Terrorangriff auf Israel:EU und Deutschland setzen Zahlungen an Palästina aus

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Proteste von Palästinensern in Gaza Anfang 2018: Die USA setzen damals vorübergehend Hilfszahlungen für die Bevölkerung aus. (Foto: Mohammed Talatene/dpa)

Die Bundesregierung will künftig Entwicklungsprojekte in Palästinensergebieten mit Israel abstimmen. Gefördert soll nur noch werden, was dem Frieden in der Region dient. Zudem mehren sich Forderungen, schärfer gegen Iran vorzugehen.

Von Georg Ismar, Paul-Anton Krüger, Angelika Slavik und Hubert Wetzel, Berlin/Brüssel

Schon in den ersten Stunden nach dem Terrorangriff der radikalislamischen Palästinensermiliz Hamas auf Israel geriet die Bundesregierung in einer für sie heiklen Frage unter Druck. Wie soll es mit den aus Steuermitteln finanzierten Hilfen zur Unterstützung der Menschen in den Palästinensergebieten weitergehen? Für Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), über deren Haus die Mehrzahl der Projekte läuft, ist schnell klar, alles muss nun auf den Prüfstand. Derzeit habe man alle Zahlungen ausgesetzt, sagt sie am Montag.

Auch die Europäische Union - der wichtigste internationale Geldgeber für die Palästinenser - will zumindest ihre Entwicklungshilfezahlungen überprüfen. Der zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi hatte am Montag zunächst angekündigt, sämtliche Zahlungen aus Brüssel an die Palästinenser würden ausgesetzt. Nachdem mehrere EU-Staaten öffentlich dagegen protestiert und gefordert hatten, dass Geld aus Europa für humanitäre Hilfe in den Palästinensergebieten weiter fließen müsse, korrigierte sich die Kommission. Am Abend war dann nur noch von einer Überprüfung der Entwicklungshilfe die Rede. Da momentan ohnehin keine Überweiungen an die Palästinensische Autonomiebehörde anstünden, müssten auch keine Zahlungen ausgesetzt werden, hieß es in einer Pressemitteilung.

Zudem mehren sich Forderungen, schärfer gegen Iran vorzugehen. Das Regime unterstützt die Hamas und hat die Angriffe bejubelt, eine direkte Beteiligung aber abgestritten. Schulze sagte, die Bundesregierung wolle nun mit Israel besprechen, welche Entwicklungsprojekte es für die Palästinenser künftig noch geben soll, wie diese den Frieden in der Region unterstützen könnten. Dies sei ein Zeichen "unverbrüchlicher Solidarität mit Israel".

Bis zu 340 Millionen Euro kommen jährlich aus Deutschland

Am Sonntag hatte die Ministerin auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung gesagt, man habe schon bisher "streng darauf geachtet, dass unsere Unterstützung für die Menschen in den palästinensischen Gebieten dem Frieden dient und nicht den Terroristen". Angesichts des Schocks über die Ereignisse wolle man aber "ganz sichergehen, dass wir da keinerlei Kanäle haben, aus denen was rausgehen kann", ergänzte sie nun. Wie lang dieser Prüfprozess dauern werde, lasse sich nicht sagen. Man werde das "gründlich und solide" machen.

Bisher hat Deutschland bis zu 340 Millionen Euro jährlich für die Menschen in den Palästinensergebieten ausgegeben. An aktuellen Zusagen gibt es rund 250 Millionen Euro über Schulzes Ministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Rest läuft über das Auswärtige Amt. Das Entwicklungshilfeministerium finanziert bisher unter anderem Projekte zur Wasserversorgung, zur Abfallentsorgung, im Gesundheitssystem, für Ernährungssicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Eine direkte Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde gibt es demnach nicht.

Etwa 125 Millionen Euro gehen in bilaterale Projekte über die bundeseigene Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Dazu kommt ein Betrag in ähnlicher Höhe für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA, sowie nicht-staatliche Entwicklungszusammenarbeit.

Der Zentralrat der Juden fordert, die Entwicklungshilfe sofort einzustellen

Das Auswärtige Amt steuert aktuell weitere 79 Millionen Euro bei, davon 72 Millionen Euro für humanitäre Hilfe. Ein Großteil sei bereits an internationale Organisationen ausgezahlt, sagte ein Sprecher. Lebensnotwendige Hilfen wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln sollen auch fortgesetzt werden. Mit 42 Millionen Euro geht mehr als die Hälfte des Geldes für Nahrungsmittelhilfe im Gazastreifen an UNRWA, weitere 26,2 Millionen zahlt die Bundesregierung an das Welternährungsprogramm, den UN-Nothilfefonds und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.

Die Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe nach den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, das sich an der Bedürftigkeit orientiert. 6,3 Millionen Euro aus dem Budget des Auswärtigen Amtes sind zudem für Stabilisierungsprojekte vorgesehen, etwa zum Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen oder der Basisversorgung mit Wasser und Energie. Der Großteil wird wiederum von der GIZ abgewickelt. Diese Projekte werden nochmals geprüft.

FDP-Chef Christian Lindner forderte, sämtliche Zahlungen in die Palästinensergebiete, auch via EU und UN, zu überprüfen und einzufrieren; das FDP-Präsidium fasste einen entsprechenden Beschluss. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter mahnte eine strenge Prüfung an, um sicherzustellen, dass kein Geld abgezweigt werde. Bis dahin müssten die Zahlungen eingefroren werden. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, verlangte, die Entwicklungshilfe sofort einzustellen.

Die EU-Unterstützung könnte am Dienstag Thema werden

In Brüssel betonte die EU-Kommission, es sei sehr klar, dass die EU schon bisher weder direkt noch indirekt die Hamas oder andere Terrororganisationen finanziere. Allein aus dem EU-Haushalt waren für den Zeitraum 2021 bis 2024 etwa 1,18 Milliarden Euro für die Palästinenser vorgesehen. Die EU habe sehr strenge Regeln zur Überprüfung der Empfänger, betonte eine Sprecherin. Alle müssten versichern, dass diese weder direkt noch indirekt an Unternehmen, Organisationen oder Personen mit Verbindung zur Hamas gingen.

Die EU unterstützt die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde mit erheblichen Mitteln. Nach Angaben der EU belief sich die Gesamtsumme im Jahr 2022 auf 296 Millionen Euro. Damit werden Entwicklungshilfe- und Infrastrukturprojekte finanziert, aber auch die Gehälter und Pensionen von Angestellten der Autonomiebehörde sowie Schulen und Krankenhäuser. Die Entscheidung über die EU-Hilfe liegt letztlich bei den Regierungen der 27 Mitgliedstaaten; sie könnte Thema werden bei der Dringlichkeitssitzung der Außenminister an diesem Dienstag.

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Mit Blick auf Iran bekräftigten FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, die Revolutionsgarden müssten auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Das Auswärtige Amt sah bislang, gestützt auf ein Rechtsgutachten des Auswärtigen Dienstes der EU, die hohen rechtlichen Anforderungen dafür als nicht erfüllt an. Der Europäische Gerichtshof hat derartige Listungen mehrmals kassiert.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), sagte, es müsse darum gehen, "dass wir Iran noch weiter isolieren. Denn Iran ist ja an vielen militärischen Konflikten beteiligt". Roth warnte mit Blick auf das Atomabkommen, Iran als ernsthaften Gesprächspartner anzusehen. "Wir werden uns vermutlich von der Idee verabschieden müssen, dass auf dem Verhandlungsweg mit einem solchen Terrorregime irgendetwas zu erreichen sein wird", sagte er.

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