Gesundheitswesen:Lauterbach will "Aufholjagd" bei der Digitalisierung

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Der Deutsche hängt an der Zettelwirtschaft, der Bundesgesundheitsminister nicht: Karl Lauterbach versucht, Ärzten und Patienten die Digitalisierung schmackhaft zu machen. (Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

Seit einigen Wochen gibt es das E-Rezept, die Einführung aber stockt. Der Bundesgesundheitsminister macht nun Druck auf die Ärzte.

Von Ekaterina Kel und Leopold Zaak, München

Am Schalter in der Rosenapotheke in der Münchner Innenstadt. Eine Mitarbeiterin hält das rosafarbene Papierrezept ihrer Kundin in den Händen, tippt etwas in den Computer. Die Schlange ist lang, im Verkaufsraum ist es schwül, eine Gruppe von Touristen versucht mit einer Übersetzungs-App große Mengen eines ätherischen "China Oels" zu erwerben. Vor jedem Schalter steht ein digitaler Infoscreen und informiert die Kunden: "Das E-Rezept kommt". Inhaberin Gabriele Elser-Adelseck selbst bewirbt das digitale Rezeptformat, in der Hand hält sie ein Handy mit einem QR-Code, sie lächelt in die Kamera.

In echt sehe man die E-Rezepte in der Rosenapotheke aber selten, sagt sie. "Zurzeit haben wir den Flow noch nicht." Dabei können Patienten theoretisch seit dem 1. Juli mit der elektronischen Gesundheitskarte ihr Rezept einlösen. Elser-Adelseck berichtet von zehn Kunden im Monat, die mit einem E-Rezept zu ihr kommen. Manche bringen einen ausgedruckten QR-Code mit, andere lassen ihre Versichertenkarte einlesen. Wieder andere haben den QR-Code auf dem Handy in einer speziellen App dabei. Aber zehn Kunden, das zähle eigentlich nicht, sagt Elser-Adelseck. In einer kleineren Apotheke zwei Straßen weiter sagt die Mitarbeiterin: "Wenn einmal im Monat einer mit einem E-Rezept kommt, das ist schon viel."

Die Apotheken sagen, sie seien bereit, bei den Arztpraxen aber hakt es noch

Das E-Rezept soll die Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen abbauen. Ärztinnen und Arzthelfer sollen Zeit für ihre Patienten haben, anstatt rosa Zettel ausdrucken und unterschreiben zu müssen, Patienten sollen weniger lange warten. Künftig sollen Ärzte das Rezept digital unterschreiben, über einen Code kann es dann in der Apotheke eingelöst werden - entweder über die Versichertenkarte, eine spezielle App oder eben ausgedruckt. Über die App können Menschen auch bei Apotheken anfragen, ob ein Medikament noch vorrätig ist.

Vom kommenden Jahr an soll das E-Rezept zur Pflicht werden, die Einführung läuft aber schleppend. Das weiß auch der Bundesgesundheitsminister. Karl Lauterbach (SPD) stellte sich also am Mittwoch gemeinsam mit dem Berliner Kardiologen Dr. Benny Levenson vor die Mikrofone, um eine "Aufholjagd" bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen auszurufen. "Es ist ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr vertretbar, dass wir in der heutigen Zeit noch immer die Rezepte über Papier ausdrucken", sagt er. Deutschland sei in diesem Bereich ein Entwicklungsland.

Trotzdem gibt sich Lauterbach optimistisch: Er habe das E-Rezept soeben mit Levenson in dessen Praxis getestet und es habe "keine Schwierigkeiten" gegeben. Außerdem seien seit Juli bereits 2,4 Millionen E-Rezepte eingelöst worden. "Bisher sind die Erfahrungen sehr positiv." Stellt man dem aber die Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gegenüber, sind das nur etwa sechs Prozent aller ausgestellten Rezepte.

Manche Ärzte beklagen die Umsetzung noch als unpraktisch

Dabei sind die Apotheken technisch schon seit fast zwei Jahren in der Lage, E-Rezepte anzunehmen. Sagt zumindest Elser-Adelseck. Der Starttermin werde nur immer wieder verschoben, weil die Ärzte die neuen Rezepte meistens noch nicht ausstellten. Das bestätigt Peter Sandmann, Münchner Sprecher des Bayerischen Apothekerverbands. Er schätzt, dass in seinen Apotheken in der Stadt etwa drei Prozent der Rezepte digital sind. Und davon käme die überwältigende Mehrheit von Zahnärzten. Von den Hausarztpraxen, mit denen seine Apotheken zusammenarbeiten, weiß er aber, dass es nur langsam vorwärts geht. Eine Praxis mache gerade Schulungen für Mitarbeiter zu E-Rezepten, eine andere habe vor etwa einem Monat auf die neue Technik umgestellt. Sandmann hat es meistens noch mit den bekannten Rezeptzetteln zu tun. Er sagt: "Wir Apotheker sind längst bereit für E-Rezepte."

Sind es also die Ärzte, die die Einführung verlangsamen? Lauterbach fordert explizit von den Arztpraxen bei der Einführung des E-Rezepts "mitzuziehen", das sei die Verantwortung der Ärzteschaft. Darauf angesprochen schiebt sich Kardiologe Levenson am Bundesgesundheitsminister vorbei und widerspricht: Ärzte seien Treiber der Modernisierung, nicht deren Bremser, sagt er.

Der Hausarzt Oliver Abbushi findet, Theorie und Umsetzung klafften oft noch zu weit auseinander. Er führt eine große Praxis im Münchner Landkreis und ist Vorsitzender des Münchner Bezirks des Bayerischen Hausärzteverbands. Seine Praxis stellt zurzeit noch keine E-Rezepte aus. Zum 1. Oktober ist die Einführung geplant. "Die Umsetzung ist noch sehr holprig", so Abbushi. Für die digitale Unterschrift unter dem E-Rezept brauche er ein Steckgerät an jedem Arbeitsplatz in der Praxis, dazu die funktionierende Software - und die zusätzliche Zeit pro Patient, um sich einzuloggen und zu signieren. Im Alltag einer Hausarztpraxis, wo täglich sehr viele Rezepte ausgestellt werden, sei das eine Herausforderung.

Nach dem E-Rezept soll bald auch die elektronische Patientenakte kommen

Wechselt er während der Sprechstunde die Zimmer, müsste er jedes Mal seine Karte wieder mitnehmen, neu einstecken, sich erneut mit seiner Pin einloggen. Die Ausstellung des E-Rezepts sei einfach noch umständlich. "Das System ist alles andere als ein Selbstläufer", so der Allgemeinmediziner. Auch für seine Praxismitarbeiter am Empfang sieht er die Gefahr der Mehrbelastung. Denn alle drei Monate muss die Patientin die Versichertenkarte in der Praxis vorzeigen. Würden die Patienten aber vermehrt ihre Rezepte online anfordern, berge das die Gefahr, dass man ihnen hinterherlaufen müsste, damit sie noch nachträglich ihr Kärtchen vorzeigten.

Für den Bundesgesundheitsminister gehören Startschwierigkeiten dazu. "Es gibt immer etwas Ruckelei", sagt Lauterbach. Bei keiner Software funktioniere von Anfang an alles einwandfrei. Das dürfe kein Grund sein, die Einführung des E-Rezeptes weiter hinauszuzögern.

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Langfristig sieht auch Abbushi die Vorteile: Vor allem Patientinnen und Patienten, die wegen einer chronischen Erkrankung laufend Medikamente benötigen, würden mehr Flexibilität gewinnen. Außerdem erleichtere das E-Rezept die Videosprechstunde. "Auf Dauer ist das E-Rezept schon die Zukunft."

Allein beim E-Rezept soll es aber nicht bleiben bei der von Lauterbach verkündeten "Aufholjagd". Zum 30. August will er ein weiteres Vorhaben durchs Kabinett bringen -die elektronische Patientenakte. Millionen gesetzlich Versicherte sollen ihre Röntgenbilder, Blutwerte und andere Behandlungsdaten digital speichern können, sie selbst und ihre Ärzte könnten sie dann abrufen. Freiwillig kann man das schon seit 2021 tun, Lauterbach will, dass Patienten von 2025 an automatisch eine elektronische Patientenakte bekommen - es sei denn, sie widersprechen. Von der Einführung verspricht sich das Gesundheitsministerium neben dem Abbau von Bürokratie auch bessere Bedingungen für die medizinische Forschung. Künftig sollen deutlich mehr Gesundheitsdaten gespeichert und der Forschung zur Verfügung gestellt werden.

Auf der Pressekonferenz versichert Lauterbach, die Daten würden anonymisiert - in der von seinem Haus vorgelegten "Digitalisierungsstrategie" ist allerdings von "pseudonymisierten" Daten die Rede. Datenschützer kritisieren, so ließe sich die Patientin oder der Patient doch identifizieren. Der Gesundheitsminister betont, der Datenschutz dürfe nicht dazu führen, dass die Einführung der elektronischen Patientenakte oder des E-Rezepts verhindert werden. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens sei eine Voraussetzung für den Verbleib von Spitzenmedizin in Deutschland.

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