aus.

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