Schwertransporte:Wie die Energiewende auf den Straßen ausgebremst wird

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Bis in Grasbrunn Windräder aufgestellt werden, könnte es nun etwas länger dauern. Das Foto zeigt den Transport eines Bauteils auf einem Schwertransport. (Foto: Karina Hessland/imago images)

Wer Windräder baut, hat es schwer. 25 Tonnen können Rotorblätter wiegen. Um sie heranzuschaffen, braucht es Schwertransporte - und dafür wiederum viel Papierkram. Für die Branche erweist sich die Bürokratie als ein gewichtiges Problem.

Von Thomas Hummel

Fünf neue Windräder müssen aufgestellt werden. Jeden Tag. Dann kann Deutschland sein Ziel, bis 2030 80 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, vermutlich erreichen. Derzeit sind es nach Rechnung des Bundesverbands Windenergie (BWE) allerdings nur etwa 1,8 neue Windmühlen pro Tag, der Boom soll noch kommen. Doch schon jetzt tritt ein Problem auf, mit dem wohl niemand gerechnet hat: der Transport der Anlagen auf deutschen Straßen.

Ein Rotorblatt einer modernen Anlage ist mehr als 50 Meter lang und oft mehr als 25 Tonnen schwer. Die Gondel, in der das Getriebe verbaut ist, kann 70 Tonnen wiegen. Dafür benötigt man jeweils einen Schwertransport, und der muss genehmigt werden. Die sogenannten Großraum- und Schwertransporte (GST) sind eigentlich ein Randaspekt im deutschen Güterverkehr. Aber für viele Beteiligte Sinnbild für ein Land, das sich in Vorschriften und Behörden-Wirrwarr fast bis zur Bewegungslosigkeit verfangen hat.

"Du bist ausgeliefert und weißt nicht, wie es ausgeht."

Helmut Schgeiner atmet tief durch und sucht nach Worten. Was sich gegenwärtig bei den Genehmigungsverfahren abspiele, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands Schwertransporte und Kranarbeiten, sei ohne vergleichbares Beispiel aus der Vergangenheit. "Das ist wie vor Gericht und auf Hoher See. Du bist ausgeliefert und weißt nicht, wie es ausgeht: Kommt der positive Bescheid und du kannst loslegen? Oder gehst du wieder zurück auf Los und beantragst aufs Neue?" Das sei ein großes Leid, sagt Schgeiner.

Wer einen GST plant, egal ob für Windräder, für die Schwerindustrie oder Bauwirtschaft, muss für jede Straße und jede Brücke, die befahren werden soll, eine Genehmigung einholen. Halten die Brücken das Gewicht? Kommt die Ladung unter Brücken hindurch oder an Engstellen vorbei? Für die Autobahnen sind die Bundesländer zuständig, entscheidend ist hier aber die Einschätzung der Autobahn GmbH des Bundes mit ihren zehn Niederlassungen. Bei Bundesstraßen, Landstraßen, Gemeindestraßen ist die jeweilige Behörde anzuhören. Im Extremfall könne es Monate dauern, bis eine Fahrt genehmigt sei, berichtet Schgeiner.

Transportunternehmen müssen dabei vorab den genauen Fahrzeugtypen des Sattelschleppers angeben, kommt am Ende ein Volvo statt eines Mercedes zum Einsatz, erlischt meist die Genehmigung. Das Gleiche gilt, wenn die Maße der Fracht am Ende mehr als fünf Prozent kleiner sind oder die Fracht leichter ist als vorher berechnet. Das führt laut Branchenkennern dazu, dass die Unternehmen für jede Fahrt mehrere Anträge stellen, um am Ende den richtigen Erlaubnisschein aus der Tasche ziehen zu können. Anträge, die die Behörden wiederum abarbeiten müssen. Es ist das Paradebeispiel, wenn die Branche kopfschüttelnd über viel zu viel Bürokratie schimpft.

Inzwischen hat das Problem auch die Bundesregierung erreicht. Sie fragte Anfang des Jahres bei Wirtschaftsverbänden nach, wo überflüssiger Papierkram reduziert werden könnte. 442 Vorschläge gingen in Berlin ein, nach Sichtung und Priorisierung kam der Vorschlag, bei den Schwertransport-Anträgen mehr Spielraum zu lassen, auf Platz sechs. Bund und Länder verhandeln nun über eine Lösung.

20 000 unbearbeitete Anträge stauen sich allein im Nordwesten

Die bisherige Regelung führte in einigen Ämtern offensichtlich fast zu einem Kollaps. Etwa bei der Niederlassung Nordwest der Autobahn GmbH, die aufgrund der Nordsee-Häfen besonders wichtig ist für die Windbranche. Dort stauten sich noch im Juli 15 000 bis 20 000 Anträge auf einen Schwertransport. Unternehmen verloren die Geduld, in Deutschland schlossen sich 20 Verbände zu einer Initiative zusammen, darunter der Bundesverband der deutschen Industrie BDI, die Deutsche Industrie- und Handelskammer und der Verband der Automobilindustrie VDA, und erteilten der Verkehrspolitik Nachhilfeunterricht in neun Punkten, was sich verbessern muss. Die deutsche Wirtschaft sei dringend auf ein transparentes, verlässliches und vor allem praktikables System zur Genehmigung und Durchführung von Schwertransporten angewiesen, heißt es in einem Positionspapier.

Anfang Juni schrieb zudem der Europäische Verband für Schwertransporte (ESTA) einen geharnischten Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und die EU-Kommissarin für Transport, Adina Vălean. ESTA prangerte eine "skandalöse und schädliche Pflichtverletzung" der norddeutschen Behörden an, die im Schnitt 15 Wochen benötigten, um einen Transport zu genehmigen. Die Bundes- und Landesregierungen - sowohl Politiker als auch Beamte - und die Autobahn GmbH hätten den Ernst der Lage nicht erkannt.

Für jeden Straßenabschnitt benötigt der Transport eines Rotorblattes eine eigene Genehmigung. (Foto: Manfred Segerer/Imago)

Der europäische Verband wies darauf hin, dass "die großen Pläne der deutschen Regierung für eine Energiewende und eine grüne Wirtschaft ohne einen funktionierenden Schwertransport-Verkehr eine Illusion" seien. Doch die Autobahn GmbH Nordwest gebe sogar zu, dass sie nicht in der Lage sei, auf E-Mails zu antworten, "weil sie zu beschäftigt sei". Auch per Telefon sei es kaum möglich, durchzukommen. Aus dem Bundesverband Windenergie hieß es, Unternehmen hätten Kurzarbeit anmelden müssen, weil sie ihre Teile nicht mehr lagern könnten.

Die Autobahn GmbH, eine Unterbehörde des Bundesverkehrsministeriums, wurde unter dem CSU-Minister Andreas Scheuer gegründet und übernahm Anfang 2021 von Behörden der Bundesländer die Aufgabe, Fernstraßen zu bauen, zu betreiben, zu erhalten, zu finanzieren. Zuletzt schied praktisch die gesamte Führungsebene aus, was ausschließlich private Gründe habe, wie es heißt. Erst seit Kurzem ist der neue Vorsitzende der Geschäftsführung, Michael Güntner, im Amt, ehemals Scheuers Staatssekretär, der die Behörde mit aufgebaut hat. Der neue technische Geschäftsführer, Dirk Brandenburger, kommt demnächst dazu. Sie sind dann dafür zuständig, die 13 000 Kilometer Autobahnen in Deutschland zu erhalten. Darunter etwa 39 500 Brücken mit einer Gesamtlänge von 2100 Kilometern. Beim Thema Traglast sollen bundesweit etwa 8000 Brücken als schlecht bewertet sein.

Brücken, die gestern noch als befahrbar galten, sind heute plötzlich gesperrt

Bei Genehmigungen für Schwertransporte kann die Behörde bereits auf eine Lösung verweisen: die neue digitale Plattform "GST.Autobahn". Sie soll eine "vollautomatisierte und schnelle Prozessbearbeitung" ermöglichen und damit die Mitarbeiter entlasten und die Bearbeitungsdauer deutlich verkürzen, erklärt ein Sprecher der Autobahn GmbH. Im Problembezirk Nordwest wurde die Plattform schnell eingeführt, der Berg an Anträgen ist inzwischen abgearbeitet.

Doch die Klagen wurden dadurch nicht leiser. Die Windbranche beschwert sich, dass aufgrund neuer Berechnungen plötzlich Brücken, die gestern noch als befahrbar galten, heute für Schwertransporte gesperrt sind. Auch deshalb habe die Autobahn Nordwest vor allem Ablehnungen rausgeschickt. Der Sprecher der Autobahn GmbH weist diese Vorwürfe allerdings zurück.

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Für Helmut Schgeiner ist die Autobahn GmbH ein "großer Lichtblick am Horizont". Der Verbandschef verbindet damit die Hoffnung auf bundesweit einheitliche Regeln, die eine Leitwirkung sogar auf Landkreise und Kommunen haben könnten. Auch die digitale Prüfplattform "GST.Autobahn" befürwortet er. Wird daraus nun ein Vorzeigeprojekt für Digitalisierung und Standardsetzung? Wird also alles gut? Schon taucht das nächste Problem auf.

Schwertransporte müssen aus Sicherheitsgründen begleitet werden, bislang häufig von der Polizei der Länder. Das sollen nun vermehrt private Unternehmen übernehmen, was die Branche grundsätzlich begrüßt, denn Polizisten haben oft wenig Zeit. Doch nun gebe es laut Schgeiner die Tendenz, immer mehr Fahrzeuge für die Verkehrssicherung anzufordern. "Manchmal sechs, manchmal zwölf", sagt er, je nach Strecke. Das könne nun dazu führen, dass die Kosten für die Sicherungsmaßnahmen höher lägen als die Kosten des Transports.

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