Der Mann, auf den gerade viele in Europa blicken, lässt sich Zeit. Bundesfinanzminister Olaf Scholz kommt erst am Freitagmittag mit einer Autokolonne am Konferenzzentrum im Norden der slowenischen Hauptstadt Ljubljana an. Seine Amtskollegen aus der EU tagen dort schon seit dem Morgen, das Treffen endet am Samstag. Scholz stellt sich in die Sonne und erklärt den wartenden Journalisten, über welch vielfältige Themen die Minister reden wollen. Doch die folgenden Fragen drehen sich in erster Linie um ein Thema: die Zukunft des Stabilitätspakts.
Nach der Bundestagswahl will die EU-Kommission die Reformdebatte über diese Regeln für solide Haushaltsführung wieder aufnehmen. Und die Umfragen legen nahe, dass Scholz dann Bundeskanzler sein könnte. Deswegen sind viele EU-Regierungen und die Kommission gespannt, wie sich der SPD-Politiker bei diesem und anderen heiklen Brüsseler Themen positioniert.
Die Fraktion der europäischen Sozialdemokraten im EU-Parlament veröffentlichte pünktlich zum Finanzministertreffen Forderungen, den Stabilitätspakt aufzuweichen und den befristet angelegten Corona-Hilfstopf zu einem dauerhaften Schuldenhaushalt der EU weiterzuentwickeln. CDU/CSU nehmen diese Vorlage im Wahlkampf dankbar auf und drohen, ein SPD-Kanzler Scholz würde auf EU-Ebene laxe Haushaltsregeln durchwinken, zum Schaden des deutschen Steuerzahlers.
Scholz hält aber bei seinem Auftritt vor dem Konferenzzentrum eisern an seiner bisherigen Linie fest: Der Stabilitätspakt sei bereits flexibel genug, er habe in der Corona-Krise "den Praxistest bestanden". Es gehe darum, "diese guten Regeln zu bewahren". Von Reformeifer keine Spur. Den zeigen dafür andere EU-Regierungen, etwa in Paris und Rom, sowie Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Ihr Argument: Nach der Pandemie seien die Schuldenstände vieler Staaten unrealistisch weit von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung entfernt, der Zielmarke des Paktes.
Nur sieben Staaten liegen unter der Grenze
Die Kommission hat den Stabilitäts- und Wachstumspakt wegen der Corona-Krise gerade ausgesetzt, doch 2023 soll er wieder in Kraft treten. Ohne Reformen müssten sich die Regierungen dann wieder an die Obergrenze von drei Prozent für das jährliche Haushaltsdefizit halten sowie 60 Prozent für den Schuldenstand anstreben. Prognosen zufolge werden im Jahr 2022 nur sieben Euro-Länder darunter liegen, sieben andere werden hingegen mehr als 100 Prozent in den Büchern haben.
Die Drei-Prozent-Grenze für das Defizit gilt manchem ebenfalls als problematisch. Die Erfahrung nach der letzten Krise zeige, dass Regierungen vor allem bei Investitionen sparten, um dieses Limit zu erreichen, sagte Kommissar Gentiloni kürzlich in einem SZ-Interview. Das könne sich die EU nicht leisten, denn für das ehrgeizige Klimaschutzprogramm der Union seien massive staatliche Investitionen nötig.
An diesem Samstag wird der Brüsseler Thinktank Bruegel eine Studie beim Finanzminister-Treffen vorstellen, die eine Sonderregel für grüne staatliche Investitionen empfiehlt: Diese Ausgaben sollten bei der Kalkulation der Defizite und Schuldenstände außen vor bleiben; abgesehen davon müsse der Pakt nicht aufgeweicht werden, solange die Kommission die vorhandene Flexibilität voll ausnutze.
"Das ist wie ein Tempolimit vor der Schule."
Doch schon vor dem Treffen gaben acht Finanzminister in einem Positionspapier ihren Widerstand gegen derartige Neuerungen zu Protokoll. Der Initiator, Österreichs christdemokratischer Minister Gernot Blümel, fand dafür Unterstützung in den Niederlanden, Lettland, der Slowakei, Tschechien, Finnland, Dänemark und Schweden - alles Länder, denen Haushaltsdisziplin traditionell wichtig ist. Die Minister halten fest, Ziel müsse die Verringerung hoher Schulden bleiben. Sie seien offen für Reformen, aber hier würde es dann um eine Vereinfachung und bessere Durchsetzbarkeit gehen.
Blümel ist daher gegen den Bruegel-Vorschlag zu grünen Investitionen: "Am Anfang einer Debatte sollte man nicht direkt von roten Linien sprechen, doch ich werde extrem vorsichtig, wenn ich sehe, dass schon direkt am Start dieser Reformdebatte neue Ausnahmen gefordert werden", sagte er der SZ. Denn beim Stabilitätspakt "haben wir leider Gottes immer wieder erlebt, dass Ausnahmen von genau denen gefordert oder auch genutzt wurden, die nicht willens oder in der Lage waren, die Regeln einfach einzuhalten". Der Christdemokrat fordert, die Schuldengrenzen weiter ernst zu nehmen: "Überspitzt gesagt ist das wie ein Tempolimit vor der Schule. Wenn sich daran nicht gehalten wird, lautet die Lösung ,mehr Kontrollen und härtere Strafen'. Und nicht, einfach das Tempolimit aufzuheben."