EU-Reaktionen auf die Wahl:Hauptsache, es geht schnell in Berlin

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Auch für den europäischen Klimaschutz ist die Frage, wer deutscher Kanzler wird, von Bedeutung: Schwäne vor einem polnischen Kohlekraftwerk. (Foto: Omar Marques/Getty)

Europas Sozialdemokraten feiern Olaf Scholz, während die Konservativen schweigen. Brüssel hofft, dass die neue Bundesregierung rasch steht - und beäugt FDP-Chef Lindner.

Von Björn Finke, Josef Kelnberger und Matthias Kolb, Brüssel

Olaf Scholz als Kanzler, und das möglichst schnell: Viele Sozialdemokraten in der Europäischen Union haben sich nach der Bundestagswahl hinter den deutschen Genossen gestellt. Frans Timmermans, der Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission und Architekt des Grünen Deals, twitterte in seinem Glückwunsch an Scholz: "Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und die grünen Transformationen unserer Wirtschaft und Gesellschaft gehen Hand in Hand, und das Wahlergebnis unterstreicht das." Nach Ansicht von David Sassoli, den Präsidenten des Europaparlaments, braucht Europa einen "starken und verlässlichen Partner in Berlin, um unsere gemeinsame Arbeit für eine soziale und grüne Erholung" fortzusetzen. Iratxe Garcia Perez, die Chefin der sozialdemokratischen EU-Abgeordneten, freut sich auf einen "neuen progressiven Leader" in der Runde der Staats- und Regierungschefs.

Das Echo auf konservativer Seite: sehr verhalten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) schweigt. Forderungen, Armin Laschet müsse Kanzler werden, waren von nichtdeutschen Christdemokraten in der EU kaum zu vernehmen. Dabei würde die Europäische Volkspartei enorm an Einfluss verlieren, wenn Scholz ins Bundeskanzleramt einzieht, denn dann würden die Christdemokraten kein großes EU-Land mehr regieren.

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Was sich jedoch alle in Brüssel wünschen: Die Regierung in Berlin sollte möglichst schnell stehen. Ungeduldig ist vor allem Frankreichs Regierung: Sie übernimmt im Januar die rotierende EU-Ratspräsidentschaft, und Präsident Emmanuel Macron würde gerne einige Erfolge vorweisen, wenn er sich im April dem Wahlvolk stellt. Weil der Grüne Deal, das größte Projekt der EU, angesichts steigender Energiepreise politisch brisant ist, will Paris zumindest Fortschritte in der Verteidigungspolitik machen.

Ziehen sich die Koalitionsgespräche hin und wäre Deutschland als größtes und wirtschaftsstärkstes Mitgliedsland monatelang nicht sprechfähig in Brüssel, würde die Zeit sehr knapp. Der Wunsch: Spätestens beim EU-Gipfel am 16. und 17. Dezember sollte der Nachfolger von Angela Merkel in Brüssel eintreffen.

Differenzen beim Corona-Hilfstopf

Egal ob Olaf Scholz oder doch Armin Laschet, von beiden erhoffen sich viele eine aktivere Rolle Deutschlands im Duo mit Frankreich. Unabhängig von Ampel oder Jamaika kreisen viele Fragen um die Person Christian Lindner, der das Amt des Finanzministers beansprucht. Der FDP-Chef hat den Ruf, Intimfeind der Grünen und damit Bremser beim Klimaschutz zu sein. Und er gilt als Hardliner, wenn es um gemeinschaftliche Schulden und die Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geht.

Die EU-Kommission will mit den Staaten über Reformen dieser Regeln für solide Haushaltsführung beraten. Hier liegen die Parteien weit auseinander: Die Union und die FDP fordern, Verstöße härter zu ahnden. Die SPD will hingegen das Regelwerk "zu einem Nachhaltigkeitspakt" weiterentwickeln: Statt Sparprogrammen müssten nun Investitionen angesagt sein. Auch die Grünen wollen die Regierungen lieber investieren lassen.

Sehr unterschiedlich wird auch der Corona-Hilfstopf eingeschätzt. Die Kommission nimmt für diesen Fonds im großen Stil Schulden auf, für welche die Staaten gemeinsam geradestehen - eine Premiere. Union und FDP betonen, dass dies eine Ausnahme bleiben müsse, die EU dürfe nicht zur Schuldenunion werden. Die Liberalen lehnen zudem die Einführung von EU-Steuern ab. SPD und Grüne wollen dagegen, dass die Union dauerhaft solch einen Topf für Investitionen behält.

Jene Länder wie die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden, denen traditionell Haushaltsdisziplin sehr wichtig ist, dürften auf ein Jamaika-Bündnis hoffen. Hoch verschuldete südeuropäische Staaten würden sich dagegen eher über eine SPD-geführte Regierung freuen - in der am besten nicht die FDP den Finanzminister stellt.

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