Karlsruher Urteil:Ampel fehlen 60 Milliarden für den Klimaschutz

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Wirtschaftsminister Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner müssen eine Lösung suchen. (Foto: Annegret Hilse /Reuters)

Ein bisher einmaliges Urteil des Bundesverfassungsgerichts führt zu einer gewaltigen Lücke im Haushalt der Regierung - die Union sieht einen Offenbarungseid. Es droht ein großes Sparprogramm.

Von Georg Ismar, Philipp Saul und Leopold Zaak, Berlin/München

Die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor einem enormen Finanzierungsproblem bei allen Klimaschutzmaßnahmen und dem Milliardenprogramm für den Umbau der Wirtschaft. Das Bundesverfassungsgericht hat den zweiten Nachtragshaushalt aus dem Jahr 2021 für nichtig erklärt, dieser wird bis heute als eine Art Schattenhaushalt fortgeführt. Er verstoße gegen die Regeln der Schuldenbremse und sei verfassungswidrig, urteilten die Richter - es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass so ein einschneidendes Urteil zu einem Bundeshaushalt gefällt wurde.

Damit fehlen dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) auf einen Schlag 60 Milliarden Euro. Das Geld war ursprünglich für Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise bestimmt, wurde aber nicht abgerufen. Die Ampelregierung schichtete es trotz Warnungen dann auf den KTF um. Die Unionsfraktion hielt diesen Vorgang für verfassungswidrig, da sich das anders als bei Corona nicht mit einer Notlage begründen ließ, und klagte, weil die Schuldenbremse umgangen worden sei.

Die Union fordert, die Beratungen für den Haushalt 2024 sofort zu stoppen

Kanzler Scholz versprach in einer Sondersitzung der SPD-Fraktion Bürgern und Wirtschaft eine Bestandsgarantie für alle bisher über den Fonds gemachten Zusagen und Programme. "Bisherige Zusagen werden eingehalten. Wer einen Brief vom Staat erhalten hat, muss sich darauf verlassen können", sagte er nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in der nicht öffentlichen Sitzung. Wo künftig die Milliarden herkommen sollen und wo stattdessen gespart werden soll, ließ er offen. Bis 1. Januar werde man "sorgfältig diskutieren und entscheiden". SPD-Chef Lars Klingbeil hat ein Aussetzen der Schuldenbremse ins Spiel gebracht, was FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner bisher strikt ablehnt.

Das Urteil platzt mitten in die finalen Haushaltsberatungen der Bundesregierung. Kanzler Scholz will dennoch beim Zeitplan für den Bundeshaushalt bleiben, der die Verabschiedung bis 1. Dezember vorsieht. Richtig knifflig wird dann aber die Frage, wie es von 2024 an weitergehen soll. Die Regierung werde die Folgen des Karlsruher Urteils mit dem Bundestag auswerten, sagte der Kanzler. Es könne auch Auswirkungen auf die Haushalte der Länder geben.

Mitglieder der Bundesregierung warnten vor allem vor dramatischen Folgen für Wirtschaft und Industrie, viele Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, wenn etwa Stahlwerke beim Wandel hin zu klimaneutraler Produktion nicht mehr unterstützt oder Autobauer wie VW nicht mehr auf E-Auto-Förderprämien zählen können. Als Konsequenz aus dem Richterspruch legte die Bundesregierung Vorhaben, die aus dem KTF finanziert werden sollten, vorerst auf Eis. "Die bisher nicht genutzten Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro werden gelöscht", sagte Lindner. Davon ausgenommen soll die Förderung von Effizienz und erneuerbaren Energien im Gebäudesektor sein. Mit etwa 18 Milliarden Euro ist die Gebäudesanierung mitsamt Förderung für den Heizungstausch der größte Posten im KTF.

Aus dem Klima- und Transformationsfonds wollte die Bundesregierung von 2024 bis 2027 Projekte im Umfang von knapp 212 Milliarden Euro fördern und anschieben. Mit dem Geld soll die Wirtschaft klimafreundlich gemacht, das Wärmenetz und die Elektromobilität ausgebaut werden. Auch die Modernisierung der Deutschen Bahn sollte über den KTF laufen. Die Milliardensummen, mit denen die Halbleiter-Konzerne Intel und TSMC nach Deutschland geholt werden sollen, stammen ebenfalls aus diesem Topf - ob die Ansiedlung nun klappt, ist nun auch fraglich.

Im Bundestag herrschte besonders bei den Ampelparteien am Mittwoch Ratlosigkeit. Noch im Juni hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einer Regierungsbefragung gesagt, ein Kippen des Fonds werde "Deutschland wirtschaftspolitisch wirklich hart treffen, wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden". Mit Sorge wird gesehen, dass umfangreiche Kürzungen die AfD im wichtigen Wahljahr 2024 weiter stärken könnten, zumal es noch die hohen Haushaltsbelastungen durch die Versorgung von Flüchtlingen und für die Ukraine-Unterstützung gibt.

Die CDU/CSU-Fraktion, die erfolgreich in Karlsruhe geklagt hatte, will nach dem Urteil prüfen, ob der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ebenfalls rechtswidrig sei, kündigte Oppositionsführer Friedrich Merz an. Hierüber wurden mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro die Strom- und Gaspreisbremsen finanziert. "Das ist das Ende aller Schattenhaushalte", sagte Merz. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von einem "Desaster für die Koalition von SPD, Grünen und FDP". Als erste Konsequenz fordert die Union wegen der neuen Lage die für Donnerstag geplante finale Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses zum Beschluss des Bundeshaushalts 2024 zu verschieben.

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Ökonomen, Sozial- und Umweltverbände stellten wie SPD und auch Grüne die Schuldenbremse infrage. Weil dafür aber eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig ist, braucht man die Unterstützung der Union. Doch diese ist nach ihrer erfolgreichen Klage dazu nicht bereit. Sowohl Merz als auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonten, nicht für eine Lockerung oder Aufhebung der Schuldenbremse zur Verfügung zu stehen. Und die FDP ist ohnehin ebenfalls gegen so einen Schritt.

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SZ PlusVerfassungsgerichtsurteil
:So nicht!

Das Bundesverfassungsgericht hat sich für eine sehr strikte Auslegung der Schuldenbremse entschieden. Die Botschaft lautet: Die Regeln des Grundgesetzes erlauben keine kreativen Umbuchungen und keine kunstfertigen Verschiebungen. Jetzt fehlen der Regierung mal eben 60 Milliarden Euro für die Energiewende.

Von Wolfgang Janisch

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